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Abnicker oder wichtiges Korrektiv?
Deutschland wählt neue Schöffen

Ob Bäcker, Leistungssportler oder Hausfrau: Jeder kann Schöffe werden. 2018 werden die rund 60.000 Laienrichter-Positionen neu vergeben. Allerdings gibt es seit längerem Kritik am Schöffen-Amt. Dabei hat der nicht-juristische Blick von Außen auf Mord, Diebstahl und Co. durchaus seine Vorteile.

Von Michael Borgers | 27.02.2018
    Anfang Februar in Aachen. Vor dem Landgericht stehen fünf Männer. Ihnen wird vorgeworfen, Drogen hergestellt und im sogenannten Darknet verkauft zu haben. Ihre Verhaftung sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Die Angeklagten sollen Teil der rechtsextremen Szene sein. Ihnen drohen mehrere Jahre Haft.
    Über ihr Schicksal entscheiden werden in einigen Monaten drei Berufsrichterinnen und zwei Schöffen. Das sind Bürger, die nicht jahrelang Jura studiert, sondern andere Berufe erlernt haben –am Ende aber dennoch Recht sprechen werden, wie Gerichtssprecher Daniel Kurth betont:
    "Wenn beide Schöffen gegen eine Verurteilung sind, dann kann jemand nicht verurteilt werden, selbst wenn die drei Berufsrichter für eine Verurteilung wären."
    Entscheidungen über die Schuldfrage bedürfen grundsätzlich einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Schöffen sind ein entscheidender Bestandteil des deutschen Rechtssystems. In diesem Jahr werden sie wieder neu gewählt – und zugleich wieder infrage gestellt: Ist die Beteiligung ehrenamtlicher Richter überhaupt noch zeitgemäß?
    Das Aachener Verfahren ist öffentlich. Die Namen der Schöffen gibt das Gericht bekannt – viel mehr aber nicht. Auch er erfahre nicht mehr als Name, Alter und Beruf, sagt Udo Vetter, der einem der Angeklagten im Gericht als Strafverteidiger beisteht. Allerdings sei es in Zeiten sozialer Netzwerke leichter geworden, mehr herauszufinden:
    "Also, wenn ein Grund für mich besteht, ein bisschen mehr über die Schöffen wissen zu wollen, dann gucke ich natürlich als Allererstes auf Facebook und google mal die Namen. Da findet man dann oft die Hintergründe – und die sind mitunter recht interessant."
    Hintergründe, die dazu führen können, dass Prozesse abgebrochen werden müssen. So wie im Fall eines Düsseldorfer Schöffen, der sich in seinem Facebook-Profil kritisch über einen Migranten im Zusammenhang mit einem Sexualdelikt geäußert hatte.
    "Und das war für mich natürlich Anlass den Schöffen als befangen abzulehnen, einfach vor dem Hintergrund, dass mein Mandant einen Migrationshintergrund hat. Der fühlte sich natürlich von einem solchen Schöffen dann nicht mehr gerecht behandelt, wenn der sich sogar in der Öffentlichkeit abfällig über Ausländer äußert."
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    Nur wenige Schöffen beteiligten sich aktiv am Prozess, beobachtet Udo Vetter (Deutschlandradio/Michael Borgers)
    Zusammenarbeit mit Schöffen nicht immer einfach
    Schöffen sind, genau wie Berufsrichter, angehalten, unparteiisch zu sein. Auch vor Gericht dürfen sie nach außen keine eindeutigen Gefühlsregungen zeigen. Sich aktiv zu beteiligen, ist hingegen erlaubt. Doch die Wenigsten machten davon Gebrauch und stellten Angeklagten und Zeugen Fragen, beobachtet Udo Vetter. Er erlebe Schöffen deshalb häufig nur als "Abnickorgan", kritisiert der Rechtsanwalt.
    "Die Berufsrichter haben eine gewisse Dominanz. Und ich hab‘ in meiner Karriere erst ein oder zwei Fälle erlebt, in denen ich mitbekommen habe, dass Schöffen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben durch ihren Protest, als die die Berufsrichter eigentlich wollten."
    Wolfgang Becher war fast 40 Jahre Berufsrichter, lange als Vorsitzender Richter in einer Strafkammer. Den Gedanken, die Bürger am Prozess der Rechtsfindung zu beteiligen, begrüße er grundsätzlich, sagt der 73-Jährige, der noch als Anwalt arbeitet.
