Dienstag, 16. April 2024

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Bedeutung der Mittelwelle
Erfindung mit Reichweite

In wenigen Tagen ist es vorbei – endgültig, definitiv und unumkehrbar. Die letzten Frequenzen, über die Radioprogramm bisher noch via Mittelwelle zum Empfänger gelangte, werden abgeschaltet. Eine Technik, die mehr als neun Jahrzehnte Rundfunkgeschichte geschrieben hat, wird nicht mehr gebraucht.

Von Maximilian Schönherr | 19.12.2015
    Demontage des MW-Mastes
    Demontage des MW-Mastes (Deutschlandradio / Christian Rady)
    "Und zwar bin ich im vorigen Jahr von Göttingen über die Autobahn, bei Hannover vorbei und dann rüber in Richtung Berlin gefahren. Ich habe mich, weil ich das Phänomen ja kenne, in Göttingen dann auf einen Sender eingestellt, das war vom Deutschlandfunk, ich glaube 756 kHz, meiner Erinnerung nach. Den Sender habe ich über die gesamte Strecke, mehrere hundert Kilometer, immer gut verständlich hören können, bis ich in Berlin angekommen bin, ohne dass ich den Sender wechseln musste."
    Hier lebt die Großmutter. Ein Leben lang hat sie ein Leben lang geackert, zwischen Kühen, Schweinen und Feldarbeit, und hier wird sie sterben...
    "Fahren Sie zum Beispiel einmal durch Mecklenburg-Vorpommern. Da kommen Sie plötzlich in Regionen, wo Sie eigentlich keinen Rundfunkempfang haben. Da ist die Mittelwelle das Mittel der Wahl, wo man noch Empfang haben könnte."
    Rainer Steinführ, früher Rundfunk- und Fernsehtechniker - ein Beruf, den es nicht mehr gibt -, heute Betreiber von Webseiten über Radiogeschichte und vehementer Gegner der Abschaltung der Mittelwelle.
    "Wo Neues kommt, muss Altes weichen"
    "Ist das Jammern und Klagen berechtigt?"
    "Das Jammern und Klagen ist zunächst einmal verständlich, weil wir uns von einer Übertragungstechnologie verabschieden, die diesen Sender und seine Vorgängersender geprägt und groß gemacht hat."
    Rainer Kampmann, Verwaltungs- und Betriebsdirektor vom Deutschlandradio und vehementer Befürworter der Abschaltung.
    "Es ist auch eine Übertragungstechnologie, bei der heute noch viele Menschen, die uns über UKW nicht oder nicht gut erreichen, uns doch mit einer mindestens vernünftigen Qualität empfangen können. Insofern ist das nachvollziehbar. Aber wo Neues kommt, muss Altes halt weichen, und genau das ist genau das Motiv, warum wir jetzt die Mittelwelle abschaffen. Sie wird definitiv am 31.12. diesen Jahres kurz vor Mitternacht abgeschaltet."
    Viele Rundfunkanstalten haben ihre Mittelwellenausstrahlung schon längst abgeschaltet. Die größten Proteste gab es vor vier Jahren europaweit, als die BBC ihre berühmte Frequenz 648 kHz aufgab. Wer heute in seinem Radio AM einstellt und die Skala durchsucht, wird bei 648 nur Rauschen vorfinden. Er wird überhaupt vor allem Rauschen vorfinden, denn die Mittelwellenbänder werden immer leerer. Proteste haben keinen Sinn mehr, das Ende des Mittelwellenrundfunks ist bereits da.
    Zwei alles übertönende Argumente: veraltete Technik. Und: zu teuer.
    "Hohe Energiekosten, und dann auch der Betrieb einer Technologie, die eigentlich Auslaufmodell ist, die auch nicht mehr marktfähig ist, wo Ersatzteile nur noch von wenigen Quellen zu beziehen sind. Das macht das teuer."
    Rainer Kampmann vom Deutschlandradio.
    "Mittel- und Langwelle sind wegen des hohen Energiebedarfs sehr sehr teure Verbreitungswege. Wir haben dafür elf bis zwölf Millionen Euro pro Jahr für die Verbreitung von Mittel- und Langwellen gezahlt. Das Geld brauchen wir jetzt einfach, um in die neue Technologie DAB zu investieren. Wir sparen also nichts, sondern wir schalten nur um: Mittelwelle aus, und noch mehr DAB+ als jetzt schon am Markt und in der Reichweite verfügbar ist an.
