Paris ist die Weltstadt, noch: mit dem Eiffelturm, das Flair, die ganze Atmosphäre. Berlin ist immer noch eine riesige Baustelle weit weg im Osten, Paris ist näher...
Berlin, die Baustelle im Osten, für die Schüler der Klassenstufe 12, des Saarlouiser Robert Schumann Gymnasium ist die deutsche Hauptstadt weit weg. Die 15 Schüler, die gleichzeitig für einen deutschen und einen französischen Abschluss büffeln, das Abitur und le baccalauréat anstreben, waren wie Myriam mehrmals in Paris aber nur einmal in Berlin. Als Bonn noch Hauptstadt war, stellte sich ob des Zuschnitts der beiden Metropolen die Frage kaum, wo eine Teenager aus dem Südwesten Großstadtluft schnuppert. Paris war gesetzt und Bonn keine Konkurrenz. Darüber hinaus sei das beschauliche Bonn mit seinem politischen Betrieb für die deutsch - französische Zusammenarbeit ein Glücksfall gewesen, sagt Roland de Bonneville, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hüttenwerke AG und stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände.
Die deutsch französischen Verhältnisse, da haben wir im Saarland zunächst viel verloren, nachdem die Hauptstadt von Bonn nach Berlin gegangen ist. Ich erinnere zum Beispiel, wenn sie von Saarbrücken nach Berlin fliegen wollen, dann kostet das1000 Euro. Wer kann sich das – auch kulturell – erlauben laufend 1000 Euro....entweder du gibst die 1000 Euro aus für einen Tag, oder du bleibst zu Hause und verliert an Einfluss in Berlin.
Oder, man besinnt sich auf die eigenen Kräfte. Und das tut die Region, wenn auch mit nur mäßigem Erfolg. Unter dem Oberbegriff Saar- Lor - Lux soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen dem Saarland, Lothringen, Luxemburg und Teilen von Rheinland-Pfalz verbessert werden. Das Interesse an einer solchen Kooperation aber ist unterschiedlich ausgeprägt und krankt an den nicht vergleichbaren Kompetenzen der handelnden Akteure. In der Region agiert mit Luxemburg ein souveräner Nationalstaat. Das Saarland und Rheinland-Pfalz können als deutsche Bundesländer wenigstens ein bisschen was entscheiden. Und der lothringische Präfekt? Ihm wird nachgesagt, dass er bei allem und bei jedem Paris fragen muss. Aber die neue konservative Regierung Raffarin in Paris hat Besserung versprochen. Die Départements in Frankreich sollen künftig eigenständiger handeln dürfen. Für die Zusammenarbeit entlang der Grenze wäre dies eine große Erleichterung. Der französische Kulturminister Jean - Jacques Aillagon – er stammt selbst aus der Region - ist davon überzeugt, dass diese neue Politik der Grenzregion nur nutzen kann.
Wir haben es hier mit der Situation zu tun, dass wir uns ein gemeinsames Haus teilen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum, einen gemeinsamen kulturellen Raum, in dem der gleiche Menschenschlag zu Hause ist. Die Leute von Saarbrücken fahren nach Metz und umgekehrt. Die Grenze wird täglich von mehreren tausend Menschen überschritten, in beide Richtungen. Es ist an der Zeit, dass wir diesen Raum so gestalten, dass es ein gemeinsames Haus wird, wo die Leute sich zu Hause fühlen.
Skepsis ist angesagt bei solchen Versprechungen, doch Aillagon bemüht sich zumindest, das ist nicht zu leugnen. Er hat Laurant Brunner zu seinem Berater gemacht. Brunner war jahrelang künstlerischer Leiter des Theaters Le Carreau einer Spielstätte in Forbach, mitten im französischen Kohlebecken und nur wenige Kilometer von Saarbrücken entfernt. Unter seiner Leitung ist es Le Carreau gelungen, ein bi-kulturelles Konzept erfolgreich durchzuführen. Die Spielstätte, ein klotziger Bau aus den 70ern, der mehr Tristesse als Glanz ausstrahlt, ist kulturell gesehen ein Zwitter. Das Gastspielhaus zeigt mal französische, mal deutsche, mal internationale Produktionen und die Besucher kommen von beiderseits der Grenze.
