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30 Jahre ZDF-Sommerinterviews
"Das ist jetzt 'ne Frage..."

Betont locker und gerne an Urlaubsorten in den Bergen oder am Meer – die führenden Politiker in Deutschland nutzen die parlamentarische Sommerpause gerne für ausführliche Interviews. Im Jubiläumsjahr machte Bundeskanzlerin Merkel den Auftakt. Dabei interessierte vor allem der Streit in der Union.

Von Klaus Deuse | 02.07.2018
    Die Interviewerin im weißen Jackett sieht man von hinten an einem Tisch sitzen. Ihr gegenüber sitzt Merkel im blauen Jackett und hört aufmerksam zu.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Sommerinterview im Jahr 2018 (Jule Roehr / ZDF / dpa)
    Mit der Frage, wie es mit der CSU weitergeht, hatte Angela Merkel natürlich gerechnet. Ihre Antwort überraschte deshalb auch nicht: "Ich äußere mich dazu nicht… Dass es ernst ist, das weiß jeder. Ich möchte gerne, dass CDU und CSU gemeinsam weiterarbeiten, denn wir sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland."
    Seit über zehn Jahren ist Angela Merkel Gast bei den Sommerinterviews. Und insofern weiß die Leiterin des ZDF-Hauptstudios Bettina Schausten, was sie erwartet.
    "Sie weiß genau, was sie sagen will und was sie nicht sagen will. Und das ist auch immer die Herausforderung, den Punkt zu treffen, wo es ihr auch weh tut und wo sie auch tatsächlich in die Rechtfertigung kommt."
    Über das normale Politgeschäft hinaus
    Das gilt bei diesen Interviews übrigens für jeden Politiker. In knapp 20 Minuten entfahren dann selbst erfahrenen politischen Strategen wie CSU-Chef Horst Seehofer vor einem Jahr bemerkenswerte Sätze.
    "Auch wenn jemand nicht Ethik studiert hat, sollte er sich an ethische Regeln halten" – was selbstverständlich nicht im Vorgriff auf den Umgang mit der Schwesterpartei gemünzt war, sondern auf die Manager der Automobilindustrie im Zuge des Dieselskandals.
    In diesen 20-minütigen Gesprächen bietet sich für Journalisten nach den Worten von Bettina Schausten die Gelegenheit, "etwas über das normale Politgeschäft hinaus zu Tage zu fördern, denn es ist ja die Möglichkeit, wirklich Eins zu Eins im Gegenüber etwas mehr in die Tiefe zu gehen, auch mal politische Strategien auszuloten."
    Auch wenn gewiefte Interviewpartner wie Horst Seehofer bei zu intensivem Nachhaken selbst schon mal gegen die Fragesteller in die Offensive gehen: "Journalisten haben immer die Tendenz, aus jeder Formulierung einen Dissens zu schustern."
    Thomas Walde, Martin Schulz
    Thomas Walde, Martin Schulz beim ZDF-Sommerinterview (ZDF/Jule Roehr)
    "Aus der Alltagsatmosphäre ausbrechen"
    In solchen Gesprächsmomenten liegt der unterhaltsame Reiz für Zuschauer dieser Sommerinterviews. Dazu trägt auch das Umfeld bei, in dem die Gespräche stattfinden, sagt Bettina Schausten.
    "In der Tat ist es etwas anderes, weil man natürlich erstens ein bisschen versucht, aus der Alltagsatmosphäre auszubrechen, einen anderen Ort als den Dienstort wählt für diese Interviews. Und im besten Fall ist es dann so, dass auch die veränderte Location dazu führt, dass es ein bisschen außergewöhnlicher wird."
    Aber nicht nur das Ausflugslokal an der Saar, in dem sich Linken-Frontfrau Sarah Wagenknecht vor einem Jahr zum Interview einfand, sorgte für außergewöhnliche Momente. Auch die Fragen: "Was läuft falsch im deutschen Fußball? – Oh Gott, das ist jetzt ne Frage, auf die ich überhaupt nicht eingestellt war. Da muss ich aus Kompetenzgründen die Antwort ablehnen."
    Weder Fragen noch Antworten abgesprochen
    Musste sie aber letztlich gar nicht, denn Fragesteller Thomas Walde ging es um die Vermarktung des Fußballs. Als Einstieg zum Themenkomplex, wie es Die Linke mit der von ihr geforderten Demokratisierung von Gesellschaften hält.
    Wer zu den ZDF-Sommerinterviews eingeladen wird, muss sich auf Überraschungen gefasst machen. Bettina Schausten: "Man kann es nicht oft genug sagen: Die Fragen sind nicht abgesprochen. Und ich füge dann auch immer gern hinzu: die Antworten im Übrigen auch nicht."
    Eine Erfahrung, die auch der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz machen musste, als er sich falsch zitiert fühlte. "Das ist schlicht und ergreifend nicht richtig, Herr Walde, das tut mir leid. – Das Zitat ist falsch? Das Zitat ist aus Ihrem Wahlprogramm, aber ok."
    Wahrheiten von Martin Schulz
    Dafür aber gab Martin Schulz menschliches, allzu menschliches aus seiner privaten Vergangenheit preis: "Meine Mutter war ja in der CDU, bedauerlicherweise."
    Und dass Martin Schulz als Mann mit Leidenschaft für Literatur gern viel liest, vor allem abends, erfuhr man in einem dieser Sommerinterviews ebenso wie die Vorliebe für Buttermilch vom ehemaligen Linken-Chef Klaus Ernst, der sich auf einer Alm damals kritischen Nachfragen stellte.
    "Sie wollen eine radikal andere Gesellschaft. Mindestlohn beispielsweise. Was hat Sie so radikalisiert?"
    Auf der Höhe der Zeit
    Inzwischen ist der gesetzliche Mindestlohn nicht mehr radikal, sondern gesetzlich beschlossene Sache. Die Sommerinterviews im ZDF haben in den vergangenen 30 Jahren kein aktuelles Thema ausgespart – und bleiben darum weiter auf der Höhe der Zeit. Auch wenn man nicht ausschließen kann, von einer noch amtierenden Kanzlerin oder anderen bei bohrenden Nachfragen beschieden zu werden: "Das ist eine Frage, die sich heute nicht stellt."
    Oder auf die man selbst noch keine Antwort parat hat. Politisch war und ist vieles im Fluss. Als längst etabliertes Format bieten Sommerinterviews hinter dem Gesagten zumindest ein bisschen Durchblick.