    "Denn der Schöffe geht dadurch, dass er nicht das ausgeprägte juristische Know-how hat, relativ unbefangen an die Dinge heran, ist also, ich will’s mal so formulieren, juristisch nicht verklemmt, sondern völlig offen, naiv und dementsprechend auch kritisch bzw. unkritisch im Umgang mit dem, was da zur Entscheidung ansteht, was als Prozessstoff auf ihn zukommt."
    Allerdings habe sich die Zusammenarbeit in der Praxis häufig als nicht gerade einfach dargestellt, schränkt Becher ein.
    "Weil eben die Schöffen ja Laien sind. Es sind, wenn man es in der Fußballer- oder Sportlersprache ausdrücken wollte, sind es ja die Amateure."
    Besonders deutlich zeige sich das, findet Becher, am Ende eines Strafprozesses. Dann, wenn es um die Frage nach der Schwere der Schuld und dem Strafmaß geht – ein Augenblick, in dem die Stimme der "Amateure" genau so viel zählt wie die der Profis. Je nach Verfahren an Amts- oder Landgericht sind einer, zwei oder drei Berufsrichter und stets zwei Schöffen beteiligt. Also muss für ein gültiges Urteil immer mindestens ein Schöffe dem Berufsrichter folgen.
    "Das muss man dann gegebenenfalls dem Schöffen, so er denn eine abweichende Vorstellung hat und sagt ‚Der könnte doch noch mal ein bisschen ne Chance bekommen‘, das müsste man dann gegebenenfalls unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben zurechtrücken, und die entsprechende Überzeugungsarbeit beim Schöffen leisten. Was in aller Regel, und ich kann sagen bei mir in allen Fällen gelungen ist."
    Forderung nach Abschaffung der Schöffen
    Ein System, das Amateure einschließt, die im Zweifel aber doch den Profis unterlegen sind – in anderen Bereichen der Rechtsprechung ist das anders. So kommen auch im Arbeits-, Verwaltungs- oder Handelsrecht ehrenamtliche Richter zum Einsatz. Nur wird hier eine entsprechende berufliche Erfahrung erwartet. Noch einmal Wolfgang Becher:
    "Nur es ist ja so, wenn man zum Beispiel die Strafgerichtsbarkeit nimmt, da ist ja niemand so erfahren, dass er aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus einen Beitrag juristisch fundierterer Art leisten könnte."

    Das Gebäude des Land- und Amtsgerichtes, aufgenommen am 21.09.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen).
    Immer wieder gibt es Kritik am Schöffen-System (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Deshalb könne man, findet Wolfgang Becher, wohl auch ganz auf das Schöffenwesen in der Strafgerichtsbarkeit verzichten. Diese Forderung nach einer Abschaffung der ehrenamtlichen Richter im Strafrecht ist nicht neu, Fachleute greifen sie immer wieder auf. Zuletzt hatte das Land Mecklenburg-Vorpommern bei der Justizministerkonferenz der Länder beantragt, dass Wirtschaftsstrafverfahren künftig ohne Schöffen verhandelt werden. Mit der Begründung, die Belastungen für Berufs- und Privatleben der Laienrichter seien zu groß.
    Die Frage, wie das Amt des Schöffen mit der eigenen privaten und beruflichen Situation vereinbar ist, beschäftigt auch die Besucher einer Informationsveranstaltung in Bonn. Organisator des Ganzen: der nordrhein-westfälische Landesverband ehrenamtlicher Richter.
    "Jetzt besteht noch die Möglichkeit, zu fragen. 1234567 – wer hat die Zahl 1?" "Ich habe ne ganz praktische Frage…"
    Wie weit im Voraus die Verhandlungstermine bekannt gegeben würden, will die Frau wissen. Eine andere interessiert, ob der Arbeitgeber sie beurlauben muss und wie hoch die Aufwandsentschädigung ist. Die Antworten: Der Arbeitgeber muss den Einsatz ermöglichen, und es gibt eine Aufwandsentschädigung. Die meisten Fragen drehen sich um Organisatorisches. Die inhaltlichen Erwartungen sind bei vielen Besuchern hingegen klar:
    "Ja, um auch ein bisschen näher dran zu sein an der Justiz und an dem Hintergrund, wie Entscheidungen dort zustande kommen."
    "Zu sehen, wie das funktioniert, und dass die da auch gleichberechtigt dasitzen und Fragen stellen und mitentscheiden."
    Rund 100 Frauen und Männer sind an diesem Abend zu dem Termin an der Volkshochschule in Bonn gekommen. Es gilt, am Ende rund 550 ehrenamtliche Richter zu finden – alleine für den Gerichtsbereich der ehemaligen Bundeshauptstadt. Deutschlandweit sind mehr als 60.000 Schöffen tätig.