    Wir switchen die ganzen zwölf Millionen um, um bis zum Ende des ersten Quartals 2017 in Deutschland 120 DAB-Sender zu betreiben. Damit decken wir deutlich mehr ab, als das, was wir jetzt mit UKW bestrahlen können. Schon Mitte nächsten Jahres sind wir mit DAB flächendeckender zu hören als wir je mit UKW zu hören waren."
    Ein Digitalradio steht in einem Radiostudio.
    Ein Digitalradio (dpa/picture alliance/Armin Weigel)
    Das Deutschlandradio, wozu auch der Deutschlandfunk gehört und das unter anderem aus dem RIAS Berlin hervorging, stieg aus historischen Gründen spät in die UKW-Verbreitung ein. Traditionell waren Deutschlandfunk und RIAS über Mittelwellen- und Langwellenfrequenzen zu empfangen – große Reichweiten, mit wenigen, dafür sehr leistungsstarken Antennen.
    "Bevölkerung wird vom Rundfunkempfang abgenabelt"
    Mittelwellen decken problemlos 100 Kilometer ab, bei günstigen Witterungsbedingungen auch 1.000 Kilometer. Die UKW-Reichweite beträgt ein paar Dutzend Kilometer, ähnlich wie die von DAB, dem digitalen Rundfunkformat. DAB steht für Digital Audio Broadcast. Es ist ein mit Mitteln der EU schon vor über 20 Jahren entwickelter Standard, der wegen seiner guten Tonqualität und der Möglichkeit, Zusatzinformationen wie Bild und Text einzubinden, längst hätte alles Analoge ablösen sollen, also auch UKW, die Mittelwelle sowieso. Aber DAB war ein Flop – und musste als DAB+ in neuer Form wieder auferstehen, mit einem viel dichteren Antennennetz und vor allem preiswerteren Empfangsgeräten. Wenn alle Rundfunkhörer solche Geräte im Auto und zu Hause aufgestellt haben, könnte auch UKW abgeschaltet werden: "Die UKW-Abschaffung führt dazu, dass die Bevölkerung vom Rundfunkempfang abgenabelt wird."
    Rainer Steinführ.
    "Gucken Sie sich mal die Zahlen an, wie hoch der Verkauf von DAB+ ist. Gehen Sie mal in einen Elektronikfachmarkt und stellen Sie sich dort hin, wo Radios angeboten werden. Das ist der Bereich, wo gähnende Leere ist. Radios werden heute nicht mehr gekauft. Es ist eine Generation nachgewachsen, die kein Radio mehr benutzt. Und in dem Kontext tritt DAB als Konkurrenz zu den modernen Medien wie Internetradio an. Deswegen muss man sorgfältig darüber nachdenken, ob man auf UKW verzichten kann."
    Steinführ besitzt eine private Sammlung alter Rundfunkgeräte, aber als Rundfunk- und Fernsehtechniker bei Hertie war er nie ein Feind neuer Geräte. Er hört heute über sein Smartphone Internetradio, im Auto Mittelwelle, und zu Hause in Spandau hat er fünf DAB+ Radioempfänger stehen. Der in der Küche funktioniert nur in einer ganz bestimmten Position am Fenster und bei Regen gar nicht. Digitale Geräte empfangen das Programm entweder gut oder gar nicht.
