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Krim-Krise
"Erstaunlich normal"

Die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland seien natürlich das Hauptgesprächsthema der Menschen, sagte Markus Göring, der deutsche evangelische Pfarrer auf der Krim, im DLF. Ansonsten sei auf den Straßen alles mehr oder weniger normal. Der Regierung in Kiew verbunden fühlten sich nur ganz wenige.

Markus Göring im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.03.2014
    Tobias Armbrüster: Wenn wir in diesen Tagen über die Ukraine sprechen, dann gehen alle Augen zunächst mal auf die Krim. Diese Halbinsel am Südrand der Ukraine ist derzeit so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt dieser Krise. Russische und ukrainische Truppen stehen sich dort seit dem Wochenende sozusagen Auge in Auge gegenüber. Wie machen sich die Spannungen dort im Alltag bemerkbar? Darüber habe ich gestern mit Markus Göring gesprochen, das ist der deutsche evangelische Pfarrer auf der Krim. Und weil der zurzeit nie weiß, was am nächsten Morgen bei ihm los ist, haben wir das Gespräch gestern Abend aufgezeichnet. Schönen guten Tag, Herr Göring!
    Markus Göring: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Göring, fühlen Sie sich zurzeit sicher?
    Göring: Das kommt drauf an. Die Situation ist so, wenn ich heute Morgen oder auch in den letzten Tagen auf die Straße gegangen bin, sobald ich draußen war, ist alles mehr oder weniger wie normal. Dann kommt das Gefühl von Sicherheit eher auf. Solange ich zu Hause sitze, die Nachrichten höre, sehe, dass hier unsere Stadt jetzt im Mittelpunkt einer geopolitischen Krise steht, dann kommt doch durchaus Herzklopfen auf. Und ich muss sagen, das hat jetzt tatsächlich nicht nur mich und meine Familie, sondern tatsächlich auch viele Menschen hier in dieser Stadt in den letzten Tagen begleitet.
    Armbrüster: Was ist denn von dieser Spannung im Alltag zu spüren?
    Göring: Es ist erstaunlich normal und die neu ernannte, von Kiew nicht akzeptierte Krim-Regierung bemüht sich auch sichtlich darum, hier Normalität auszustrahlen. Sie haben etwa in der Innenstadt diese bewaffneten prorussischen Milizen weitgehend abgezogen. Man sieht die nur noch vor einigen Gebäuden. Aber das Parlamentsgebäude und auch das Gebäude der Krim-Regierung, die sind jetzt im Grunde mehr oder weniger frei zugänglich. Jedenfalls von außen, von der Straße sieht man da nicht mehr so viel an Bewaffneten. Stattdessen versuchen die, ein bisschen eine Art Volksfeststimmung zu verbreiten. Da gibt es ein Open-Air-Konzert am Abend auf dem zentralen Platz. Da gibt es die ganze Zeit russische Volks- und Militärmusik. Aber ich sage Ihnen, so richtig große Beteiligung habe ich da nicht gesehen. Als ich das letzte Mal am Parlament vorbeigegangen bin, das waren gestern vielleicht ein paar Dutzend Menschen, die da standen, man kann also eigentlich fast nicht von einer Demonstration sprechen, die da stattfindet, sondern die meisten Leute warten ab, sind vorsichtig, sagen, uns wird schon nichts passieren, aber sind im Wesentlichen passiv, nehmen hin, was da mit dieser Gegend geschieht und sagen, im Zweifelsfall - es sind ja viele wirklich auch prorussisch eingestellt, wie wir das in Deutschland manchmal sagen – sagen, gut, die Russen kommen, aber sie werden uns schon nichts Böses tun. Solche, die viel russisches Fernsehen sehen und die dortigen Urteile übernehmen, sagen natürlich, die sind nur da, um uns zu schützen vor den Schurken in Kiew, die möglicherweise Banditen auf die Krim schicken wollen und so weiter und so fort.
    Armbrüster: Was ist denn zum Beispiel, Herr Göring, im Supermarkt. Legen die Menschen da Vorräte schon mal an für möglicherweise schlechtere Zeiten?
    Göring: Ich habe das in ganz einzelnen Fällen gesehen, vor allem letzte Woche Mittwoch, Donnerstag, auch an den Tankstellen da etwas längere Schlangen, aber diese Hamsterkäufe nehmen keine großen Umfänge an. Das Einzige, was man sieht, ist, dass die Geldautomaten ganz häufig leer sind, aber das hat weniger mit der Krise hier zu tun, als mit dem rapiden Wertverlust, Außenwertverlust der ukrainischen Währung, der hier tatsächlich auch vielen Leuten Kopfzerbrechen bereitet.
    Armbrüster: Sie haben es gerade angedeutet - die Mehrheit der Menschen auf der Krimhalbinsel sind ja Russen. Die Ukrainer sind da quasi schon fast eine Minderheit. Macht sich denn da jetzt durch diese Spannung eine Spaltung bemerkbar zwischen Russen und Ukrainern?
    Göring: Der Übergang zwischen Russen und Ukrainern ist hier fließend. Es gibt nicht so sehr viele Leute, die hier wirklich mit russischen Pässen ausgestattet sind. Sondern das ist noch alte sowjetische Tradition, sodass die Ukraine auch bei ihren Bürgern in den Pässen eine sogenannte Nationalität eingedruckt hat. Also, ukrainischer Bürger, und dann steht dort zum Beispiel bei der deutschen Minderheit steht da "Nimez" für Deutscher, und so ist es eben auch, gibt es welche, da steht Russe und auch Ukrainer. Das ist nicht völlig unveränderbar.