    Schöffen-Amt ist Bürgerpflicht
    Und doppelt so viele Personen werden insgesamt gesucht in den kommenden Wochen. Das Verfahren ist bundesweit geregelt. Für die Kommunen, die die Wahlen durchführen, ist das ein großer organisatorischer Aufwand: Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass sie auf jeden Schöffenposten zwei Bewerber vorschlagen. Doch das gelingt nicht überall: Metropolen wie Berlin, Hamburg oder Köln haben traditionell Probleme, genügend Freiwillige zu finden. Ist das der Fall, werden beliebige Personen aus dem Melderegister vorgeschlagen. Ablehnen dürfen die Ausgewählten nur unter besonderen Umständen, denn: Das Schöffenamt gilt als Bürgerpflicht.
    Die Besucher der Informationsveranstaltung in Bonn müssen nicht zwangsverpflichtet werden, sie wollen sich engagieren. Entsprechend muss Richter Andreas Dubberke, der an dem Abend über Pflichten und Möglichkeiten des Schöffenamts aufklärt, auf ganz andere Sorgen eingehen. Ein Besucher hat gelesen, Schöffen erhielten nicht genügend Einsätze:
    Zahlreiche Passanten sind in der Fußgängerzone Ludgeristraße in Münster unterwegs.
    Jeder kann Schöffe werden (imago / Rüdiger Wölk)
    "Einige sind wirklich enttäuscht, weil sie so selten drankommen. Das kann man konstatieren. Aber die, die dann regelmäßig drankommen, sind, soweit ich das mitbekomme und beurteilen kann, immer am Ende sehr zufrieden mit dieser Tätigkeit."
    Kompliziertes Wahlverfahren
    Grundsätzlich gelte: Zu viel Personal für zu wenige Einsätze, kritisiert die Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, kurz DVS. Der Bundesverband mahnt seit Jahren eine Reform der Regeln für die Schöffenbeteiligung an.
    So sei die Dauer einer Amtsperiode von fünf Jahren zu lang, sagt Hasso Lieber, Gründer und bis vor kurzem Vorsitzender der Schöffen-Vereinigung. Außerdem sei ein neues, weniger kompliziertes Wahlverfahren längst überfällig. Das aktuelle mit seiner zweistufigen Wahl, bei dem die Kommunen doppelt so viele Bewerber vorschlagen und ein Ausschuss mit Vertretern aus der Gesellschaft dann sehr beliebig auswählen müsse, habe negative Auswirkungen.
    "Genau auf diese Weise kommen querulatorische Reichsbürger, Alkoholiker, Leute, die kein Deutsch beherrschen, oder solche, was am schlimmsten ist, die schlicht keine Lust haben auf das Amt, die kommen dann in das Schöffenamt. Wenn dann in einem konkreten Verfahren etwas schiefgeht, weil der Schöffe nicht kommt, weil er einschläft, weil er nichts versteht oder am Handy daddelt, dann heißt es wieder in den Medien: abschaffen."
    Wenig Wertschätzung für Schöffen-Amt
    Positiv dagegen fänden Schöffen nur selten Erwähnung, beobachtet Hasso Lieber, der selbst als Richter und Rechtsanwalt gearbeitet hat. Das wiederum habe zur Folge, dass viele Menschen gar nicht genau wüssten, was im Gerichtssaal vor sich geht.
    "Von Grisham und L.A. Law wissen die meisten mehr über das amerikanische Rechtssystem als über das eigene deutsche."
    Hasso Lieber sieht auch die Politik in der Pflicht. Sie müsse mehr für Bekanntheit und Ansehen der Bürgerbeteiligung im Rechtssystem tun.
    Einer Forderung seines Bundesverbandes kam die Politik im vergangenen Jahr nach: Schöffen ist es künftig möglich, insgesamt länger im Amt zu bleiben. Bislang war die maximale Dauer auf zwei Perioden begrenzt. Begründet wurde das unter anderem damit, die ehrenamtlichen Richter dürften nicht zu erfahren werden. Für Brigitte Frieben-Safar vom nordrhein-westfälischen Landesverband der ehrenamtlichen Richter ist das kein Argument:
    "Auch nach zehn Jahren Amtszeit haben wir nicht die juristischen Kenntnisse der Berufsrichter. Wir sind und bleiben die Schöffen, wir sind und bleiben die Laien, insofern ist es auch durchaus vertretbar, wenn wir, sofern wir uns denn so engagieren wollen, auch noch zum Beispiel eine dritte Amtszeit machen."
