Dienstag, 19. März 2024

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Rechtsextremismus-Prävention
"Was wir brauchen, ist nicht der ideologische Holzhammer"

Sächsische Schüler der zehnten Klasse sollen Geschichte nicht mehr abwählen dürfen - als Maßnahme gegen das Entstehen von Rechtsextremismus. Diesen Vorstoß der Landesregierung hält die Schriftstellerin Anna Kaleri für weniger sinnvoll. Bereits die DDR habe gezeigt, dass man Menschen nicht durch Schulunterricht zu besseren Menschen machen könne, sagte sie im DLF.

Anna Kaleri im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 13.06.2016
    Demonstranten bei einer Demo der Partei "Die Rechte" in Essen
    Anna Kaleri: "Die Leute, die jetzt Demagogen hinterherlaufen, sind aufgeklärt worden über die Gräuel des Faschismus - im Geschichtsunterricht, mit Mahnmalen, mit KZ-Besuchen." (Deutschlandradio/Jochen Tack)
    Doris Schäfer-Noske: Erdkunde oder Geschichte? Das soll für sächsische Schüler der zehnten Klasse in Zukunft nicht mehr die Frage sein, denn Geschichte sollen sie nicht mehr abwählen dürfen. Ministerpräsident Tillich hat diese Neuerung in Sachsen angekündigt als eine Maßnahme gegen Rechtsextremismus. Doch ob das tatsächlich so viel hilft, wird von Experten bezweifelt. So kritisierte der Extremismus-Forscher Andreas Zick in unserer Sendung, man könne den Kampf gegen Rechtsextremismus nicht einfach einem Schulfach zuordnen. Für eine gute Idee hält er es dagegen, mehr auf Kunst und Kultur zu setzen. Genau das passiert auch schon, zum Beispiel beim Projekt "Literatur statt Brandsätze". Da lesen Schriftsteller ehrenamtlich an Orten in Sachsen, an denen sonst wenig kulturell geboten ist. Fünf von 50 Lesungen haben inzwischen stattgefunden, die fünfte gestern Abend. Frage an die Schriftstellerin Anna Kaleri, die Initiatorin des Projektes: Frau Kaleri, wie groß war denn bisher die Resonanz?
    Anna Kaleri: Ich bin sehr zufrieden mit der Resonanz. Natürlich kann man mit Literatur nicht so wahnsinnig viele Leute erreichen wie mit Fußball zum Beispiel, aber es kommt auch auf die Qualität der Begegnung und der Lesung an. Zum Beispiel hat Elmar Schenkel gelesen, ein wunderbarer Autor, der assoziativ schreibt und mit einer entspannten Wachheit ein breites Publikum anspricht und die Leute dort abholt wo sie sind.
    Schäfer-Noske: Nun hat man bei Kulturveranstaltungen ja oft das Problem, dass Leute kommen, die sowieso nicht mehr überzeugt werden müssen. Kann man denn mit Lesungen zum Beispiel überhaupt Menschen erreichen, die in Kontakt zu Leuten der rechten Szene stehen?
    Kaleri: Die Frage stellen wir uns auch ständig. In dem Fall zum Beispiel jetzt am Wochenende waren drei Lesungen im Rahmen eines Lesefestes in Meißen und das fand kostenlos und open air statt. Das heißt, da haben wir wirklich ein breites Publikum angesprochen und auch Menschen, die sonst vielleicht nicht zu Lesungen gehen. Das ist natürlich optimal.
    Schäfer-Noske: Werden denn dann die Bücher, die da gelesen werden, auch thematisch ausgewählt?
    Kaleri: Nein. Es ist so herum: Ich habe Ende Februar einen Aufruf gestartet nach diesen ganzen schlechten Nachrichten aus Clausnitz zum Beispiel, und diesem Aufruf sind 60 Autoren gefolgt und die haben ein Leseangebot erstellt. Und das ist so breit aufgestellt wie die Autoren auch arbeiten. Es geht von Lyrik über Prosa, Romane bis hin zum Sachbuch und es muss nicht explizit in Richtung Aufklärung gehen, weil ich denke, dass man da Leute auch eher abschrecken kann.
    "Dunkle Anziehungskraft gehört ausgesprochen und thematisiert"
    Schäfer-Noske: Sie haben gesagt, dass Sie bei einem open air Festival auch Lesungen machen. Da kann man natürlich jeden ansprechen. Ist auch geplant, zum Beispiel an Schulen zu gehen, um ganz gezielt dort das Entstehen von Rassismus zu bekämpfen?
    Kaleri: Ja. Es gibt erste Anfragen von Schulen und wir freuen uns, dass wir auch dort lesen können.
    Schäfer-Noske: Was halten Sie denn vom Vorstoß der sächsischen Landesregierung, dass Schüler Geschichte in der Oberstufe nicht mehr abwählen dürfen?
    Kaleri: Zunächst einmal ist das für mich schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn unser Ministerpräsident ausspricht, dass es in Sachsen Probleme mit Rechtsradikalen gibt und dass verstärkt nach Lösungen gesucht wird. Denn die bisherigen Ansätze, die es ja durchaus gab, wie zum Beispiel das Programm "Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz, die scheinen nicht richtig gegriffen zu haben. Aber ich glaube, was wir brauchen ist nicht der ideologische Holzhammer, denn das hat ja die DDR gezeigt, dass man Menschen nicht durch Schulunterricht zu besseren Menschen machen kann. Die Leute, die jetzt Demagogen hinterherlaufen, sind aufgeklärt worden über die Gräuel des Faschismus im Geschichtsunterricht, mit Mahnmalen, mit KZ-Besuchen. Pflichtlektüre in meiner Kindheit war "Nackt unter Wölfen". Mein Eindruck ist eher, dass diese Aufarbeitung übergestülpt war, zu ideologisch gewollt, für manche zur falschen Zeit. Ich glaube, wir brauchen insgesamt mehr Differenziertheit und etwas, wo jeder ganz persönlich mit seinen Erfahrungen und Emotionen anknüpfen kann, zum Beispiel über Zeitzeugengespräche, die es ja durchaus noch gibt, und da finde ich besonders wichtig, dass man auch thematisiert, welche Faszination vom Nationalsozialismus und seinen Akteuren ausging. Denn diese dunkle Anziehungskraft gehört auch ausgesprochen und thematisiert, weil sie ja heute auch wieder von Rechten ausgeht, die vorgeben, dass sie Heil bringen und in Wirklichkeit auf Ausgrenzung und Druck und Angst bauen.
    Schäfer-Noske: Das heißt, wenn ich Sie da richtig verstehe, dann nützt es nichts, wenn man die Dinge nur im Geschichtsunterricht hört, sondern man müsste die Menschen direkter ansprechen?
    Kaleri: Ja, und auch, wenn man sich fragt, was Kultur bedeutet. Es ist ja auch die Frage, wie man was rezipiert und wozu man das um sich hat, ob man eine Läuterung der Gefühle durch Kunst erfährt, oder eher sein Ego aufwertet, oder pathetische Rührung empfindet, weil ein Pathos ist für meine Begriffe das Gegenteil von echtem Gefühl. Und auch Patriotismus - diese Debatte haben wir gerade - zeigt in diese Richtung, aufgesetztes Gefühl.
    Schäfer-Noske: Das war die Schriftstellerin Anna Kaleri über Kultur im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.