Archiv


"Wir haben eine halb-anarchische Situation in der FDP"

Nach dem Westerwelle-Rückzug beginnt das Führungsringen bei den Liberalen. Der FDP fehle ein Machtzentrum, dass die anstehenden personellen Fragen schnell entscheidet, sagt Politikwissenschaftler Gerd Langguth.

Gerd Langguth im Gespräch mit Friedbert Meurer | 04.04.2011
    Friedbert Meurer: Guido Westerwelle stellt also sein Amt als FDP-Parteichef zur Verfügung. Auch den Titel Vizekanzler, den will er abgeben. Auf dem Rückflug von Tokio nach Deutschland hatte er sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag noch kampfeslustig gezeigt, aber dann im Verlauf des gestrigen Tages muss dem langjährigen Parteivorsitzenden der Liberalen klar geworden sein: Er wird als Parteichef von den allermeisten FDP-Landesverbänden nicht mehr akzeptiert. Noch bleibt jetzt offen: Wer wird neuer Vorsitzender der FDP?

    Guido Westerwelle hat die FDP in der Opposition wieder groß gemacht, in alle Landtage geführt, und zur Krönung erzielte die FDP bei der letzten Bundestagswahl 2009 fast 15 Prozent der Stimmen. Was damals im großen Jubel bei der FDP aber wohl niemand ahnte: Von nun an sollte es bergab gehen. Die beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vor gut einer Woche wurden zum vorläufigen Tiefpunkt.

    Mitgehört hat Gerd Langguth, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Er hat vor zwei Jahren eine Studie geschrieben über die Machtmenschen Kohl, Schröder und Merken. Guten Tag, Herr Langguth.

    Gerd Langguth: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Wollten Sie damals Guido Westerwelle nicht die Ehre gewähren, auch als Machtmensch in dieser Reihe aufgelistet zu werden?

    Langguth: Na ja, ich habe nur damals in meinem Buch mich an Kanzlern und ehemaligen Kanzlern orientiert, und das war er ja nun wirklich nicht, selbst mit dem schönen Begriff Vizekanzler. Aber dazu will ich mal prinzipiell was sagen. Diesen Begriff gibt es eigentlich gar nicht. Nirgendwo im Grundgesetz steht dieser Begriff, sondern da wird nur vom Stellvertreter des Kanzlers gesprochen, und eigentlich hat der Vizekanzler nur die Aufgabe, in Abwesenheit des Kanzlers oder der Kanzlerin Kabinettssitzungen zu leiten. Dass das Ganze jetzt so überhöht wurde die letzten Jahre mit dem Vizekanzleramt und so weiter, das ist eigentlich nicht unserem Grundgesetz entsprechend, um nur mal was zu diesem Thema zu sagen.

    Meurer: Um beim Thema Machtmenschen zu bleiben: Ist das ein Schachzug von Guido Westerwelle aus Machtkalkül, den Vizekanzlerposten abzugeben, zu sagen, Innenpolitik, hier habt ihr sie, ich konzentriere mich ausschließlich auf die Außenpolitik?

    Langguth: Na ja, das ist eine zwingende Konsequenz und es ist natürlich auch so, dass er das ein bisschen abkupfert, wie das seinerzeit mit Hans-Dietrich Genscher war. Genscher war ja auch mal Parteivorsitzender und zugleich Außenminister, und dann kam er, weil er auch den Koalitionswechsel der FDP zur Union wollte, innerparteilich gewaltig unter Druck und gab dann damit auch einiges und insbesondere den FDP-Vorsitz auf. Und das ist jetzt das gleiche Modell, das jetzt hier im Moment von Westerwelle gesehen wird. Wenn Westerwelle den Vizekanzler aufgibt, ja, gut, das ist eine zwingende Konsequenz, denn der sogenannte Vizekanzler ist ja der Hauptansprechpartner der Kanzlerin im Kabinett. Es findet ja vor jeder Kabinettssitzung eine vertrauliche Beratung zwischen Kanzler und dem sogenannten Vizekanzler statt, und das muss natürlich jetzt dann ein anderer sein.

    Meurer: Es gibt nicht wenige, Herr Langguth, die sich ja weigern, Westerwelle in die Ahnengalerie mit Namen wie Theodor Heuss, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher oder Otto Graf Lambsdorff aufzunehmen, alle also auch FDP-Vorsitzende. Tut man Guido Westerwelle damit Unrecht?

