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Nach Rede von Schüler im Bundestag
Friedrich-Ebert-Stiftung in Moskau unter Druck

Im Rahmen eines Austauschprogramms spricht ein russischer Schüler im Bundestag über die Schicksale von Soldaten der Roten Armee und der Wehrmacht. Was er sagt, sorgt in Russland für unerwartete Empörung. Und der Friedrich-Ebert-Stiftung, die gar nicht beteiligt war, wird vorgeworfen, den Jungen beeinflusst zu haben.

Von Thielko Grieß | 20.12.2017
    Logo der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin
    Das Logo der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung: Moskau will prüfen, ob sie unter "das Gesetz über unerwünschte Organisationen fällt" (dpa / picture alliance / Tim Brakemeier)
    Nikolaj Desjatnitschénko hält sich mit beiden Händen am Rednerpult des Bundestages fest. Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte. Der 16-Jährige spricht gut zweieinhalb Minuten über den Wehrmachtssoldaten Georg Johann Rau: "Georg war einer von 250.000 deutschen Soldaten, die von der Sowjetischen Armee im sogenannten Kessel von Stalingrad eingekreist wurden." Diesen Kessel als "sogenannten" zu bezeichnen, relativiere den Blutzoll und Sieg der Roten Armee, zürnen Kommentatoren in sozialen Netzwerken. Desjatnitschenko hatte das Grab des Soldaten, der als Kriegsgefangener in der Sowjetunion starb, ausfindig gemacht: "Das hat mich sehr traurig gemacht, denn ich habe die Gräber unschuldig gefallener Menschen gesehen, von denen viele in Frieden leben und nicht kämpfen wollten." Wer einen Wehrmachtssoldaten unschuldig nenne, vergreife sich an der Würde der Opfer auf sowjetischer Seite, schlägt es dem Schüler entgegen. Doch wer dessen Rede ganz nachliest, bekommt kaum den Eindruck, hier rede ein Jugendlicher leichtfertig Unsinn – Nikolaj Desjatnitschenko mahnt eindringlich zum Frieden.
    Friedrich-Ebert-Stiftung: Eine "unerwünschte" Organisation?
    Kurz nach der Rede schwillt die Empörungswelle weiter an: Eine Publizistin erklärt im landesweiten staatlichen Nachrichtenkanal Rossija 24, sie wisse, dass der Schüler aus Sibirien auf Kosten der Friedrich-Ebert-Stiftung nach Deutschland gereist sei. Damit bekommt diese Geschichte unerwartet einen neuen, politischen Drall. Wenig später wendet sich der Staatsduma-Abgeordnete Jewgenij Fjodorow, Mitglied der Kreml-Partei Einiges Russland, mit Brief vom 23. November an die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau. "Mit der Bitte, die Tätigkeit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Russland dahingehend zu prüfen, ob sie unter das Gesetz über unerwünschte Organisationen fällt." Der Brief liegt dem Deutschlandfunk vor. Zur unerwünschten Organisation erklärt zu werden, käme dem Rauswurf aus Russland gleich. Fjodorow meint: Die Ebert-Stiftung erhalte Steuergeld und verbreite Positionen der deutschen Regierung. Der Abgeordnete ist Koordinator der sogenannten Nationalen Befreiungsbewegung. Die schreibt auf ihrer Internetseite, sie wolle die Souveränität Russlands wieder herstellen. Diese sei 1991 beim Zerfall der Sowjetunion verloren gegangen, man sei seither von den USA abhängig. Tenor: Das Ausland versuche, Russland zu schwächen. "Hier haben wir den konkreten Fall von Einfluss auf Jugendliche und Erziehung zu antirussischen Betrachtungsweisen. Das ist Verrat. Deswegen sind wir auf die Friedrich-Ebert-Stiftung aufmerksam geworden. Wir haben gesehen, dass sie Geld in die Zerstörung Russlands investiert."
    "Weder finanziell noch organisatorisch beteiligt"
    Harte Worte. Allerdings: Den Anschuldigungen fehlt das Wichtigste – eine Tatsachengrundlage. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung erklärt Mirko Hempel, Büroleiter in Moskau, zum Auftritt des russischen Schülers im Bundestag: "Ich kann Ihnen ganz klar sagen: Die Friedrich-Ebert-Stiftung war in keiner Weise, weder finanziell noch organisatorisch, noch logistisch an diesem Projekt beteiligt. Wir kennen die Schule nicht, wir kennen die beteiligten Personen nicht, und insofern hat uns diese Anschuldigung kalt erwischt." Flugtickets und Unterkunft in Berlin hat nach eigenen Angaben der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge bezahlt. Den Abgeordneten Fjodorow ficht das nicht an. "Das Vaterland geht vor." Gefragt, welche Beweise er für die angeblich staatsgefährdende Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung hat, weicht er aus: "Das muss alles die Staatsanwaltschaft klären. Sie hat Mechanismen, Buchungen und Finanzen zu prüfen. All das sind Spuren."
    Fakten spielen nur eine begrenzte Rolle
    Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist alarmiert, sieht sich mittels konstruierter Vorwürfe unter Druck gesetzt. Wohin Ermittlungen der russischen Justiz führen, ist nicht immer zuverlässig abzusehen, auch weil politische Lenkung als wichtiger Faktor gilt. Fakten spielen dabei nur begrenzt eine Rolle. Manch ein Beobachter erkennt inzwischen eine Kampagne gegen die Stiftung und glaubt, die sei nur wieder zu stoppen, wenn es deutliche Worte von der Bundesregierung und ein Machtwort aus dem Kreml gebe. Die Auseinandersetzung schwappt längst nach Berlin: Dort fragte ein Journalist in der Regierungspressekonferenz am vergangenen Freitag, was an den Vorwürfen gegen die Stiftung dran sei. Vize-Regierungspressesprecher Georg Streiter blieb ahnungslos, immerhin fast vier Wochen nach der Rede des Schülers: "Ich habe davon noch gar nichts gehört und, ehrlich gesagt, muss ich sagen, ich kann hier auch nicht für den Bundestag und nicht für die Friedrich-Ebert-Stiftung reden." Die Generalstaatsanwaltschaft muss nun entscheiden, ob und wie sie die Ebert-Stiftung in Moskau prüfen will. Die Frist dazu läuft bald ab.