    "Das Netzdenken tritt an die Stelle des Broadcast-Mediums"
    Die Anbieter öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzen voll und ganz auf digitale Übertragung. Da passt UKW nicht hinein, die Mittelwelle schon gleich gar nicht. Für die meisten Menschen bedeutet die Digitalisierung: bessere Tonqualität, und Zusatzinformationen. Für die Medienwissenschaft steckt in dieser Entwicklung mehr als nur ein bisschen besserer Ton und Service-Angebote in Text und Bild. Es ist ein qualitativer Umbruch. Wolfgang Ernst, der Leiter des Lehrstuhls für Medientheorie an der Humboldt-Universität Berlin glaubt, "dass Radio sich an die vernetzte Welt mit ihren kleinen Funkzellen verkauft. Damit tritt das Netzdenken an die Stelle des Broadcast-Mediums, also des Rund-Funks. Worte wie Rundfunk und das Wort Radio selbst erinnern an die Sendeform der Ausstrahlung elektromagnetischer Wellen kreisförmiger Art, mit der ein ganzes Territorium, große Reichweiten bedient werden konnten. Deswegen wird plötzlich das Wort Radio anachronistisch, in dem Moment, wo es parzelliert wird", wo das Programm nicht mehr von einem hohen Berg als frequenz- oder amplitudenmodulierte Welle ins Haus kommt, sondern in Form von Datenpaketen vom nächsten DAB-Sendemast oder WLAN-Router.
    "Das, was heute digitalisiertes Radio ist, verdient eigentlich nicht mehr den Namen Radio. Radio wird nur noch zu einem Format, zu einer Programmform, aber es ist kein Medium mehr. Mittelwelle war der Beginn von Radio und seitdem stabil, unglaublich stabil. Systeme sind zusammen gebrochen, die Kanzlerschaft Hitlers ist zusammengebrochen, deutsche Staaten waren getrennt und sind wieder zusammen, Moden haben gewechselt – alles das hat eine stabile Infrastruktur, nämlich dieses amplitudenmodulierte Radio unglaublich stabil überlebt. Das geht nun zu Ende, und man hat Schwierigkeiten, das nicht als dramatisch zu beschreiben."
    Diese Einschätzung klingt nostalgisch, wie das Festhalten an längst Vergangenem. Mit Nostalgie kann man der Philosophie aber nicht kommen. Sie hat das Privileg, über den Alltag der Entscheider in den Rundfunkanstalten und über die Proteste der Mittelwellenfreaks hinaus zu blicken.
    "Wir verlieren jeden Bezug zum Territorium"
    Wolfgang Ernst macht den dramatischen Umbruch am Beispiel eines alten Geräts fest, nämlich des Volksempfängers. Damit haben die Massen im Nationalsozialismus ihre Ideologie eingetrichtert bekommen, über Mittelwelle, und wer das Gerät umbaute, um "Feindsender" zu hören, musste mit der Todesstrafe rechnen. Der Volksempfänger "kann bis jetzt noch wieder in Funktion gesetzt werden. Das ist kein museales Gerät, sondern ich kann damit über Mittelwelle Deutschlandradio empfangen, mit diesem Gerät, und mir Gedanken machen, was eigentlich zwischen 1935 und 2015 passiert ist. Das Gerät kannte bis jetzt keine Geschichte. Es war so aktuell wie damals. Es wird nur jetzt radikal historisiert. Und das ist das Dramatische.
    Im Sinne einer Medienkritik halte ich es für enorm wichtig, dass die Nutzer eines Mediums sich auch immer der Materialität des Mediums selbst bewusst sind. Also gerade auch das, was viele als leichte Störung empfunden haben, das Fading, das Driften, das Rauschen im amplitudenmodulieren Empfang ... hat immer an die Physikalität des Radios erinnert. Die wird jetzt vergessen. Das war auch der ganze Sinn der Einführung digitalisierter Übertragungswege, dass jedes Rauschen ausgeschaltet wird. Damit sind wir aber sozusagen von der Physik der Welt abgeschnitten.
    Antike Radios werden zum Verkauf angeboten
    Antike Radios werden zum Verkauf angeboten (AP)
    UKW sendet quasi wie optisches Licht. Da reicht die Sendung so weit, wie wir sehen können, grob gesagt. Deswegen sind die Sendeantennen ja dann auch auf erhöhten Stellen platziert worden. Während Mittel- und Langewelle den Boden entlang kriechen und sozusagen eine ganz andere territoriale Unabhängigkeit haben. Wenn wir jetzt vollständig digitalisiertes Radio aus dem Computer hören, dann verlieren wir jeden Bezug zum Territorium. Wir sind nicht mehr 'geerdet', um diesen schönen alten Begriff aus der Zeit von Radioantennen zu benutzen."
