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Merlins Zauber

Seit 20 Jahren wird Tankred Dorsts Theaterstück .Merlin' jährlich aufgeführt - als nächstes 2002 im Dresdner Schauspielhaus -und dieser Erfolg macht den 76-jahrigen Autor zum meistgespielten Dramatiker Deutschlands. Zum Jubiläum des Stücks hat er nun eine persönliche Sammlung mit Texten, Bildern und Gesprächen veröffentlicht: ,Merlins Zauber' heißt das Buch, und es bietet einen überaus anregenden Blick auf die Geschichte dieses Dramas - seine Entstehung, sein Thema, seine Aufführungen. Was heute als Hauptwerk von Dorst gefeiert wird, erschien ihm ursprünglich jedoch als kein sonderlich reizvoller Stoff. Peter Zadek fragte ihn, ob er nicht für eine Aufrührung in der Hamburger Fischhalle ein Stück schreiben könnte:

Volkmar Mühleis | 21.01.2002
    Es ist ja manchmal so, dass man von einem Ort auch motiviert wird. Und hier war es nun so: Wir hatten diese Halle zur Verfügung, oder es schien so, als ob wir sie zur Verfügung hätten - Peter Zadek und ich, damals, bzw. Zadek für ein Festival, das Festival der Welt oder der Nationen, hieß es, glaub' ich, früher - und es war also Geld da und eine Halle da, aber kein Stück. Und er sagte dann: Lies doch mal diese alten Geschichten von König Artus und der Tafelrunde und von Merlin, und ich habe mir auch das Buch beschafft und konnte damit eigentlich gar nichts anfangen. Und es war dann doch so, wie es einem geht, oder wie es mir geht: Gerade weil es schwierig war, bin ich da drangeblieben und habe versucht eine Geschichte zu finden, die für mich erzählbar war.

    Merlin, der Name erinnert an den keltischen Zauberer, der entweder in mittelalterlichen Ritterromanen zu finden ist oder in der heutigen Unterhaltungsliteratur, in Comics oder im Femsehen. Die Popularität von Dorsts Stück wurde oft mit der Mode von Sagengeschichten in Verbindung gebracht, mit Büchern wie ,Der Medicus' oder ,Avalon' etwa. Rollenspielen wie ,Das schwarze Auge', in dem es von Zwergen, Helden und Zauberern nur so wimmelt. Damit hat Merlin oder Das wüste Land , wie das Drama im Titel heißt, aber nur wenig zu tun, auch wenn es zu seinem Erfolg beigetragen haben mag. Dorst erzahlt vom Scheitern jeglicher Utopie, in einem Bogen, der vom Erscheinen Christus' bis zu König Artus reicht, und mit dem Zerfall seiner Tafelrunde als Sinnbild menschlicher Ordnung zeigt: Die Zivilisation ist nur ein dünngewebter Teppich, der schnell ausbleicht, ausfranst, Löcher bekommt, und der gänzlich zu reißen droht, im Auf- und Abrechnen der Einzelnen mit- und untereinander. Ein Weltbild etwa, der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte; ein Abgesang auf sozialistische Utopien, wie ihn Dorst 1968 mit seiner Revue , Toller' bereits anklingen ließ, all das ist eingebettet in ein opulentes und dabei sehr spielerisches Drama, denn Pathos und große Gesten liegen dem Münchner Autor fern, worauf er über Max Frisch zu sprechen kommt:

    Im Laufe des Arbeitslebens stellt sich heraus: Manche Sachen kann MD 11 man gut, manche kann man nicht so gut. Und ich erinner' mich an so Gespräche mit Max Frisch, die wir häufig gefuhrt haben in Rom damals und dann auch in Berzona, und dann hatten wir uns mal so ausgesponnen, daß man eigentlich, er sagte also, daß, ihm fallen zum Beispiel Szenen mit vielen Menschen, also Gruppenszenen oder Partyszenen fallen ihm schwer und andere Sachen fallen ihm wieder leicht, eine Auseinandersetzung oder so, ein intimer Dialog über eine politische Sache ist ihm näher. Und wir dachten eigentlich, da kann doch: Du schreibst das, und du schreibst das, und jeder schreibt das, was er kann. Aber jeder Mensch muß ja, als Dramatiker muß man schon auch Szenen schreiben, die notwendig sind, aber für die er nicht das ideale Talent hat. Das gibt es einfach, und ich selber zum Beispiel habe eine eigentlich - so komisch das klingt -, eine Abneigung gegen dramatische Szenen. Das ist eine Charakterfrage, aber nun kann man ja denken: Wenn man Stücke schreibt, muß man vor allem für dramatische Szenen einen Sinn entwickeln oder Verständnis haben. Und gerade das fällt mir eigentlich schwer, es fallt mir viel leichter eine, sozusagen den intimeren Bewegungen eines Charakters nachzugehen und sie aufzuschreiben als so eine Kontroverse von zwei Personen über ein abstraktes Thema.

