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Polit-Channels mit respektloser Neugier

Auf YouTube finden sich immer mehr Kanäle, die jungen Leuten Politik nahebringen wollen. Die Magazine werden von Nachwuchsjournalisten realisiert, die sich selbst finanzieren. Sie wollen Politik einfach erklären, zum Teil unter Mitwirkung ihrer Nutzer.

Von Marco Müller | 24.07.2014
    Ein Mann sitzt an einem Computer, daneben eine Kamera.
    Die Politwelle auf YouTube ist zwar heute noch kein Tsunami, aber die Interviewer und ihre Clicks sind mehr geworden. (dpa/Armin Weigel)
    "Hallo liebe Störer, auf Stör/element, eurem Polit-Channel. Hier gibt's jeden Sonntag neue Videos zu aktuellen politischen Themen..."
    "So, eine neue Folge 'Jung & Naiv' und wir reden dies Mal über diesen ollen Koalitionsvertrag von Schwarzrot..."
    "Von Politik keine Ahnung - und was in der Zeitung steht, habt ihr noch nie verstanden? Macht nix - dafür habt ihr jetzt ja mich..."
    Man reibt sich vor dem Monitor die Augen und glaubt kaum, was man sieht: Zwischen Jungs, die über "höllisch bescheuerte Games" reden, neben Werbung, Bravo-Ersatz und krisseligen Homevideos wirken sie auf YouTube fremder, als jeder Alien: Junge Menschen unter 25, die plötzlich Regierungssprecher duzen oder den Israel-Palästina-Konflikt erklären. Ins Rollen kam diese kleine "Politik - was ist das eigentlich?"-Welle auf YouTube im Frühjahr letzten Jahres mit dem Versuchsballon des Berliners Tilo Jung. In den erfolgreichen halbstündigen Interviews seiner Reihe "Jung & naiv", die quasi dogmagleich ohne Schnitt gedreht werden, lässt der "Jung"-Journalist die Politprominenz gleich reihenweise über vermeintlich naive Fragen stolpern.
    Tilo Jung: "Was hat dich denn qualifiziert zur Bundesdrogenbeauftragten?"
    Bundesdrogenbeauftragte: "Eh ... Was hat mich qualifiziert? ... Du kannst die Frage auch der Verteidigungsministerin stellen. Was hat die denn qualifiziert?!"
    Respektlose Neugier
    Die Politwelle auf YouTube ist zwar heute noch kein Tsunami, aber die Interviewer und ihre Clicks sind mehr geworden. "Stör/element" heißt zum Beispiel ein neuer Channel aus Köln, der politische Themen in Viertelstunden-Features mit Animationen, Experten-Interviews inklusive Recherche und Discomusik-Soundtrack aufbereitet. Die Macher sind um die 25 Jahre alt, Medien-, Journalistik- oder Politikstudenten und finanzieren ihren Kanal selbst. Einen Trick haben sie sich sich allerdings, wie andere auch, von Jung abgeguckt: Statt alles besser wissen zu wollen, geben sie klug zu, gar nichts zu wissen, um dann ihre stärkste Waffe auszupacken: respektlose Neugier. Arne Fleckenstein ist einer von ihnen:
    "Wir versuchen immer erst naiv und grundlegend ranzugehen, erst mal ein Thema zu erklären, schon mehrere Seiten zu betrachten. Klar, es gibt Leute, die berichten, aber wir haben das Gefühl, dass so meine Generation das Gefühl hat, dass Politik an uns vorbeiläuft. Dass es reale Diskussionen gibt, in die man sich auch einschalten kann, das ist vielen nicht bewusst, weil da eine große Distanz herrscht. Deswegen wollen wir Grundlagenwissen vermitteln, um die Leute zu befähigen, sich einzumischen."
    "Lobbyismus - das ist für mich legale Manipulation: Ich möchte wissen: Wie funktioniert er genau? Und vor allem: Warum ist er legal?"
    Multiperspektivisch bekommt man in dieser Folge vom LobbyControl-Campaigner, über Abgeordnete bis zum RWE- Lobbyisten verschiedene Einsichten ins Thema. Jede Folge wird dabei von anderen Gesichtern moderiert. Spätestens, wer die Folge "Nachgestört" anklickt, merkt dann, worum es bei Stör/element und Politik auf YouTube auch geht:
    "Hallo liebe Störer. Heute gehen wir auf euer Feedback zum "Fracking" und zum "Mindestlohn" ein. Und außerdem erzählen wir euch noch, wie ihr mitbestimmen könnt, was wir in der nächsten Folge machen..."
    Macher alles andere als naiv
    "Für uns ist halt dieser Community-Gedanke - im Gegensatz zum Fernsehen - superzentral. Wir haben ja angefangen mit Crowdfunding, das war so unsere Start-Community, und dann eben unsere Themenfolgen. Da handhaben wir das so, dass unsere Leute auf Facebook uns jederzeit Themen schicken und bevor wir produzieren, machen wir eine große Abstimmung. Und dann, wollen wir auch noch einen Schritt weiter gehen - wir suchen Leute, die interessiert sind, mitzumachen."
    Politik auf Youtube wie "Stör/element" - ist immer auch Community-Journalismus. Und das ist dann tatsächlich neu, während man den Look aus TV-Formaten wie zum Beispiel "Quer" eben doch schon kennt und sich die vermittelten Infos auch über andere Medien beschaffen ließen. Aber welcher junge Internetnutzer macht das heute eigentlich noch? Auch darum sind die Macher, die neuerdings auf YouTube Politik erklären, wohl alles andere als naiv.
    "Also: Diskutiert mit uns unten in den Kommentaren, zeigt unser Video auf Facebook und immer dran denken: Schön weiter stören."