Mittwoch, 17. April 2024

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25 Jahre Mauerfall
Die DDR in Literatur und Film

Wie war sie genau, die DDR-Wirklichkeit? Seit 25 Jahren haben sich Literatur, Filme und auch die Netzgemeinde mit diesem Thema beschäftigt. Bei einem Symposium anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls in Weimar wurde Bilanz gezogen.

Von Henry Bernhard | 19.10.2014
    Nach der Öffnung der Grenzen der DDR zur BRD und Westberlin am 9. November 1989 werden überall auch provisorische Übergangsstellen eingerichtet. Auch in der Ebertstraße strömen Tausende nach erfolgtem Mauerdurchbruch in den Westen.
    Nach der Öffnung der Grenzen der DDR zur BRD und Westberlin am 9. November 1989 strömen Tausende nach erfolgtem Mauerdurchbruch in den Westen. (picture alliance / ZB / Bernd Settnik)
    "Moment mal, verdammte Scheiße, was erzählst du mir da gerade?
    "Gar nichts."
    "Du hast doch immer so große Töne gespuckt von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit! Du bist bei der ... ?"
    "Bin ich nicht. Das ist kompliziert, das verstehst du doch gar nicht!"
    "Nee, das verstehe ich nicht! DAS IST DOCH ALLES VERLOGENE SCHEIßE, IST DAS HIER!"
    Ein Ausschnitt aus dem Fernseh-Zweiteiler "Der Turm" von Christian Schwochow aus dem Jahr 2012. Im Weimarer Symposium über das DDR-Bild in Literatur, Film und Internet spielte "Der Turm" eine wichtige Rolle. Für den Filmwissenschaftler Gerhard Jens Lüdeker ist der Film ein Paradebeispiel für den aktuellen Umgang mit der DDR-Vergangenheit.
    "Es handelt sich um einen sogenannten Event-Fernsehfilm. Diese Art von Fernsehproduktionen werden von den finanzierenden Sendern umfangreich beworben und bei ihrer Premiere von Dokumentationen und Talkshows zu denselben Themen begleitet. Insbesondere in Talkshows auftretende Zeitzeugen oder Prominente, haben die Funktion, das TV-Event authentisch erscheinen zu lassen. Als Folge spielen TV-Event-Filme keine unbedeutende Rolle bei der gesellschaftlichen Konstitution von Geschichtsbildern und der aus dieser kollektiven Erinnerung hervorgehenden Konstruktion nationaler Identität."
    Lüdeker teilt die Filmproduktionen nach 1989, die sich mit der DDR befassen, in drei Phasen ein: Es begann mit den letzten DEFA-Regisseuren, die endlich die Filme drehen konnten, die sie schon immer machen wollten: Differenzierte, vielschichtige Filme, DDR-kritisch, doch mit der Hoffnung, dass es den besseren Sozialismus doch geben müsse, mit Skepsis gegenüber dem Westen.
    Unterschiedliche Phasen der Aufarbeitung im Film
    Danach folgten die klischeehaften Komödien wie "Go, Trabi, Go", in denen der Wende-gebeutelte Ossi gegenüber dem einfältigen Wessi auftrumpfen konnte. Die DDR wurde systematisch verklärt und bot entlastende Weltflucht in eine bessere Vergangenheit.
    Nach den ostalgischen kamen die kritischen Aufarbeitungsfilme. In Machart und Stil an Hollywood orientiert, oft von jungen westdeutschen Regisseuren, denen es wichtig ist, dass die Tapete am Filmset authentisch ist, nicht, dass die Geschichte überrascht. In diesen Filmen, so Lüdeker, gäbe es den schurkischen Stasi-Staat und den unterdrückten Ostdeutschen, der sich nach Freiheit sehnt.
    "Und ein totalitärer Staat, wie die DDR einer war, der trägt sich nicht von selber. Sondern, der ist zusammengesetzt aus einem Teil von Bürgern, die eben irgendwie mitgearbeitet haben. Und dieser Modus der Opfer-Erinnerung, der derzeit dominiert – egal, ob der verklärend ist in der Ostalgie oder in dieser kritischen Sichtweise noch krasser –, diesem Modus der Opfer-Erinnerung muss im Grunde genommen auch ein gewisser Satz Täter-Erinnerung anbeigestellt werden oder zumindest eine Perspektive darauf."
    Eine ähnliche Erfahrung machten auch acht Studentinnen des Studiengangs Public History an der FU Berlin. Sie haben untersucht, welchen Raum die DDR im Internet und in sozialen Netzwerken einnimmt, was es für Informationsangebote gibt und wie differenziert diese sind. Sie fanden zwei Extreme. Anina Falaska:
    "Wir haben tatsächlich mehrere DDRen gefunden! Wir haben auf der einen Seite sehr professionell gestaltete Seiten gefunden, auf denen die DDR vor allem im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution, mit der Opposition, mit der erfolgreichen Wende, dem Happy End erzählt wurde. Und wir haben aber auch die DDR gefunden als ein Regime, in dem sich sehr, sehr viel Leute wohl gefühlt haben, ihren Alltag gelebt haben wie in der Bundesrepublik."
    Auf Facebook würden nette DDR-Ferienlager-Erinnerungen und lustige Fotos ausgetauscht, auf den Seiten der Gedenkstätten wird ein Bild einer DDR gezeichnet, deren Personal nur aus der abstrakten Staatsmacht und den Bürgern als Opfer besteht. Schwarz und weiß, fand Lena Eggers:
    "Das Bild der DDR auf den von uns als interessant und seriös befunden Seiten ist das einer Diktatur, die weder politisch noch wirtschaftlich auf Dauer funktionsfähig war. Damit entspricht das Bild, zumindest in den ganz großen Linien, dem Stand der Forschung. Überraschend erscheint uns hingegen dass der Rolle der DDR-Opposition und der unzufriedenen DDR-Bürger so viel Gewicht beigemessen und dementsprechend sehr viel Raum in der Darstellung geboten wurde. Danach erscheint die DDR teilweise als ein von allen ungeliebtes Land, in dem fast jeder sich in der Opposition engagierte und sie gemeinsam letztendlich den fragilen Staat stürzten."
    Warum, so fragten die Studentinnen am Ende verschmitzt, haben die unzufriedenen DDR-Bürger denn den ungeliebten Staat nicht viel früher gestürzt?