    Hat diese Abneigung gegen jetzt das Dramatische, was einem vielleicht ja auch aufgesetzt erscheinen kann, auch mit einem Sinn für Groteskes, Kurioses, Clowneskes, Humorvolles zu tun, daß Ihnen das einfach sehr vertraut ist?

    Ja, das ist, ich meine, das ist vielleicht die Ursache, ich weiß nicht ob, Bemard Shaw hat einmal gesagt: Der Ironiker ist ein beleidigter Pathetiker. Und so, nun bin ich eigentlich - bei Ironie hab' ich auch meine Vorbehalte, weil ich denke, wenn man alles ironisch macht, hält man, das ist deshalb, weil man sich raushalten will. Das will ich nicht. Aber ich hab' schon, mir ist die Welt schon immer, seit früher Jugend kann ich sagen, als eine, eher als verwirrend und grotesk erschienen und nicht, ich hab' die Welt eigentlich nie idealistisch gesehen.

    Der Zauberer Merlin ist bei Tankred Dorst der Sohn des Teufels, der seinem Vater nicht gehorcht, der den grobschlächtigen Ritter Parzival zum erlösenden Gral führen möchte und durch seine eigenen Tricks und Verwandlungen jedoch schließlich in eine Falle gerät, er wird in einen Dombusch gebannt. Merlin ist also ein Verwandlungskünstler, ein Spieler, ein Entertainer, der die Suche nach dem Guten am Laufen halten will. Doch über den Schatten seiner Herkunft kann er nicht springen, die Revolte gegen die Väter endet in diesem Stück chaotisch: auch Artus' Sohn Mordred läuft ins Leere, er tötet im Wahn sich und seinen Vater.

    In dem nun erschienen Überblick hat Dorst seinen ersten Entwurf des Stücks abgedruckt, ein langes Gespräch mit ihm und seiner Mitarbeiterin Ursula Ehler gibt Aufschluss über die für sie zentralen Aspekte des Textes, und zahlreiche Abbildungen schaffen assoziative, dokumentarische oder historische Bezüge zum Drama. Wie eine Reihe von Theaterstücken des Autors auch, so ist dieses Buch aus allerhand Fragmenten, Haupt- und Nebenschauplätzen aufgebaut, eine Collage - aus auch bereits erschienenem Material, das in dieser Zusammenstellung aber neue Facetten erhält: zwischen Unveröffentlichtem wie Dorsts Libretto für eine Oper namens Purcells Traum von König Artus zum Beispiel oder autobiographischen Aufzeichnungen, wie die über seine Bahnfahrt zur Premiere des Merlin 1981, welche von München nach Düsseldorf fast genauso lang dauerte wie die Aufführung selbst. Seine Rückschau jetzt gilt aber auch der Selbstvergewisserung zum Weitermachen. Derzeit arbeitet er u.a. an einem Stück namens ,Die Wüste', ein Titel, der unmittelbar an .Merlin oder Das wüste Land' erinnert:

    Ich hab', vor vielen Jahren hab' ich mal einen Film über Camus gemacht, für den WDR - ist schon sehr lange her, meine Anfangszeit - , und da war ich in Algier in Algerien und sah dort ein Foto in einem Fenster, war das so, ein Foto von einem, vom Hoggar-Gebirge, das ist im Süden der Sahara, und in dieser Wüstenei, in dieser Mondlandschaft - riesige Berge, steinerne, große Gebilde -, war eine kleine Hütte. Und ich dachte mir, wer hat da gewohnt? Und hab' dann später in Paris in einer Buchhandlung, hab' ich ein Taschenbuch gesehen, wo dasselbe Foto drauf war. Und dann hab' ich mich erkundigt, und dann kam ich auf die Geschichte von diesem Menschen, der da gewohnt hat. Das war eigentlich sozusagen der erste Anlass für das Stück, es hat mich immer wieder mal beschäftigt, dann hab' ich's wieder gelassen, denn man muss ja auch eine innere Beziehung dazu haben, also ich jedenfalls, ich kann nicht ein Stück schreiben, weil ich denke, das ist jetzt aktuell, oder so. Das kann ich überhaupt nicht, ich kann es nur, wenn es mit mir, meinen Problemen, doch irgendwie im Zusammenhang steht.

    Das Foto ist in Merlins Zauber abgedruckt, zum Abschluss des langen Interviews über ,Merlin' und als Ausblick auf das kommende Projekt. Bevor es allerdings überhaupt zur Aufführung kommen kann, werden erst noch drei andere Stücke in Premiere gehen und von seinem Schreibtisch zurück in den alten Apothekerschrank wandern, der in Tankred Dorsts Arbeitszimmer steht und dessen 50 Schubladen entsprechend viele Projekte versammeln. Für den Leser hat er die Lade .Merlin' nun weit aufgezogen und herausgeholt, was ihn an dem Stück reizt und noch heute herausfordert: Im Theater nämlich eine Geschichte zu erzählen, und nicht Meinungen zu dialogisieren. Wahrscheinlich ist das eher der Grund für seine Popularität, und nicht die Modetrends.