Von den Vorführungen die hier geboten werden, ist es einfach sehr gute Qualität. Es gibt sehr gute Stücke und es ist glaube ich in der Gegend hier selten, dass man so etwas sieht und deshalb lohnt es sich, nach Forbach zu kommen. Von Anfang an sind wir begeistert von dem Programm. Ich hab’ mich sehr gefreut als Französin – in Saarbrücken wohnend – hier in Forbach dieses "Gemischte" zu haben, Ich freue mich jetzt schon auf das Tanzstück das ich sehen darf, leider nicht in Saarbrücken, mach muss nach Frankreich fahren. Die Umgebung ist ja auch nicht so groß, dass sich Veranstaltungen in diesem großen Haus hier tragen; also, die Saarbrücker müssen schon kommen. Es gibt ein sehr gutes deutsches Publikum, die wissen was gut ist. Aber für die französischen Sachen kommen viel mehr die Franzosen, wahrscheinlich, weil sie es verstehen; für mich ist es ein Nebeneinander, nicht zusammen. Ce type d’activité correspondent au besoin et à la réalité de la région ; déjà, les gens sont bilingues on parle aussi bien francais qu’allemand. Je pense, c’est vraiment une nécessité, c’est quelque chose de très, très favorable au développement de la culture.
Der Besucher aus Metz, hält le carreau für eine Notwendigkeit, weil dasProgramm den Bedürfnissen der Region entspräche, wo die Menschen ebenso gut französisch wie deutsch redeten. Noch, kann man dazu allerdings nur bemerken, denn die Verkehrssprache in den lothringischen Gemeinden entlang der Grenze, ein deutschstämmiges Platt, ist in seiner Existenz bedroht. Pragmatische Ansätze, Deutsch, die Sprache der Nachbarn zu fördern, wurden von Paris bislang nicht honoriert. In diesen Fällen war Lothringen meist auf sich gestellt. Eine zweisprachige Erziehung in den Schulen wie in Luxemburg und auch im Elsass üblich, gibt es – von Ausnahmen abgesehen - nicht. Auch im Saarland, wo inzwischen entlang der Grenze Muttersprachler eingesetzt werden, um die Ohren der ganz Kleinen für Französisch zu schulen und wo ab der dritten Grundschulklasse Französisch auf dem Lehrplan steht, kann nicht ernsthaft von einer zweisprachigen Erziehung der Kinder die Rede sein. Und ob in Lothringen weiterhin Deutsch, respektive Platt gesprochen wird, hängt am Elternhaus. Marcel Adam lothringischer Mundartsänger und Kabarettist.
Platt stirbt immer dann, wenn die Eltern nicht mehr mit den Kindern sprechen. Und da kann kein Kulturminister der Welt etwas dran ändern. Wenn die Mutter sagt, mein Sohn muss direkt hochdeutsch sprechen oder direkt richtig französisch und wir sprechen in der Familie kein Platt mehr, dann stirbt Platt aus, denn Platt ist die Muttersprache.
