Donnerstag, 25. April 2024

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Barack Obama
"Die Etikettierung als Messias ist mit Häme versehen"

Der frühere US-Präsident Barack Obama kommt Ende Mai zum Evangelischen Kirchentag nach Berlin. Mit seinem allgemeinen Bekenntnis zur Demokratie auf dem Kirchentag sei er dort genau richtig, sagte die Politologin Constanze Stelzenmüller vom amerikanischen Thinktank Brookings im DLF. Er passe perfekt zu dem Großereignis.

Constanze Stelzenmüller im Gespräch mit Christiane Florin | 12.04.2017
    Eine Nahaufnahme von US-Präsident Barack Obama bei seiner Ankunft in Berlin
    US-Präsident Barack Obama bei einem seiner vergangenen Besuche in Berlin. (picture alliance / dpa / Reiner Jensen)
    Christiane Florin: Luther ist schon so gut wie durch, und Martin Schulz ist katholisch. Wer also sollte – von Jesus mal abgesehen – der Star sein beim Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg? Seit gestern ist die Frage beantwortet. Barack Obama, der frühere US-Präsident, kommt Ende Mai zum evangelischen Großereignis.
    Obama las angeblich im Weißen Haus jeden Morgen Texte auf seinem Blackberry, die ein spiritueller Berater zusammengestellt hatte. Ansonsten ist wenig über den Glauben des früheren Präsidenten bekannt. Vor der Sendung habe ich mit Constanze Stelzenmüller gesprochen. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Juristin und forscht derzeit an der Brookings Institution Washington, einer der wichtigsten Denkfabriken der USA.
    Frau Stelzenmüller, wie sieht es mit der Kirchenbindung von Barack Obama aus?
    Constanze Stelzenmüller: Er ist, glaube ich, nicht in der Tradition einer bestimmten Kirche aufgewachsen. Er hat einmal gesagt, seine Großmutter war Methodistin, sein Großvater Baptist, seine Mutter spirituell, er selber habe keine Bindung an eine der vielen amerikanischen protestantischen Kirchen - da gibt es ja mehr als bei uns in Deutschland -, aber er hat sich, glaube ich, im Laufe seines Lebens diese Bindung erarbeitet. Wie er sich viele Dinge, viele seiner Überzeugungen und seinen Glauben angeeignet hat durch intellektuelle und durch spirituelle Arbeit. Das hat er auch über sich selber gesagt und wenn man ihn hat reden hören, beispielsweise bei dem Gottesdienst für die Toten in Charleston - wo ein junger Mann acht Schwarze in einer Kirche umgebracht hatte -, da hat man schon gemerkt, dass der Mann einen profunden persönlichen Glauben hat.
    Florin: Er hat auch gesagt - bei einem Gebetsfrühstück interessanterweise: "Ich suche oft Rat in der Bibel um herauszufinden, wie ich ein besserer Mensch und wie ich ein besserer Präsident sein kann." Glauben Sie ihm das?
    Bekenntnis zu den schwarzen Kirchen
    Stelzenmüller: Ja, das glaube ich ihm. Der "Economist" hatte ein Stück vor ein paar Wochen, eine Buchrezension über Glauben in der amerikanischen Politik, in der der Autor darauf hinwies, dass Obamas Vorgänger George Bush bei solchen Frühstücken - die übrigens in Washington für Politiker de rigueur sind, das ist sehr wichtig, dass man öffentlich sozusagen diese zivile Religion zelebriert - religiöse Begriffe sorgsam gemieden hat, während Obama das viel selbstverständlicher gemacht hat. Es ist auch überliefert von ihm, dass er in Israel an der Klagemauer ein persönliches Gebet - wie man das ja macht - auf Papier geschrieben und in die Mauer gesteckt hat und das hat danach eine israelische Zeitung abgedruckt. Aus dem konnte man schon auch sehen, dass er einen echten persönlichen Glauben hat. Das nehme ich ihm absolut ab.
    Florin: Welche religiösen Begriffe sind für ihn zentral?
    Stelzenmüller: Er hat wohl bei einem Gebetsfrühstück gesagt, dass Christus unser Erlöser ist, der gelitten hat, wieder auferstanden ist, als Gott und als Mensch. Da hat man, glaube ich, alles in einem Satz. Er hat ja auch in seiner jungen Zeit als Politiker in Chicago den Glauben entdeckt durch den Zugang zu einer der schwarzen Kirchen in Chicago. Und ich denke, das ist Teil gewesen seiner persönlichen Identitätsfindung. Er hat eine weiße Mutter und einen schwarzafrikanischen Vater, und durch dieses Bekenntnis zu den schwarzen Kirchen hat er gleichzeitig sein Bekenntnis zu der afroamerikanischen Bevölkerung abgelegt und sein Bekenntnis zu der spezifischen Form des Glaubens, die natürlich auch in der Erfahrung von Unterdrückung und Sklaverei wurzelt.
    Constanze Stelzenmüller, Politikwissenschaftlerin an der Brookings Institution Washington D.C.
