Archiv


"Zurück zum Kerngeschäft"

Ein Dokument beschäftigt seit Tagen die Republik: eine Dienstanweisung zum Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, die die Stasi-Unterlagenbehörde als neuen Fund präsentiert hat und dessen Wortlaut aber seit zehn Jahren bekannt ist. Dieser Fund hat eine lebhafte Debatte über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit ausgelöst. Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee Leipzig fordert nun eine Rückbesinnung der Birthler-Behörde auf ihr Kerngeschäft: die Aktenerschließung und -verwaltung.

Moderation: Stefan Koldehoff | 14.08.2007
    Stefan Koldehoff: Tobias Hollitzer ist Mitbegründer und Leiter der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" in Leipzig. Er gehört zu jenen, die sich in Bürgerkomitees nach dem Ende der DDR dafür eingesetzt haben, dass die Akten weder vernichtet noch weggeschlossen werden, sondern der Aufarbeitung der DDR-Geschichte dienen konnten. Herr Hollitzer, da hat die Birthler-Behörde offenbar nicht sehr geschickt agiert, indem sie ein Dokument als Neuentdeckung präsentiert, das gar keine ist. Jetzt fordert man die Auflösung der Behörde und die Übergabe der Unterlagen zum Bundesarchiv. Was halten Sie von so einem Vorschlag?

    Tobias Hollitzer: Die Diskussion um die Zukunft der Behörde ist ja wesentlich älter als die jetzt aktuellen Auseinandersetzungen und sie muss mit Sicherheit geführt werden, sie muss mit Sicherheit auch ergebnisoffener geführt werden, als es die Behörde in der Vergangenheit getan hat. Aus meiner Sicht zeigt auch vor allen Dingen die Verwirrung um diesen Fund - einmalig oder nicht und erstmalig gefunden - sehr deutlich, dass die ja auch von verschiedener Seite, auch von uns schon erhobene Forderung noch mal deutlich unterstützt werden muss, dass die Behörde vor allen Dingen zukünftig ihren Schwerpunkt auf dem Kerngeschäft Archiv verstehen muss, zunehmend alles, was sie an Kapazitäten hat, in den Bereich der Aktenerschließung stecken muss um hier endlich, 15 Jahre nach Beginn der Behörde, auch wirklich zu vernünftigen Zwischenergebnissen zu kommen. Und damit würde man sicherlich auch manchem Kritiker, der jetzt die grundsätzliche Auflösung und Kompletteinordnung ins Bundesarchiv fordert, Argumente einfach nehmen.

    Koldehoff: Sie fordern eine stärkere Forschungstätigkeit, habe ich das richtig verstanden?

    Hollitzer: Nein, eine stärkere Erschließung der teilweise ja im Umfang von mehreren tausend Metern noch unerschlossen in den Archiven liegenden Akten, damit sie überhaupt erst für die Forschung zur Verfügung stehen.

    Koldehoff: Man weiß also noch gar nicht, was alles da ist und wie es systematisch zu ordnen ist, um es dann anderen zur Verfügung zu stellen.

    Hollitzer: Das ist ja das zentrale Problem mit dem jetzt aufgefundenen Befehl gewesen, dass er in einer IM-Akte, also einer personenbezogenen Akte, aufgefunden worden ist und quasi als Zufallsfund galt. Und ich weiß nicht, inwieweit das eigentlich auch überhaupt bewusst und deutlich ist, dass die Gesamtheit ihrer personenbezogenen Unterlagen bis heute vollkommen unerschlossen sind, bezogen auf die sachlichen Inhalte. Das heißt, nach dem Namen findet man sie, aber eben nach solchen inhaltlichen Kriterien wie zum Beispiel diesem Schießbefehl oder anderen Informationen sind diese Akten bis heute gänzlich unzugänglich.

    Koldehoff: Woran liegt das? Zu wenig Personal, zu viele andere Aufgaben oder Anfragen von außen?

    Hollitzer: Einerseits sicherlich zu wenig Personal, aber auf der anderen Seite - und das ist eben einer der Kritikpunkte - eine zunehmende Schwerpunktverlagerung hin in den Bereich der Aktenauswertung, der politischen Bildung, des Veranstaltungsorganisierens, der Ausstellungsgestaltung. Und dort ist aus meiner Sicht schon zunehmend jetzt die Forderung, die ja auch Herr Neumann in seinem Entwurf für das neue Gedenkstättenkonzept erhoben hat, noch mal zu unterstreichen: Zurück zum Kerngeschäft, um dort sozusagen erst mal die Hausaufgaben zu erledigen.

    Koldehoff: Aber dann könnte ja vielleicht tatsächlich eine Eingliederung ins Bundesarchiv sinnvoll sein, denn dort sitzen ja die Fachleute, die genau so etwas können - Akten nach Sachgebieten erschließen.

    Hollitzer: Ich gehe davon aus, dass in den letzten 15 Jahren des Bestehens der Behörde sich auch entsprechend Sachverstand in der Behörde - gerade was den Umgang mit diesen speziellen Überlieferungen des Staatsicherheitsdienstes - angesammelt hat, der nur einfach in dem Maße auch umgesetzt und angewandt werden muss. Hier ist schon auch eine klare, politische Entscheidung der Behördenleitung gefragt. Was sozusagen versteht die Behörde, Frau Birthler konkret, hier als Kerngeschäft der Behörde? Die Gesamtheit der Aufgaben, einschließlich auch der Dinge wie Ausstellungen, politische Bildung, die auch Dritte übernehmen könnten? Oder eben vor allen Dingen die Dinge, die als ein quasi Monopol über das Stasi-Unterlagengesetz nur der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zugeordnet worden sind, nämlich die Aktenerschließung und -verwaltung?

    Koldehoff: Es ist so erstaunlich schnell und so erstaunlich vehement gekommen, dass nun nach diesem Lapsus mit dem Dokument, das da als neu präsentiert wurde, es aber gar nicht war, Leute gefordert haben, man soll doch lieber dichtmachen, man soll doch lieber auslagern. Stecken da auch politische Motive hinter? Gibt es Leute, denen diese Behörde seit langem schon nicht mehr schmeckt aus ganz grundsätzlichen Erwägungen?

    Hollitzer: Die Diskussion um die Zukunft der Behörde ist ja so alt, wie die Existenz der Behörde ist. Das heißt, von Anfang an hat es immer eine nicht geringe Anzahl von Stimmen gegeben, die gefordert haben, diese Behörde abzuschaffen, die sie als Geldverschwendung eingestuft haben etc. Das ist insoweit nicht neu. Was neu ist, ist, dass eben zunehmend diese Kritik auch aus, ich sage mal, eigentlich den Unterstützerkreisen kommt, weil eben in der Vergangenheit, gerade im Bereich der Akten-zur-Verfügung-Stellung für Dritte offenbar doch so große Mängel zu verzeichnen waren, dass die Verärgerung darüber offenbar so groß ist, dass teilweise sogar jetzt die grundsätzliche Forderung einer Komplettverlagerung ins Bundesarchiv erhoben wird, wobei ich denke, die Behörde könnte diese Kritik wesentlich entschärfen, wenn sie eben die Forderung, die dahintersteht, die völlig zu Recht bestehende Forderung, das zumindest der Teil Archiv eben wirklich als Archiv und wie ein Archiv, nämlich als reine Dienstleistung für die Forschung, für die politische Bildung, für Museen und Gedenkstätten, für persönliche Akteneinsicht, aufgebaut und ausgebaut wird.

    Koldehoff: Back to the roots also, das war Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu Forderungen nach Auflösung der Birthler-Behörde.