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Grüne gegen Aufhebung des Waffenembargos gegen China

Engels: Möglicherweise also demnächst Waffen- und Atomanlagengeschäfte mit dem Regime in China. Der Kanzler mutet Ihrer Grünenfraktion einiges zu, finden Sie nicht?

03.12.2003
    Ströbele: Ja, ich habe da Aufklärungsbedarf. Ich habe diese Meldung auch gehört, und zum Teil konnte man ja auch den Kanzler hier im Fernsehen hören. Da ist einiges offen und für mich auch schwer nachzuvollziehen. Ich glaube, wir dürfen nicht mit zweierlei Maß messen. Wir haben aus gutem Grund etwa der Türkei die Lieferung von Panzern bis heute verweigert, und wir können jetzt nicht sagen, wir liefern an ein anderes Land, ein Nicht-NATO-Land, nämlich an China Waffen, obwohl wir wissen, dass China nach wie vor Menschenrechtsverletzungen begeht, das von der Regierung auch gemacht wird und dass etwa in Tibet eine Unterdrückung eines ganzen Volkes nach wie vor stattfindet.

    Engels: Nochmals zur Erinnerung für die Hörer: Die EU-Regelung, gemeinsam mit den USA keine Waffen an China zu liefern, war nach dem Massaker auf dem Tiananmenplatz im Jahre 1989 verhängt worden. Ihrer Meinung nach hat China seitdem also nicht genügend Fortschritte gemacht, damit man über eine solche Aufhebung der Regelung nachdenken könnte?

    Ströbele: Ich bin jetzt kein China-Experte, aber nach dem, was ich weiß, was ich gehört habe, was ich der Presse entnehme, finden nach wie vor Menschenrechtsverletzungen statt. Es werden Leute verfolgt aufgrund ihrer anderen als der herrschenden Meinung. Es werden Leute ins Gefängnis gesperrt, und es passiert offenbar ja auch noch Schlimmeres. Die Einzelheiten weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was sich so dramatisch an der Innenpolitik der chinesischen Regierung geändert hat, dass wir nun dorthin Waffen liefern sollen.

    Engels: Ihre Fraktionskollegin Christa Nickels sagte heute in der Zeitung "Die Welt", sie trage das nicht mit. Sie sagen, Sie haben noch Klärungsbedarf. Ist das aber auch die Mehrheitsmeinung der Grünenfraktion, strikte Ablehnung?

    Ströbele: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil die Grüne Fraktion sich darüber noch keine Gedanken machen konnte als Fraktion. Wir sind ja gerade zurück vom Parteitag. Diese Woche ist keine Sitzungswoche. Gestern hat keine Sitzung stattgefunden, und wir treffen uns nicht nachts außerhalb der Sitzungswochen. Also wir müssen uns da erst noch zusammenfinden. Nächste Woche findet die nächste Vorstandssitzung und die nächste Fraktionssitzung statt. Ich denke, da wird das ein Thema sein.

    Engels: Zweiter Punkt der auch strittig ist, das ist der mögliche Verkauf der Plutoniumfabrik in Hanau. Siemens ist der Besitzer und hat die Anlage vor fast einem Jahrzehnt, nicht zuletzt auch auf Grünen-Druck stillgelegt. 50 Millionen Euro sei sie noch wert, hieß es, und für die Ausfuhr braucht Siemens eine Exportgenehmigung. Der Kanzler will das wohlwollend prüfen. Was sagen Sie dazu?

    Ströbele: Also auch da haben wir ja die Diskussion vor einigen Jahren, ob eine Lieferung nach Russland in Betracht kommt. Mir war gar nicht mehr bewusst, dass diese Plutoniumfabrik oder die Maschine oder das, was man an Verkaufbarem da noch hat, dass das noch da ist, aber offenbar ist da noch etwas da. Darüber müssen wir uns unterhalten, was soll da zu welchen Zwecken verkauft werden. Ich habe auch da Aufklärungsbedarf, weil wir in der Fraktion seinerzeit erheblich Bedenken dagegen hatten, dass diese Anlage, die wir ja abschaffen wollen, die wir ja nicht weiter produzieren lassen wollen in Deutschland, in andere Länder liefern, damit dort produziert wird. Das wäre so ähnlich wie wenn wir sagen würden, wir schaffen die Atomkraftwerke in Deutschland ab und installieren sie jetzt in anderen Ländern. Das kann so nicht sein, aber auch da muss ich mich über die Einzelheiten erst informieren.

