Freitag, 29. März 2024

Archiv

Jüdische Gemeinde Berlin
Whistleblower belastet Vorstandschef

Seit Monaten wird Gideon Joffe, Vorstandschef der Jüdischen Gemeinde Berlin, vorgeworfen, er sei möglicherweise unrechtmäßig im Amt. Bislang konnte er alle Vorwürfe der Wahlmanipulation aussitzen. Nun aber ist ein ehemaliger Insider an die Öffentlichkeit gegangen.

Von Jens Rosbach | 11.08.2016
    Gideon Joffe
    Der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde weist alle Anschuldigungen zurück und sieht in den Aussagen Boris Brauns einen Rache-Akt. (picture-alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Der Ort ist geheim. Boris Braun betritt leise eine Berliner Synagoge, läuft an roten Sitzreihen vorbei und öffnet die Tür zu einem kleinen Nebenraum. Der 48-Jährige schiebt seine schwarze Kippa zurecht, streicht über seinen langen schwarzen Bart - dann legt er los: Schon lange habe er von Wahlfälschungen in der jüdischen Gemeinde gewusst, sprudelt es aus ihm heraus.
    "Als ich in den Spiegel geguckt habe, ich habe meinen Kopf immer runter gemacht. Ich konnte noch nicht einmal mich angucken. Weil ich wusste die Wahrheit und ich wusste nicht, was ich damit machen sollte. Ich wusste wirklich nicht, wie ich weiter mache!"
    Boris Braun, der in Georgien und in Israel aufwuchs, kam vor elf Jahren nach Deutschland, um hier als IT-Experte zu arbeiten. 2011 kandidierte er bei der Wahl in der jüdischen Gemeinde und wurde Kultusdezernent der Berliner Religionsgemeinschaft - unter Vorstandschef Gideon Joffe, dem Wahlsieger. Allerdings sei der Urnengang nicht koscher abgelaufen, behauptet Braun - er habe jedoch aus Naivität und Gehorsam geschwiegen. Schließlich wendet sich der gläubige Jude doch an die Öffentlichkeit.
    In der RBB-Abendschau vor zwei Wochen beschreibt Boris Braun detailreich, wie 2011 Briefwahlumschläge angeblich geöffnet, manipuliert und in die Urnen geworfen worden sein sollen. Er selbst und Gemeindechef Gideon Joffe seien beteiligt gewesen. So habe er bei einem Treffen in Berlin-Mitte mit Joffe darüber gesprochen.
    "Dann hat er den Kofferraum aufgemacht von seinem privaten Auto und holt er zwei so 'ne große Supermarkttüten voll mit Briefwahlumschlägen heraus. Das waren bestimmt 150, 200 Stück. Ich guckte ihn schockiert an. Puh, was ist das denn? Ja, sagt er: Das muss alles geworfen werden. Sag ich: Warum willst Du, dass ich das mache, warum machst Du es nicht? Da sagte er: Naja, ich habe so viele schon reingeworfen, wenn ich das jetzt nochmal mache, dann wird es verdächtig."
    Der Fernsehreport präsentiert außerdem Aussagen von Personen, die auch eine Manipulation der Gemeindewahl im letzten Jahr nahe legen. Überregionale Zeitungen greifen die Geschichte auf. Plötzlich ist Boris Braun ein Whistleblower. Und die gemeindeinterne Opposition, die Joffe schon immer undemokratisches Verhalten vorgeworfen hat, sieht sich bestätigt. Gideon Joffe weist hingegen alle Anschuldigungen zurück. Der Gemeindechef ist für die Presse derzeit nicht zu sprechen, stellt aber auf der Gemeinde-Homepage seine Sicht in einem Video dar.
    "Die Vorwürfe von Herrn Braun sind völlig haltlos. Sie sind ausgedacht vom ersten bis zum letzten Buchstaben."
    Joffe kontert mit schweren Vorwürfen gegen Braun. Die Behauptungen des ehemaligen Kultusdezernenten seien ein Racheakt, weil man sich von Boris Braun als Vorstandsmitglied getrennt und ihm keine Weiterbeschäftigung angeboten habe.
    "Er hat weiterhin gesagt, wenn ich also nicht mehr in der Gemeinde sein darf, ist es für mich eine Art Niederlage – und wenn ich untergehe, dann soll auch der restliche Vorstand, mit dem ich gearbeitet habe, gemeinsam mit mir untergehen. Für ihn ist diese Erpressung also ein Mittel, um sich quasi an den Personen, die nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten möchten, zu rächen."
    Gemeindechef Gideon Joffe gibt sich unbeeindruckt.
    "Wir lassen uns von diesen haltlosen Vorwürfen nicht beeinflussen. Wir machen weiter mit der positiven Arbeit für unsere Gemeindemitglieder."
    Die Videobotschaft endet mit einer kämpferischen Ansage.
    "Zurzeit prüfen wir die Einleitung rechtlicher Schritte – sowohl gegen Herrn Braun als auch gegen den RBB."
    Braun: "Ich habe Sorgen um mich und meine Familie"
    Boris Braun weist wiederum die Anschuldigung zurück, dass es ihm um einen Gemeindejob und um Rache ginge. Allerdings ist er beunruhigt wegen der juristischen Warnung. Hinzu käme ein anonymer Einschüchterungsversuch, klagt der Abtrünnige.
    "Ich habe einen Anruf bekommen, eine unterdrückte Nummer, die mir gesagt hat: Du hast auch Deine Familie gefährdet! Ich habe Sorgen. Ich habe Sorgen um mich und meine Familie, ja, natürlich!"
    Doch auch Gemeindechef Joffe muss sich Sorgen machen. Denn der Fall beschäftigt mittlerweile den Zentralrat der Juden in Deutschland. Bislang hatte sich das Spitzengremium geweigert, in die Berliner Auseinandersetzungen einzugreifen. Doch nun fordert der Zentralrat Konsequenzen. Joffe, der die Berliner Gemeinde in dem Gremium vertritt, sollte sein Zentralrats-Amt ruhen lassen, fordert das Präsidium in einer Presseinformation. Auch das Land Berlin reagiert kritisch. So verweist die Senatsverwaltung für Kultur darauf, dass der Vorwurf des Wahlbetruges schon länger im Raum stehe und dass das Wahlergebnis – laut einem innerjüdischen Gericht – nur vorläufig sei. Dennoch wolle man weiterhin mit dem "amtierenden Vorstand" reden, heißt es in einer Stellungnahme. Doch diese Position ist umstritten im Regierungslager. So spricht sich Brigitte Lange, die kulturpolitische Sprecherin der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, für mehr Abstand aus.
    "Aufgrund der jetzigen massiven Vorwürfe würde ich empfehlen, dass die Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde ruht, bis alle Vorwürfe aufgeklärt sind."
    Der politische Druck auf Gemeindechef Joffe steigt. Zudem könnte sich auch die Staatsanwaltschaft einschalten. Denn oppositionelle Gemeindemitglieder haben mittlerweile Strafanzeige wegen der Wahlfälschungs-Hinweise erstattet gegen Gideon Joffe und andere. Whistleblower Boris Braun will auf jeden Fall weiter machen – und neue Mitwisser präsentieren.
    "Sollte es zum Gericht kommen, ich schleppe die dahin! Ich schleppe die dahin – und die werden die Wahrheit sagen!"