Dienstag, 19. März 2024

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Vergessene Schutzpatronin
Hilft die Heilige Corona gegen Seuchen?

In der katholischen Kirche wird eine vergessene Schutzpatronin wiederentdeckt: die Heilige Corona. Die frühchristliche Märtyrerin soll als 16-Jährige der Christenverfolgung zum Opfer gefallen sein. Ihr Gedenktag ist am 14. Mai. Mancherorts wird sie auch zum Schutz vor Seuchen angerufen.

Von Burkhard Schäfers | 14.05.2020
Die St. Corona-Kapelle im bayerischen Sauerlach-Arget: Eine schlichte, weiß verputzte Kapelle mit rotem Ziegeldach und einem kleinen Turm steht im Wald
In einem bayerischen Wäldchen steht eine Kapelle für die vergessene Schutzheilige Corona (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Der kleine Weiler Sauerlach-Arget liegt gut 20 Kilometer südlich von München. Vorbei an Häusern mit Lüftlmalerei, einem blühenden Rapsfeld und mehreren Kruzifixen am Wegrand zweigt die Straße links ab in den Wald. Ein paar hundert Meter weiter steht unter hohen Laubbäumen die Corona-Kapelle: Erbaut vor rund 200 Jahren; schlicht, weiß verputzt, mit Walmdach und kleinem Turm.
"Ja, ich habe gewusst, dass es sie gibt. Aber erst durch diese Krankheit ist sie mir auch mehr wieder ins Bewusstsein gekommen."
Josef Steinberger ist seit eineinhalb Jahren Pfarrer in Sauerlach und damit auch für diese Kapelle zuständig. Freimütig gibt er zu, dass er den Weg hier raus bis vor wenigen Wochen selten nahm. Warum auch? Früher rasteten hier vielleicht am Wochenende mal ein paar Radler oder Spaziergänger. Von einem Wallfahrts-Boom ist die Corona-Kapelle auch jetzt weit entfernt. Aber es kämen mehr Menschen als vor der Pandemie, sagt der Pfarrer.
Patronate entstehen zufällig
"Die Heilige Corona – man weiß ja nicht sehr viel von ihr – nur, dass sie als Märtyrerin gestorben ist. Wir haben vorn auch einen Holzaltar mit einem Bild, wo die Heilige Corona zu sehen ist, mit Palmen, die mehr oder weniger eine Krone bilden, denn Corona heißt ja auf Deutsch Krone."
Daher die Namensgleichheit mit dem Virus, das, mit dem Mikroskop betrachtet, einer Krone ähnelt. Corona soll im zweiten oder dritten Jahrhundert in Ägypten oder Syrien hingerichtet worden sein, weil sie ihrem Glauben treu blieb. Die Legende besagt, man habe sie zwischen zwei heruntergebogenen Palmen festgebunden. Als diese hochschnellten, sei sie zerrissen worden.
07.05.2020, Nordrhein-Westfalen, Aachen: Die Darstellung der Heiligen Corona (M) auf dem Schrein im Dommuseum in Aachen. Im Hintergrund sind zwei Palmen zu sehen.
Die Heilige Corona auf einem Schrein im Aachener Dom (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Die Heilige gilt unter anderem als Patronin der Metzger sowie in Geldangelegenheiten. Mancherorts wurde sie wohl auch gegen Seuchen angerufen – etwa im niederösterreichischen Dorf Sankt Corona am Wechsel, wo die Bauern für sich und ihre Tiere um Schutz vor Epidemien und Missernte beteten. Religiöses Brauchtum hänge oft mit der konkreten Lebenswelt der Menschen zusammen, erklärt Winfried Haunerland, Professor für Liturgiewissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
"Die verschiedenen Patronate, die jemand bekommt, sind auch manchmal eher zufällig geworden. Weil es eben an bestimmten Orten eine Heiligenfigur oder eine Verehrung gab. Und man hat in einer bestimmten Not um die Fürsprache dieser Heiligen gebeten. Aus dem Versprechen, dass man dieser Heiligen eine Kapelle baut oder eine Wallfahrt macht, entwickelt sich dann eben auch eine bestimmte Form von Frömmigkeit. Dass jetzt gerade mit Corona, dieser frühchristlichen Märtyrerin, dies oder jenes verbunden wird, kann nur etwas eher Zufälliges sein, weil wir ja von ihr selbst wenig wissen."