    Engels: Nun lässt sich ja auch argumentieren, China sei ohnehin eine Atommacht. Eine Anlage mehr oder weniger macht da keinen Unterschied, erst recht wenn es so ist, wie Siemens-Chef von Pierer sagt, dass man damit keine Atomwaffen fertigen könne.

    Ströbele: Ja, das war ja auch die Argumentation in Russland. Da kam ja sogar noch dazu, dass wir bei den Russen helfen wollen, das waffenfähige Plutonium dadurch zivilen Zwecken zuzuführen, also es wäre fast eine echte Abrüstungsmaßnahme gewesen. Trotzdem wurde das bei uns in der Fraktion sehr ablehnend diskutiert, und das Geschäft ist ja seinerzeit nicht zu Stande gekommen. Ich weiß jetzt nicht, woran es letztlich gelegen hat, aber ich weiß, dass da sehr intensive Gespräche geführt worden sind.

    Engels: Sie haben es eben angesprochen, das Thema Menschenrechte ist auch in der Frage der Geschäfte mit China für die Grünen immer ein Thema. Nun gibt es da seit Jahren diesen deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog, der immer wieder betont wird. Bringt er denn wirklich was?

    Ströbele: Ich habe gehört, dass jetzt bevor der Kanzler in China eingetroffen ist, drei oder vier Leute, die in Haft gewesen sind wegen Meinungsäußerungen, dass man versucht hat von chinesischer Seite gegenüber der deutschen Seite ein Signal zu setzen, dass man was verstanden hat. Ich habe auch vom Kanzler gehört aus China, dass Gespräche stattgefunden haben, dass dort ein ständiger intensivierter Dialog stattfinden soll. Ich habe auch gesehen, dass die Justizministerin, mit der ich hin und wieder auch solche Sachen diskutiere, sich in China mit aufhält. Ich gehe mal davon aus, dass sie gerade in diesen Gesprächen als Wärterin der Grundrechte hier in Deutschland dazu auch Tacheles geredet hat. Also ich glaube, der Dialog findet statt, und wir waren nicht dagegen, dass man mit Ländern Geschäfte macht, bei denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden, aber dass wir mindestens gleichzeitig und immer intensiver darauf hinweisen, dass diese Menschenrechtsverletzungen ein Grund sind, gute, freundschaftliche Beziehungen mit dem chinesischen Vol erheblich zu trüben und damit den Partner zu versuchen zu beeinflussen, dass er auch in seinem ökonomischen Interesse die Menschenrechtsverletzungen unterlässt.

    Engels: Zusammenfassend höre ich heraus zu den jüngsten Äußerungen des Kanzlers, es gäbe bei den Grünen Beratungsbedarf. Sie wollen Informationen. Sie setzen auf Klärung. Das klingt aber nicht so, als ob Sie aufgrund dieser jüngsten Erkenntnisse aus China jetzt einen Koalitionsstreit vom Zaun brechen wollen.

    Ströbele: Wissen Sie, man muss nicht wegen jeder Sache die Koalition aufs Spiel setzen. Darum geht es doch gar nicht, sondern es geht darum, dass wir eine stringente, an den Menschenrechten orientierte Politik betreiben, und da haben wir natürlich sehr viel mehr Möglichkeiten, wenn wir innerhalb der Regierung und innerhalb der Koalition uns darüber intensiv auseinandersetzen. Wir haben auch da einiges erreicht. Also seinerzeit hat niemand geglaubt, dass die Grünen es durchsetzen können, dass die Panzerlieferung, die Lieferung von 999 Panzern in die Türkei auf Dauer wirklich verhindert werden könnte. Das haben wir jetzt immerhin über einige Jahre geschafft. Dazu brauchten wir keinen Koalitionsstreit, aber wir brauchten natürlich eine sehr intensive innerkoalitionäre Diskussion, und ich denke, so müssen wir das auch mit China halten.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.