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Berlin
Wohnraumversorgungsgesetz soll Mietmarkt entspannen

Innerhalb kürzester Zeit sammelten diverse Berliner Mieterinitiativen im vergangenen Frühjahr 40.000 Unterschriften mit dem Ziel, 2016 per Volksentscheid bezahlbare Mieten in der Stadt durchzusetzen. Nun tritt dazu ein Gesetz in Kraft. Ob es der große Wurf ist oder eigentlich viel zu wenig - darüber streiten sich die Experten.

Von Wolf-Sören Treusch | 30.12.2015
    "Bezahlbare Mieten" steht auf einem Wandbild nahe dem Kottbusser Tor in Berlin im Bezirk Kreuzberg.
    "Bezahlbare Mieten" steht auf einem Wandbild nahe dem Kottbusser Tor in Berlin: Ein Gesetz soll dieses nun mehr ermöglichen. (picture alliance / Wolfram Steinberg)
    An der Holzhütte vor dem Hochhausblock am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist alles wie immer: Bewohner warten auf den Beginn der Mieterberatung, Plakate rufen zur nächsten Demo auf. Das Wohnraumversorgungsgesetz, das am Neujahrstag in Kraft tritt, bedeutet für Mietaktivistinnen wie Ulrike Hamann noch lange nicht, dass der Kampf vorbei ist:
    "Wir sind natürlich erst mal skeptisch. Es gab wirklich viele Dinge, wo wir das Gefühl hatten, jetzt passiert endlich mal was. Und am Ende war es doch nur eine Mogelpackung."
    Seit Jahren setzt sie sich für bezahlbare Mieten im Kiez ein. Sie wohnt selbst in einer der etwa 1.000 ehemaligen Sozialwohnungen am Kottbusser Tor.
    Zuschuss zur Nettokaltmiete
    Wichtigster Punkt des neuen Gesetzes: Wer Sozialmieter ist, hat künftig Anspruch auf einen Mietzuschuss in Höhe von bis zu 2,50 Euro pro Quadratmeter. Und zwar immer dann, wenn die Nettokaltmiete die Grenze von 30 Prozent des anrechenbaren Einkommens überschreitet. Ulrike Hamann bezweifelt, dass sie und ihre Nachbarn davon profitieren werden:
    "Weil die Mieter aufgrund der hohen Kosten ohnehin schon enger zusammengezogen sind. Das heißt, wer flächensparsam lebt, hat gar nichts von dem Gesetz."
    Beispiel Ahmet Tuncur, seit bald 40 Jahren Mieter im Hochhausblock am Kotti:
    "Im Moment zahle ich 1.300 Euro, quadratmeterweise genau 12,38 Euro warm."
    Ahmet Tuncer lebt mit drei Generationen zu sechst in einer Wohnung auf 105 Quadratmetern, sie haben gemeinsam ein Haushaltseinkommen durch Rente, Lohnarbeit und Jobcenter von 2.700 Euro. Wenn man das auf die Miete umrechnet, die Kaltmiete sind 661 Euro in dieser Wohnung, dann zahlen sie momentan sowieso nur 25 Prozent.
    Herr Tuncur bekommt nach neuer Gesetzeslage keinen Zuschuss, mehrere Zehntausend andere Sozialmieter schon. Zudem ist in dem Gesetz festgeschrieben, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mehr als die Hälfte der Neuvermietungen in ihren Gebäuden an Geringverdiener vergeben müssen. Und: Es sollen auch wieder mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Bis zu 3.000 pro Jahr. Dafür richtet Berlin ein Sondervermögen außerhalb des regulären Landeshaushalts ein. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel:
    "Also, insgesamt ein sehr umfangreiches Paket, das den Mieterinnen und Mietern in unserer Stadt tatsächlich nutzt. Insgesamt macht das für fünf Jahre ein Finanzvolumen von 1,3 Milliarden Euro sogar aus. Es ist aber nur ein erster Schritt."
    Problem der sogenannten Kostenmiete
    Denn noch keine Lösung hat die Politik für das Problem der sogenannten Kostenmiete. Das ist eine rechtliche Altlast aus der ehemaligen West-Berliner Wohnungsbauförderung und kann zu absurden Mieterhöhungen führen, immer dann, wenn der soziale Wohnungsbau keine Anschlussförderung mehr erhält. Kristina Schmygarjew und Familie sollen jetzt zwölf statt sechs Euro nettokalt pro Quadratmeter zahlen. Der Zuschuss, den Berlin nach dem neuen Gesetz leistet, hilft da wenig.
    "Am Anfang habe ich das gar nicht ernst genommen. Ich war einfach schockiert. Und dann frage ich mich: Hallo, wer ist denn der eigentliche Verbrecher in dem Ganzen?"
    Das neue Gesetz sieht nun vor, eine Expertenrunde einzusetzen.
    "Diese Expertenrunde soll dann mit tatsächlichen Experten besetzt sein, die werden im Jahr 2016 miteinander beraten, welche Lösungsansätze es an dieser Stelle gibt. Aber ich sagte ja: Es ist ein erster Schritt, das Wohnraumversorgungsgesetz, das ist noch nicht aller Tage Abend an dieser Stelle."
    Vor allem das mit dem Wohnungsbau, so Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, muss Berlin endlich hinbekommen:
    "Denn alle Entscheidungen zur Dämpfung der Mietentwicklung sind richtig und wichtig. Aber all das hilft uns nicht, wenn wir nicht schaffen, neue Wohnungen zu bauen. Und zwar in Größenordnungen neue Wohnungen zu bauen, weil wir nur auf diese Art und Weise die Menschen, die zu uns kommen, übrigens auch die Berlinerinnen und Berliner, die Wohnraum suchen, versorgen können. Das schärfste Schwert, das wir an dieser Stelle haben, ist der Neubau, da werden wir nicht herumkommen."
    15.000 Wohnungen sollen im kommenden Jahr entstehen, 2.500 davon im sozialen Wohnungsbau. Dazu noch Tausende Häuser in Leichtbauweise für mindestens 25.000 Flüchtlinge. Über das Wohnraumversorgungsgesetz hinaus hat sich der Berliner Senat viel vorgenommen.