"Menschen sind nicht nur Geist"
Reliquien der Heiligen sollen sich auch im Aachener Dom befinden – Kaiser Otto der Dritte soll sie im Jahr 997 aus Italien nach Aachen gebracht haben. Die Domschatzkammer hat nun den fast 100 Kilo schweren Corona-Schrein aus ihrem Depot geholt, der seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gezeigt wurde. Wallfahrten zu Ehren der Heiligen Corona gab es vor allem in Österreich und Bayern.
"Ich glaube, dass Wallfahrten deshalb sehr beliebt sind, weil hier etwas Religiöses getan wird, was nicht nur in Worten besteht, sondern ganzheitlich. Der Mensch kann sich auf den Weg machen, seine Schwierigkeiten, seine Sorgen oder auch seine Dankbarkeit mitnehmen und irgendwohin bringen. Wir Menschen sind ja eben nicht nur Geist, sondern wir sind Körper. Und wir sind mitten in einer Welt, die nicht nur aus Ideen, aus einem abstrakten Fürwahrhalten und Glauben besteht, sondern das soll auch konkret werden."
Allerdings sieht Liturgiewissenschaftler Haunerland den rechten und den falschen Gebrauch religiöser Frömmigkeit nah beieinander. Etwa, wenn Menschen die Pandemie als Strafe Gottes verstünden.
"Natürlich kann es die Vorstellung geben, dass ich mit dem lieben Gott einen Handel machen kann, indem ich hingehe und sage, wenn ich dieses oder jenes tue, dann gibst du mir das. Sie denken verständlicherweise menschlich, aber sie denken natürlich allzu menschlich. Einerseits weil sie das Anderssein Gottes nicht ernstnehmen. Und weil sie sich das Einwirken Gottes auf unseren Alltag tatsächlich so vorstellen wie der Vater oder die Mutter, die sagen können, du bekommst das Eis oder eben nicht."
"Eine Kerze anzünden ist ein offenes Ritual"
Erfahren Corona-Wallfahrten künftig, sobald größere Treffen wieder erlaubt sind, womöglich eine Renaissance? Für die Kapelle im oberbayerischen Arget ließ der griechisch-orthodoxe Erzpriester Apostolos Malamoussis aus München spontan eine Heiligen-Ikone malen, die er demnächst übergeben will.
Es gibt mehr Menschen, die Zettel mit Gebetsanliegen formulieren und Kerzen anzünden. Auch wer kirchlich nicht gebunden sei, suche an Orten wie diesen spirituelle Ausdrucksformen, sagt Liturgiewissenschaftler Haunerland:
"Eine Kerze, die ich anzünde, da kann ich ganz individuell meine Spiritualität, meine Wünsche, meine Vorstellungen von Heil, von Gott, von den Heiligen unterbringen. Eine Kerze anzünden ist ein sehr offenes Ritual – etwas, was eben nicht normiert ist wie ein fester Text."
Der Pfarrer Josef Steinberger blickt freundlich aus dem Eingang der St. Corona-Kapelle im bayerischen Sauerlach-Arget
Pfarrer Josef Steinberger plant eine Wiederaufnahme der Corona-Wallfahrten (Deutschlandradio / Burkhard Schäfers)
Künftig will Josef Steinberger die gemeinsame Wallfahrt zur Corona-Kapelle wiederaufleben lassen, vielleicht zum Gedenktag der Heiligen am 14. Mai. Allerdings erst, wenn die Risiken der Pandemie gebannt seien, sagt der Pfarrer. Bis dahin sollten die Menschen möglichst nur allein herkommen – mit Blick auf den Gesundheitsschutz, aber auch im Sinne einer inneren Einkehr:
"Wir sind mitten im Wald – zum einen die Kapelle, wo man zum Beten herkommen kann. Also für die Seele, aber auch für den Leib Erholung. Dass man hier auch sehr gut noch Spazieren kann und die Gedanken wieder ordnen."
Die wiederentdeckte Heilige ist im Übrigen auch Patronin der Schatzgräber. Vielleicht sind das im übertragenen Sinne ja jene Forscher, die nach einem Corona-Impfstoff suchen.