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Grundschulen
Minischulen vor dem Aus

Bis 2020 will Sachsen-Anhalt sich schuldenfrei gespart haben. Dafür opfert es kleine Grundschulen. Um weiter ihre Pforten öffnen zu dürfen, muss eine Schule mindestens 60, in dünn besiedelten Gegenden 52 Schüler haben. Dagegen regt sich bei den Eltern Protest.

Von Christoph Richter | 09.01.2014
    SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh will etwa 150 sogenannte Minischulen im Land schließen. Alles andere sei schlicht nicht bezahlbar, betonte Kultusminister Dorgerloh erst kürzlich in einer Rede im sachsen-anhaltischen Landtag.
    "In der vergleichenden Betrachtung der Schulnetze der Flächenländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, hat Sachsen-Anhalt mit Abstand die meisten kleinen Grundschulen mit weniger als 60 Schülerinnen und Schüler. Unser Bundesland verfügte 2012 über 82 dieser Grundschulen, Sachsen über 18, Thüringen über 11, und das am dünnsten besiedelte Mecklenburg-Vorpommern 20 Grundschulen mit weniger als 60 Schülern. Noch mal zum Vergleich: wir 82."
    Nach den Berechnungen des Kultusministeriums bedeute die Schließung der Minischulen ein Einsparpotenzial von etwa 140 Millionen Euro. Matthias Reichert aus Pouch bei Bitterfeld schüttelt verzweifelt den Kopf. Er ist der Vater zweier Kinder, deren Grundschule - ein alter Plattenbau aus den 1980er-Jahren - dieses Jahr geschlossen werden soll:
    "Das Schlimme für die Kinder ist, dass die Klassen auseinandergerissen werden. Das heißt, die Klassen gehen nicht komplett in eine andere Schule. Das halten wir für die schlechteste Variante. Damit gehen Freundschaften zu Bruch, damit gehen Bindungen zu Bruch."
    Vom demografischen Wandel ist in Pouch allerdings nichts zu spüren. Nach Angaben der örtlichen Elterninitiative steigen die Schülerzahlen. Für das Schuljahr 2016/17 rechnet man gar mit 97 Schülern, unterstreicht Susanne Posniak, Mutter zweier Kinder. Das sei ein Anstieg von knapp elf Prozent innerhalb von nur drei Jahren, rechnet sie vor. Die Schülerzahlen würden damit klar über den Vorgaben der Landesregierung stehen, dennoch stehe die Schule in Pouch vor dem Aus. Die Zornesfalten graben sich bei Susanne Posniak tief ins Gesicht:
    "Ich sehe es bei mir, da ich in einer Berufsschule tätig bin, dass dort viele Dinge nicht erfolgt sind in den vergangenen Jahren. Und das ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass die Schüler teils schon in der Grundschule lange Fahrwege auf sich nehmen müssen, das geht dann in den weiterführenden Schulen weiter. Man kann sagen, dass ein Schulfrust entsteht bei den Schülern."
    Grundschulen als Maßnahme gegen den Bevölkerungsschwund
    Nach Ansicht von Soziologen und Regionalexperten sind Grundschulen nicht nur Bildungseinrichtungen, sondern auch herausragende demografische Instrumente zur Bevölkerungsstabilisierung. Grundschulen seien identitätsstiftend, für die Attraktivität von Dörfern als Wohnort für junge Familien immens wichtig. Im Gegensatz dazu können Dörfer ohne Grundschulen ein entscheidender Grund für den Niedergang sein. Die Vorlage liefert das ländliche Vorarlberg in Österreich, wo es vielerorts viele kleine Grundschulen von gerademal 20 Kindern gibt, die aber dadurch einen Zuzug zu verzeichnen haben.
    Autoren des Berlin-Instituts - ein Thinktank, der sich mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels beschäftigt - haben gar errechnet, dass die Kosten der Schulbusse, die Einsparmaßnahmen zunichtemachen würden, so dass der Erhalt der Grundschulen, trotz des Unterschreitens von Mindestschülerzahlen, billiger wäre, als das Schließen von Einrichtungen.
    Erst sanieren, dann schließen
    Ortswechsel. Auch in der weltweit kleinsten Hansestadt Werben, im nördlichsten Zipfel Sachsen-Anhalts, soll die Grundschule geschlossen werden. Ein Ort wie aus dem Biedermeierbilderbuch. Fünf Jahre lang hat man den preußischen Backstein-Schulbau mit angeschlossener Schwimmhalle, Schulgarten und Sportplatz für mehr als 800.000 Euro saniert. Egal, wenn alles nach Plan läuft, dürften im Sommer die Schulglocken für die aktuell 40 Schüler für immer verklingen. Damit würde in Werben eine 600-jährige Schultradition zu Ende gehen, betont Jochen Hufschmidt, Bürgermeister in Werben:
    "Uns macht das fassungslos und verbittert auch, dass unsere Kinder in eine Nachbarschule sollen, die bei Weitem nicht diese Standards erfüllt. Das ist etwas, was kein Mensch versteht. Das ist für den ganzen Raum eine Katastrophe."
    Jetzt klammert man sich in Werben an den letzten Strohhalm. Und hofft, dass der in diesen Minuten tagende Petitionsausschuss des Landtags ein Einsehen hat, und die Pläne des Kultusministeriums zurückweist. Gerne würde man in Werben - um Geld bei Lehrern zu sparen - jahrgangsübergreifenden Unterricht einführen, so wie er in kleinen Dorfschulen früher üblich war. Doch bis jetzt hat keiner darauf reagiert, ergänzt noch Bürgermeister Hufschmidt.