    Und genau das will Brigitte Frieben-Safar im kommenden Jahr tun: sich zum dritten Mal zu dem Ehrenamt bereit erklären. Die Aufgabe mache ihr Spaß, sagt die hauptberufliche Übersetzerin. Sie schätze es, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich den Respekt der Berufsrichter zu erarbeiten.
    Einer jungen Frau, die im Anschluss an die Informationsveranstaltung noch hadert, ob sie der Verantwortung des Amtes gerecht werden kann, macht die erfahrene Schöffin Mut, sich dennoch zu bewerben.
    "Ich verantworte es mit, und ich kann es eben auch mit verantworten, wenn ich mündig daran mitgewirkt habe, und wenn ich mich von den Berufsrichtern auch habe beraten lassen."
    Die Fähigkeit, mündige Entscheidungen zu treffen
    Genau darum gehe es, unterstreicht auch Amtsrichter Andreas Dubberke. Nicht um die berufliche Qualifikation, sondern die Fähigkeit, mündige Entscheidungen treffen zu können. Dazu braucht es aus seiner Sicht Folgendes:
    "Im Grunde genommen gesunder Menschenverstand. Das heißt ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache, Kommunikationsfähigkeit, eine gewisse Lebenserfahrung, Gerechtigkeitssinn. Aber es gibt da jetzt kein Examen, keine Prüfung, die man da abhaken könnte."
    In der Bonner Volkshochschule greifen die meisten Besucher zum Ende der Veranstaltung zum Bewerbungsbogen, der am Ausgang ausliegt. Hier können sie neben biografischen auch persönliche Angaben vermerken, begründen, warum sie Schöffe werden wollen. Das ist ein Vorteil gegenüber dem Online-Verfahren, wo das nicht möglich ist. So kann der Wahlausschuss, der in einigen Monaten zusammenkommt, auf jeden Fall erkennen, wer sich freiwillig gemeldet hat – und wer in die Pflicht genommen wurde.
    Bei der Schöffenwahl in diesem Jahr werden neben den Haupt- und Hilfsschöffen auch neue Jugendschöffen bestimmt. Michael Hassdenteufel beendet gerade seine zweite Amtszeit als Jugendschöffe in Düsseldorf.

    An diesem Tag sitzt er einer nicht-öffentlichen Verhandlung bei, Presse ist nicht zugelassen. Damit bei Angeklagten und anderen Prozessbeteiligten nicht der Eindruck entsteht, er gebe ein Interview im betreffenden Fall, findet das Gespräch in einem anderen Gerichtssaal statt - und nicht auf dem Flur, wo Hassdenteufel gesehen werden könnte.
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    Das Amt als Schöffe habe ihn verändert, sagt Michael Hassdenteufel (Deutschlandradio/Michael Borgers)
    Schöffen dürfen nicht über Prozess-Inhalte sprechen
    Über Inhalte ihrer Prozesse – egal ob öffentlich oder nicht – dürfen Schöffen grundsätzlich nicht sprechen, nicht mit Journalisten, aber auch nicht mit Freunden oder Familie. Hassdenteufel hat sich daran gewöhnt. Das Amt habe ihn verändert, sagt er. So habe er früher auch eher zu denen gehört, die den Umgang mit jugendlichen Straftätern zu lasch finden und härtere Strafen fordern:
    "Aber wenn man dann die ganze Geschichte hört, gerade bei Jugendlichen, dann sieht es anders aus. Dann erkennt man auch, wie wichtig dieser erzieherische Gedanke ist, nicht dieser Sühnegedanke, sondern die Erziehung. Und so mancher, der straffällig geworden ist, der hat auch noch mal ne siebte oder achte Chance verdient."
    "Die Schöffen kommen mit einer anderen Einstellung in den ersten Sitzungstermin, als sie dann am Ende eines Sitzungstages rausgehen",
    beobachtet auch Elisabeth Stöve, Sprecherin des Düsseldorfer Landgerichts und selbst Richterin.
    "Und gerade in Jugendstrafsachen wird das Leben der Jugendlichen in den Mittelpunkt gestellt. Und das erleben die Schöffen das erste Mal im Sitzungssaal, weil es immer in der Öffentlichkeit – notwendigerweise auch – alles verkürzt dargestellt wird."
    Erzieherische Befähigung und Erfahrung bei Jugendschöffen erforderlich
    Dass Michael Hassdenteufel ausgerechnet Jugendschöffe wurde, sei eher Zufall, sagt er. Bereits lokalpolitisch engagiert, wurde er angesprochen – und erklärte sich spontan bereit.