    Mittelwellen waren Propagandawaffen
    Mit dem Satz, "Vergessen Sie bitte nicht, Ihre Antenne zu erden", endeten die ersten deutschen Rundfunksendungen ab 1923. Sie begannen mit der Ansage keiner Mittelwellenfrequenz, sondern einer Wellenlänge: "Achtung, Achtung, hier ist Vox-Haus auf Welle 400. Damit waren 400 Meter gemeint, und das ist eine typische Frequenz im Mittelwellenbereich, die man da genommen hatte.
    In den ersten Jahren sprach man von Wellenlängen, und es gab nur die Mittelwellenlängen. Später kamen längere Wellen und kürzere Wellen hinzu, die man dann Lang- und Kurzwelle nannte. Alle drei benutzen ein Übertragungsverfahren, welches das Tonsignal auf eine Sinuswelle aufmoduliert; man spricht von Amplitudenmodulation, abgekürzt AM."
    Die Mittelwellen kriechen, wie Wolfgang Ernst sagt, nicht nur am Boden entlang, sondern sie bilden auch Raumwellen, die an der Ionosphäre anstoßen und zurück auf die Erde gebeamt werden. Landesgrenzen überwinden sie mit Leichtigkeit. Deswegen galten sie zu Kriegszeiten als gefährlich, als Propagandawaffen. Und auch im Kalten Krieg zwischen der DDR und der Bundesrepublik waren Mittelwellen ein Politikum. Das bloße Hören des durchaus DDR-kritischen und häufig tatsächlich einseitig berichtenden RIAS-Programms galt in der DDR als Fehlverhalten. Im sogenannten RIAS-Prozess wurden DDR-Bürger 1955 mit Gefängnis, Zuchthaus und (in einem Fall) Hinrichtung bestraft, weil sie dem amerikanischen Mittelwellensender Informationen über Missstände geliefert hatten.
    "Guten Abend, verehrte Hörer. Der Prozess gegen die fünf Agenten des RIAS wurde gestern Nachmittag vor dem Obersten Gericht der Deutschen Demokratischen Republik fortgesetzt. Wir haben gehört, dass die Hauptagentin Stein wie eine giftige Kreuzspinne im RIAS-Gebäude in der Kufsteinerstraße sitzt, dass sie stets und ständig darauf wartet, von ihren Helfern, den Werbern, neue Opfer zugeführt zu bekommen."
    Mit Störsendern gegen den RIAS
    Um sich gegen den aus Berlin und Hof mit seinen Mittelwellenantennen tief in die DDR einstrahlenden RIAS zu wehren, ließ das Zentralkomitee der Staatspartei SED Störsender aufstellen. Nach internationalem Recht durfte die DDR das sogar, denn als Nicht-Mitglied der UNO musste sie sich an keine Frequenzvereinbarungen halten.
    "Für uns war die politische Direktive ja sozusagen immer: Wir müssen nach Westen agitieren und die DDR versorgen. Und wir müssen möglichst versuchen, dass kein West-Sender unsere Leute falsch informiert."
    Herbert Götze in einem Interview aus dem Jahr 2000. Götze war im DDR-Fernmelde- und Postministerium verantwortlich für Frequenzangelegenheiten. Er galt bis in die 1980er Jahre quasi als der DDR-Mittelwellenchef.
    "Das war aber nur in Bezug auf den RIAS akut, und da haben wir ja die ganze DDR vollgepfropft mit Störsendern. Das waren also kleinste Rundfunksender, die nur huihuihui machten. Das war zum Beispiel auf der 998 der Fall, eine Belgrader Frequenz. Wir hatten also eine ganz echte Frequenz, das war die 782."
    "Was heißt echt?"
    "Ja, die hatten wir im Kopenhagener Plan von den Russen, die war auch unten in Kiew noch. Wenn wir eine Frequenz brauchten, dann wurde uns gesagt: Guckt mal, was die Jugoslawen so benutzen. Und dann haben wir jugoslawische Frequenzen genutzt, zum Beispiel die 611 von Sarajewo und die Frequenz, die die in Bosnien hatten."