    Constanze Stelzenmüller, Politikwissenschaftlerin an der Brookings Institution Washington D.C. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Florin: Sie haben gerade das Stichwort Erlöser genannt: Erlöserqualitäten, Retterqualitäten, Messiaspotenzial - das wurde ihm sehr früh zugesprochen. Ob er es selber darauf angelegt hat, das kann ich gar nicht beurteilen, aber auf jeden Fall war er ja noch gar nicht im Amt, da galt er schon als Messias und dann kam sehr früh der Friedensnobelpreis. Wie ist das jetzt?
    Stelzenmüller: Ich finde diese Etikettierung ist sehr häufig auch mit etwas Häme versehen und es ist ja auch interessant, dass ein Teil dieses Supçon ja ausgerechnet in Amerika von der erzreligiösen Rechten kommt. Ich hab ihn selber in Berlin bei seiner Rede bei der Siegessäule erlebt, das war gar nicht mal eine besonders brillante Rede, aber damals sind 200.000 Berliner gekommen und haben ihm zugehört und ich habe da den ein oder anderen deutschen Politiker getroffen, der da auch ganz friedlich in der Sonne stand und der aufrichtig ergriffen war von diesem Moment.
    Ich glaube, dass natürlich diese Erwartungen von damals, von 2008 und 2009, von der Anfangszeit seiner ersten Amtszeit, überzogen waren und er hat sicherlich auch in seiner Amtszeit manche Fehler gemacht, aber ich glaube, er hat sich im Nachhinein doch als weit mehr als durchschnittlicher Präsident erwiesen.
    Florin: Wie finden Sie die Entscheidung, ihn zum Evangelischen Kirchentag einzuladen?
    "Allgemeines Bekenntnis zur Demokratie ist genau richtig"
    Stelzenmüller: Ich finde das absolut richtig, am Kirchentag geht es ja nicht nur um rein theologische Fragen, obwohl Obama sich offensichtlich mit theologischen Fragen beschäftigt hat und keine Scheu hat, sich auch mit schwierigeren Themen öffentlich zu befassen, aber am Kirchentag geht es ja vor allem um das Verhältnis von Christen zur Gesellschaft und in diesen Tagen auch zur Politik und Obama hat ja schon gesagt, dass er seine Zeit nach der Präsidentschaft unter anderem der Stärkung der amerikanischen Demokratie widmen will. Ich glaube, dass er mit diesen Themen und dem allgemeinen Bekenntnis zur Demokratie auf dem Kirchentag genau richtig ist.
    Florin: Er wird mit Angela Merkel über Verantwortung sprechen. Nun steht er ja für eine amerikanische Außenpolitik, in der Amerika nicht mehr die Rolle des Weltpolizisten gespielt hat, wie passt das zusammen?
    Stelzenmüller: Obama hat sich in seiner Außenpolitik ausdrücklich berufen auf die von dem deutschstämmigen Theologen Reinhold Niebuhr entwickelte Verantwortungsethik und Niebuhr hat in den 50er Jahren in Amerika einen enormen Einfluss gehabt, die auch bis heute in bestimmten politischen Lagern weiter besteht. Ein ganz zentraler Überzeugungssatz von Niebuhr war: Du kannst nur das verantworten, was du auch wirklich leisten kannst. Also, überlege Dir genau, Politiker, was kannst du erreichen und dann mach das, aber versprich nicht mehr, als du erreichen kannst. Und so kann man, glaube ich, auch Obamas Außenpolitik verstehen.
    Er war immer skeptisch gegenüber denjenigen, die große Weltveränderungstheorien hatten, denjenigen, die sagten, wenn wir nur in einem Land im Nahen Osten die politische Führung auswechseln, dann kippt der gesamte Nahe Osten und dann wird alles demokratisiert und dann werden das alle unsere Verbündete. Vor solchen Phantasien - wie er sie empfunden hat - hat er immer gewarnt, man kann das natürlich kritisieren, man kann im Nachhinein, das tun viele Leute hier, sagen, hättest du doch bloß reagiert als Assad, der Diktator Syriens, schon in deiner Amtszeit Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Und Obama hat das damals überlegt und gesagt: "Das können wir nicht machen, weil wir nicht wissen, was danach kommt. Wir können den Nahen Osten nicht grundlegend umgestalten. Wir sehen jetzt mit den Militärschlägen von Donald Trump ein Vorgehen das weit weniger überlegt ist und von dem wir auch nicht wissen, wo es enden wird."
    Florin: Rettet Obama, wenn er nach Berlin kommt, nur den Kirchentag oder auch die westlichen Demokratien?
    Stelzenmüller: Ach, ich finde diese Frage klingt so spitz. Erstens muss man den Kirchentag nicht retten. Der Kirchentag lebt doch davon, dass es ein extrem vielfältiges Programm gibt und dass Tausende von Menschen zusammenkommen und ihren Glauben, ihr Bekenntnis und die Kirche feiern und miteinander diskutieren unter der Sonne. Also, da gibt es nichts zu retten und wenn jemand wie Obama und die deutsche Bundeskanzlerin über Gefahren für die westlichen Demokratien reden und wie denen zu begegnen ist, dann ist das eine gute Sache und das spürt auch der Kirchentag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.