    "Meine Gedanken waren erst einmal: Was mach ich hier eigentlich als Schöffe? Ich wusste erst einmal gar nichts mit dieser Aufgabe anzufangen. Und bei meinem ersten Prozess hab ich vor der Beratung den vorsitzenden Richter dann mal gefragt, ‚Was möchten Sie denn jetzt? Möchten Sie meinen Rat?‘ Da sagte er: ‚Ne, Ihren Rat brauch ich nicht. Ich brauch Ihr Urteil.‘ Erst da war mir eigentlich bewusst, in welcher Situation ich bin. Dass ich direkt in das Leben eines anderen Menschen mit meinem Ja oder Nein eingreife."
    Wer Jugendschöffe werden will, sollte über erzieherische Befähigung und Erfahrung verfügen, heißt es in der Amtsbeschreibung. Typische Delikte, die in Jugendstrafverfahren verhandelt werden, sind Diebstahl, Sachbeschädigung oder Körperverletzung – aber auch Mord oder Vergewaltigung kommen vor. Die Angeklagten sind zwischen 14 und 21 Jahren alt. Für ihn als Schöffe gehe es dann häufig vor allem darum, sich emotional nicht zu sehr einzulassen, sagt Hassdenteufel:
    "Ich will nicht sagen, es lässt einen alles kalt. Aber man ist ja um eine Neutralität erst mal bemüht, das heißt ja dann auch, dass ich versuche, keine starken Gefühle da aufzubauen, die mich vielleicht in eine Richtung treiben."
    Mehr Unterstützung vom Staat gefordert
    Dennoch wünscht sich auch Hassdenteufel mehr Unterstützung vonseiten des Staats. Er kritisiert,
    "dass man Leute in ein Ehrenamt reinschickt, das ja verpflichtend ist, ich kann’s ja nicht ablehnen, ich kann nicht sagen, nee, ich geh da nicht hin, der Prozess gefällt mir nicht, sondern ich bin ja vorgeladen. Ich bin ja auch nicht eingeladen, sondern ich bin vorgeladen. Und bekomm‘ dann seitens des Staates überhaupt keine Hilfe."
    Der Staat verlasse sich zu sehr auf die Angebote anderer, wenn es darum gehe, Schöffen auf ihr Amt vorzubereiten – und später das Erlebte zu verarbeiten: Weder Laien-, noch Berufsrichtern würden therapeutische Angebote gemacht.
    Doch trotz allem: Hassdenteufel sieht seine Aufgabe als persönliche Bereicherung. Auch er will weitermachen und sich in diesem Jahr zum dritten Mal zum Jugendschöffen wählen lassen.
    Ein Mann steht mit einem Besen vor einer Wand aus Aktenordnern
    Auch nach vielen Jahren als Schöffe verfügt man noch nicht über die Kenntnisse wie ein Volljurist (imago stock&people)
    In Aachen haben die beiden Laienrichter beim Prozess um den Vorwurf bandenmäßigen Drogenhandels einen kurzen ersten Einsatz. Bereits nach nur zwei Stunden ist Schluss mit der Verhandlung. Ein Verteidiger hat der Vorsitzenden Richterin und ihren Beisitzerinnen Befangenheit vorgeworfen und fordert eine Neubesetzung der Berufsrichter. Die Ehrenamtlichen wären aber wohl auch in diesem Fall weiterhin mit dabei.
    "Ich kann Sie aber insofern beruhigen: Derzeit sind keine Anträge in Bezug auf die Schöffen von mir geplant",
    sagt Udo Vetter, einer der an dem Verfahren beteiligten Strafverteidiger, der zur Vorbereitung immer versucht, im Internet so viel wie möglich über die ehrenamtlichen Richter herauszufinden.
    Und auch wenn er die Schöffen in den Verfahren häufig als "Abnicker" von Entscheidungen der Berufsrichter erlebe, sagt Vetter, sei er doch froh, dass es sie gibt:
    "Weil sie Menschen im Gerichtssaal sind, Menschen wie du und ich sozusagen. Schöffen sehen vielleicht auch eher den Menschen hinter der Anklage und gucken dann mal: Ist das jemand, der eine traurige Vorgeschichte hat? Ist das jemand, der – zum Beispiel in Missbrauchsfällen – selbst missbraucht worden ist? Das entschuldigt das dann nicht. Aber Schöffen haben häufig aus ihrer Lebenserfahrung dann ein gutes Gespür dafür."