    DDR tritt der ITU bei
    Frequenzvandalismus bedeutet Störung eines Programms durch ein anderes, und meist war dasjenige besser zu hören, hinter dem der stärkere Sender stand. Noch in den 1970er Jahren, als längst die Ultrakurzwelle UKW in Europa etabliert war, lieferten sich wegen der hohen Reichweite Staaten Frequenzkriege auf Mittelwelle. Rund 100 Sender passten auf die Skala, die offizielle Trennschärfe, also der Abstand von 18 Kilohertz zwischen Sender und Sender, wurde oft nicht eingehalten.
    Erst mit der Genfer Mittelwellenkonferenz 1975 trat Frieden ein. Die DDR war glückliches Mitglied der Internationalen Telekommunikationsunion ITU geworden, einer Organisation der UNO geworden. Leiter des mehrwöchigen Verhandlungsmarathons in der Schweiz war der Frequenzbeauftragte der DDR, Herbert Götze. "Mit Inkrafttreten des Vertrages haben wir alle abgeschaltet. Wir haben sehr darauf geachtet, dass nicht irgendwo einer weiterjubelte. Die gingen schlagartig nachts um 12 alle aus."
    "Was sagte das ZK dazu?"
    "Also, es war für das ZK ziemlich schwierig, dieser Sache zuzustimmen. Nicht, weil sie Angst hatten, dass der RIAS unsere Leute verwirrte. Denn es hörte eh keiner mehr Mittelwelle. Wenn einer die westlichen Sender hören wollte, haben sie alle auf UKW umgeschaltet. Das war also nicht mehr das Problem. Aber das Problem für das ZK bestand darin, dass, wenn man so etwas ausschaltet und unterschreibt, ab jetzt wird RIAS nicht mehr gestört: Aha, diese Sendungen sind jetzt alle genehmigt? Man kann also auch dieses Fernsehen sehen? Das war das einzige Problem."
    Beim Internetradio ist jeder Empfänger genau bekannt
    Diese Wellen spielen heute zumindest in Zentraleuropa fast keine Rolle mehr. Die meisten Rundfunkhörer haben vergessen, dass es sie gab, viele wissen gar nicht, dass es sie gab und wie wichtig sie ein halbes Jahrhundert lang waren. In großflächigen Ländern und Kontinenten wird die Mittelwelle wegen ihrer Reichweite noch lange das einzige Rundfunksignal sein, das man terrestrisch ohne großen Aufwand empfangen kann. Niemand wird den Erdball alle 10 Kilometer mit DAB-Antennen oder Mobilfunkmasten zupflastern wollen.
    Aber auch in den schwach bevölkerten Gebieten gibt es viel besser klingende digitale Konkurrenz – von oben: Satelliten strahlen Rundfunk und Fernsehen ab, man kann darüber auch Internetradio hören, wenn auch für viel Geld.
    Das Internet ist ein komplexes digitales Netzwerk und hat mit dem Grundgedanken von Rund-Funk nichts mehr zu tun. Wer an seinem Radiogerät die Antenne auszieht, wird die von einem Punkt aus rundherum in die Welt gefunkten Wellen empfangen. Der die Wellen abstrahlt, der Sender, weiß nichts von dem kleinen Radio. Beim Internetradio weiß er es genau.
    "Wenn ich über ein Transistorgerät Radio gehört habe, blieb ich tatsächlich anonym. Ich wurde nicht als Hörer identifiziert. Aber in dem Moment, wo ich Streaming-Dienste als Radio über Internet empfange, bin ich als Empfänger, bin ich mit der Adresse meines Endgeräts sofort nicht nur identifizierbar, sondern ich werde identifiziert. Dass Geheimdienste das ständig tun, ist ein offenes Geheimnis."
    Das im Jahr 1950 entwickelte Transistorradio TR-55. Der japanische Unternehmer Masura Ibuka erkannte rechtzeitig die Bedeutung des Transistors, erwarb Patente und legte mit dem batteriebetriebenen und 560 Gramm leichten Sony TR-55 den Grundstein für die Weltmacht des Unternehmens.
    Das im Jahr 1950 entwickelte Transistorradio TR-55 von Sony. (picture alliance / dpa / Bertelsmann Lexikon Verlag)
    Wolfgang Ernst, Medientheoretiker an der Humboldt-Universität Berlin.