    Armbrüster: Aber werden solche Unterschiede jetzt möglicherweise wieder wichtiger, oder wird da stärker drauf geachtet?
    Göring: Mir scheint der Unterschied zwischen Ukrainern und Russen tatsächlich fließend zu sein. Russischsprachig sind hier tatsächlich die Allermeisten. Und die Leute, die sich Kiew verbunden fühlen unter den russischsprachigen, die sind ganz wenige. Und ukrainischsprachig, das ist hier eine verschwindend kleine Minderheit. Also, die Krim ist tatsächlich eine Provinz in der Ukraine, in der es auf der Straße fast unhöflich ist, Ukrainisch zu sprechen.
    Armbrüster: Und wenn die Leute miteinander sprechen, kennen Sie dann zurzeit noch ein anderes Gesprächsthema als diese Krise?
    Göring: Nein. Das ist schon das bestimmende Thema. Abgesehen von den politischen Spannungen, ist es tatsächlich auch das Verhältnis zu den Krimtataren, die ja hier eine nicht unbedeutende Minderheit sind, vor allem Bevölkerung auf dem Land stellen, dort zum Teil die Mehrheit stellen. Und die Krimtataren haben bis jetzt sich ganz deutlich ausgesprochen für die Bindung an Kiew. Und das bringt natürlich eine Gefahr für das Zusammenleben der Menschen mit sich. Und das ist tatsächlich auch Thema, auch gerade bei den Tataren, die jetzt selbst sagen, kann ich denn jetzt noch rausgehen auf die Straße, kann ich denn meine Kinder noch in die Schule schicken? Muss ich da nicht fürchten, dass es irgendwelche Übergriffe von russischen Extremisten oder radikalen prorussisch eingestellten Leuten gibt? Und das ist wirklich ein Gesprächsthema hier auf der Straße.
    Armbrüster: Und haben Sie solche Ängste?
    Göring: Man merkt, dass solche Sachen - man kann das Propaganda nennen -, Darstellungen in den Medien ganz schnell auch Blicke verändern können. Hier ist zum Beispiel seit einigen Tagen zu hören, die Tataren würden die Krim verraten, aufs Neue verraten. Das spielt darauf an, dass 1944 dieses tatarische Volk deportiert wurde, und den Tataren wurde vorgeworfen, dass sie mit den Nazis während der Besatzung paktiert hätten. Da war nicht allzu viel dran, es wurde pauschal geurteilt. Und das jetzige Urteil scheint wieder genauso pauschal zu sein. Ohne genau darauf zu schauen, wie der Nachbar, mit dem man viele Jahre gut zusammenlebte, denn jetzt tatsächlich darüber denkt.
    Armbrüster: Herr Göring, Sie arbeiten ja jetzt als evangelischer Pfarrer auf der Krim-Halbinsel. Für wie viele Menschen, für wie viele Gläubige sind Sie da zuständig.
    Göring: Ich habe kleine Gemeinden in insgesamt sieben Städten auf der Krim. Wir haben in der Hauptgemeinde in Simferopol einen Gottesdienstbesuch an einem normalen Sonntag von vielleicht 35, 40 Leuten, an Feiertagen 70, 75. Die Gemeinden in den anderen Städten sind kleiner. Wir rechnen so mit ungefähr 150 Familien, die sich uns zugehörig fühlen, und noch einige Sympathisanten.
    Armbrüster: Und was ist da zurzeit los in Ihren Gottesdiensten?
    Göring: Die Leute in den Gemeinden sind unterschiedlich eingestellt. Man hat am letzten Wochenende ganz deutlich gemerkt, dass viele nicht gekommen sind, weil sie sich nicht aus dem Haus getraut haben. Wir hatten einen viel schwächeren Besuch. Und die Menschen beten sehr um den Frieden, hoffen, dass diese Krise an ihnen vorübergeht, ohne dass es hier zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt.
    Armbrüster: Machen Sie das auch zum Thema Ihrer Predigten?
    Göring: Ich mache das zum Thema der Gottesdienste. In den Predigten lege ich keinen Wert auf politische Positionsbestimmungen. Schon auf solche Elemente wie Trost, Vertrauen und so weiter, aber ich halte es nicht für meine Aufgabe, eine politische Position zu vertreten, weil ich um das Vertrauen aller Mitglieder dort werben muss, und die sind wie alle, wie die Gesamtbevölkerung auch, doch auch unterschiedlich eingestellt, auch wenn die Mehrzahl sicherlich prorussisch ist.
    Armbrüster: Und meinen Sie, wenn Sie da in den Predigten eine andere Linie verteidigen würden, dann könnten Sie sich in Schwierigkeiten bringen?
    Göring: Ich denke, das gilt allgemein für Geistliche. Das ist in Deutschland im Prinzip nicht wesentlich anders. Wenn man sich als Pfarrer deutlich positioniert, dann gibt es immer die Gefahr, dass Leute in der Gemeinde sind, die darüber dann das Vertrauen insgesamt verlieren oder zumindest eine Hürde haben.
    Armbrüster: Aber man bringt nicht unbedingt das Militär gegen sich auf?
    Göring: Ich denke, so bedeutend sind wir nicht, dass man das Militär gegen sich aufbringen würde. Nein, es geht nicht um das Militär. Es geht wirklich um die Einstellungen der Leute, und die sind wirklich sehr unterschiedlich.
    Armbrüster: Vielen Dank, das war Markus Göring, der evangelisch-lutherische Pfarrer auf der Krim-Halbinsel. Besten Dank, Herr Göring, für das Gespräch!
    Göring: Vielen Dank Ihnen! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.