    Langguth: Also er ist sicherlich nicht von diesem Format, wie zum Beispiel Theodor Heuss, oder auch andere, und er ist auch zu wenig lange dann sogenannter Vizekanzler gewesen. Nun war er allerdings zehn Jahre Parteivorsitzender und sieben Jahre vorher Generalsekretär, und ohne Westerwelle wäre das Gesicht der FDP natürlich ein ganz anderes. Aber seine Zeit im Kabinett war ja keine glorreiche Zeit. Insofern wird man ihn so nicht so ohne Weiteres in die Ahnenreihe aufnehmen können.

    Meurer: Der Favorit, Herr Langguth, für die Nachfolge Guido Westerwelles als FDP-Parteivorsitzender ist Philipp Rösler. Was halten Sie von dieser Personalie?

    Langguth: Rösler ist ja eine interessante Figur. Er war ja vorher Wirtschaftsminister im Lande Niedersachsen, allerdings nur für kurze Zeit, und dann wurde er Gesundheitsminister. Die Tatsache, dass jemand Gesundheitsminister wird, heißt natürlich, dass man ihn zum Scheitern verdammt, denn es gibt keinen Ressortbereich in Deutschland, das so umstritten ist wie die Gesundheitspolitik, wo nirgendwo so viel Lobbyismus stattfindet wie im Bereich der Gesundheitspolitik. Insofern könnte ich mir schon vorstellen, dass Rösler ein großes Interesse hat, ein anderes Ressort zu bekommen, das ein klassisches Ressort wäre, also beispielsweise das Amt von Herrn Brüderle zu übernehmen, was auch gleichzeitig den Vorteil mit sich brächte, dass sein parlamentarischer Staatssekretär, den er hat, Herr Bahr, der ja zu den jungen aufstrebenden Kräften in der FDP gehört, gleichzeitig sein Nachfolger werden könnte. Aber das hieße natürlich, dass Brüderle geopfert werden muss, ...

    Meurer: Der das nicht will!

    Langguth: ..., der das nicht will. – Bitte?

    Meurer: ..., der das nicht will. Er will weiter Wirtschaftsminister bleiben.

    Langguth: Eben! Der will weiter Wirtschaftsminister bleiben. Ja, und jetzt sind wir natürlich genau bei dem Problem: Wir haben eine halb anarchische Situation in der FDP, weil da das Macht- und Kraftzentrum eigentlich fehlt, das solche Sachen auch entscheidet, sondern das kann dann nur irgendwie mal ein Vorstand entscheiden und das sind alles dann teilweise auch Zufälligkeiten, die damit verbunden sind.

    Meurer: Für Ihre These mit dem fehlenden Machtzentrum würde auch sprechen, dass das Präsidium heute nicht entscheiden will, wer FDP-Vorsitzender wird, sondern morgen kommt man noch mal zusammen und dann sind die FDP-Landesvorsitzenden dabei. Wird das morgen einfach über die Bühne gehen, Rösler wird genannt, oder könnte es da noch Überraschungen aus den Ländern geben?

    Langguth: Also ich glaube nicht, dass es da noch Überraschungen gibt. Die Länder wollen ja auch endlich irgendwelche Lösungen haben. Aber es sind natürlich eine Fülle von Fragen, die ja auch noch zu beantworten sind, zum Beispiel: Bleibt Frau Homburger Fraktionsvorsitzende, oder soll nicht Frau Homburger meinetwegen ersetzt werden durch Christian Lindner, den jetzigen Generalsekretär. Das wäre ja auch eine Möglichkeit. Insofern ist manches noch ungeklärt.

    Meurer: Geben Sie der FDP noch eine Chance, wie Phönix aus der Asche aufzuerstehen?

    Langguth: Die FDP hat in der zweiten Reihe eine ganze Reihe guter Leute und sie kann sich ja letztlich nur bessern im Ansehen der Menschen, und das wird der FDP nur gelingen, wenn sie klar macht, was eigentlich Liberalismus heute bedeutet. Im Grunde genommen ist der Liberalismus, so wie wir ihn in Gestalt der FDP erlebt haben, ja nur ein Steuersenkungsliberalismus, aber nicht in der gesamten Breite des Liberalismus, und das können jüngere Leute der zweiten Generation eher leisten als die jetzigen der älteren Generation.

    Meurer: Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth im Deutschlandfunk zum Führungsringen in der FDP. Herr Langguth, danke und auf Wiederhören.

    Langguth: Ich danke Ihnen auch, Herr Meurer.