    "Vieles Negative, was heute im Internet passiert, Organisation von Terror, Überwachung Unschuldiger, Verhaftung von Bloggern aus politischen Gründen, erinnert an die Kämpfe, die vor 50 Jahren über Mittelwelle geführt wurden."
    Fukushima: Mobilfunk war als Erstes weg
    Hier verliest vermutlich ein Geheimagent Codes über einen Mittelwellensender, Zahlenblöcke, die nur der Empfänger dechiffrieren kann: "One seven seven eight two. Nine three four three eight ..." Eine halbe Stunde später endet die Durchsage mit lauter Nullen. "Six one zero zero zero zero."
    In der letzten Ukraine-Krise, als das Internet von den Behörden überwacht, eingeschränkt und teilweise abgeschaltet wurde, waren genau solche chiffrierten Botschaften über Mittelwelle zu hören. Dort ist heute viel Platz für Amateurfunker. Der Rundfunkhistoriker und Radiosammler Rainer Steinführ sieht in dieser Krisenbeständigkeit einen weiteren Grund, die Mittelwelle nicht ganz im Stich zu lassen:
    "Nehmen Sie das Beispiel Fukushima. Es ist gerade ein paar Jahre her, als sich der Tsunami sich mit dem Hochgehen der Atomkraftwerke dort verband. Das führt, als der Tsunami rüber rauschte, dazu, dass als Erstes die Medien ausfielen, auf die wir heute setzen: Mobilfunk." – "Und damit Twitter." – "Alles. Alle Medien, bei Facebook angefangen, waren damit, und zwar als Erstes weg. Am besten durchgehalten haben UKW-Rundfunksender und Mittelwellensender, und die wurden teilweise selbst mit Mikrofonen im Sender mit Warnmeldungen besprochen. Also nicht im Studio, das Studio ist ja immer woanders als der eigentliche Sender, sondern vom Sender, um die Nachrichten noch an den Mann zu kriegen."
    Mit hybrider Strategie gegen einen Ausfall
    Dazu Rainer Kampmann, Verwaltungs- und Betriebsdirektor vom Deutschlandradio: "Ja klar spielt die Stabilität des Netzes eine Rolle, weil wir auch in Notsituationen gewisse öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Unsere Erfahrungswerte sind nur ein bisschen anders. Die Mittelwelle stammt aus einer Zeit, als sie der einzige Verbreitungsweg war. Unsere jetzige Strategie ist ja, was man eine hybride Strategie nennt, also 'Terrestrik und mehr'. Und das heißt, terrestrische Ausstrahlung über DAB oder auch über UKW, plus Satellit, plus Internet, plus Kabel. Dass alle Übertragungswege komplett ausfallen, in dieser hybriden Strategie mit den vielen Angeboten, ist jedenfalls hoch unwahrscheinlich, noch unwahrscheinlicher als der Ausfall der Mittelwelle."
    "Wir fahren jetzt in einem Auto von Potsdam nach Spandau. Es wird schon langsam dunkel. Was kriegen wir denn auf Mittelwelle?"
    "Herzlich wenig. Ich hoffe, dass ich jetzt den Sender aus der Gegend von Braunschweig bei Cremlingen hören kann, das ist der Deutschlandfunk, der aber in dieser Zeit, der Dämmerungszeit besonders schlecht reinkommt. Da schlägt jetzt sogar noch ein anderer Sender durch. Hören Sie das? Da ist noch ein zweiter Sender drauf, und die stören sich gerade gegenseitig." - "Also das könnten Sie natürlich heutzutage niemandem als guten Rundfunkempfang verkaufen." – "Nö, das ist richtig." – "Das liegt auch daran, dass der Sender einmal stärker war?" – "Der Sender war stärker, und er ist für Mittelwelle am Tage schon weit weg. So, wenn der Motor aus ist, ist es auch noch mal besser." – "Forschung Aktuell. Gut, der Motor ist abgeschaltet, wir hören im Moment also die Zündkerzen nicht funken." – "Das liegt daran, dass gerade bei diesem Radio ein technisches Problem ist." – "Also bei Ihnen hätte ich jetzt schon erwartet, dass Sie es entstören." - "Es ist das Auto meiner Frau, und die hört nicht Mittelwelle."