Aber es ist schlecht bestellt, nicht nur um die Mundart. In Frankreich wollen immer weniger Kinder Deutsch lernen und in Deutschland immer weniger Französisch. Beiden gilt die Sprache des jeweils anderen als zu schwierig. Nur noch 10 Prozent der französischen Gymnasiasten entscheiden sich für Deutsch als erster Fremdsprache. Umgekehrt sieht es mit 4 Prozent noch schlechter aus. Lediglich im Saarland starten 63 Prozent der Gymnasiasten mit der Sprache des Nachbarn. Bei Französisch oder Deutsch als zweite Fremdsprache ist die Situation nicht ganz so dramatisch aber auch hier sind Rückgänge zu verzeichnen. Und wenn diese Entwicklung gestoppt werden soll, dann müssen die dafür verantwortlichen Politiker in Bund und Ländern schnellstens gegensteuern. Das Abi-Bac, das seit zwei Jahren in Saarlouis abgelegt werden kann, ist eine Möglichkeit, die Attraktivität der ungeliebten Fremdsprache zu steigern. Doch es war zunächst gar nicht so einfach, den Kurs zu füllen. Alfred Metz Direktor des Robert Schumann Gymnasiums:
Wir mussten sehr werben am Anfang in der Klasse 5, dass die Eltern ihre Kinder in diese bilinguale Klasse gebracht haben, was mir völlig unverständlich war, weil ja die Kinder eine Zusatzleistung erhalten, sie bekommen zwei Stunden Französisch mehr, es gibt Austauschprogramme, so dass nach meiner Meinung die Eltern sich hätten darum bewerben müssen, aber das war nicht der Fall."
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Und das hat einen einfachen Grund, der mit der Sprache selbst nur wenig zu tun hat. Alfred Metz:
Ich bin ja in den Zeugniskonferenzen und da kann ich ja die Noten in den einzelnen Kursen vergleichen und dann stelle ich also fest, dass im Schnitt diese ABI-Bac-Kurse wesentlich bessere Noten haben als andere Kurse. Insofern ist es eine Elite, auch wenn wir sie nicht bevorzugen.
In Frankreich ist das Elite-Denken ausgeprägter als bei uns. Die Zusammensetzung der Kurse in den französischen Partnerschulen in St. Avold und Marseille spiegelt das wider. Wer im Elternhaus kein Platt gelernt hat, wählt getreu dem Motto: Deutsche Sprache schwere Sprache, die Sprache des östlichen Nachbarn nicht unbedingt aus Interesse sondern aus Kalkül. Deutsch auf dem Stundenplan, das verspricht kleine Klassen und ein hohes Leistungsniveau – genau das Richtige für künftige Eliten. - Insgesamt aber, so Helene Harth, Präsidentin der deutsch –französischen Hochschule in Saarbrücken, seien es gemessen an den Aufstiegschancen noch zu wenig junge Leute, die in Frankreich Deutsch und in Deutschland Französisch lernten.
Es zahlt sich aus, das sehen wir einfach an der Nachfrage der Wirtschaft, die wollen die Leute, die außer Englisch auch Französisch können. Die Bedarfslage ist so, dass die Absolventen gute Chancen haben, weil es weniger gibt als gebraucht werden.
In Frankreich - so wird geschätzt - bleiben 40.000 Jobs in der Industrie aus Mangel an Deutschkenntnissen unbesetzt. Und das hat damit zu tun, dass in den technischen und gewerblichen Ausbildungsgängen außerhalb der Universitäten Deutsch überhaupt keine Rolle mehr spielt. Eine Entwicklung, die in Deutschland feststellbar ist. Um dieses Problem nicht aufkommen zu lassen, hält zum Beispiel Peugeot am Standort Saarbrücken fest. Hier sei es einfacher, Personal zu finden, das zweisprachig ist. Jean Simonin, secretaire générale bei Peugeot Deutschland in Saarbrücken.
Ich bin ein Anhänger des Standortes des Saarlandes, weil wir natürlich durch diese Grenzsituation, diese Zweisprachigkeit ziemlich billig bewältigen, in dem wir ja praktisch alle unsere Sekretärinnen aus der Moselle holen, die gleich zweisprachig sind. Und dass wir auch einige Deutsche finden, die Französisch sprechen, aber weniger als umgekehrt.
Dennoch warnt Simonin davor, das Erlernen der Sprache allein unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Verständigungsprobleme zwischen Deutschen und Franzosen ließen sich so nicht lösen.
Wenn wir nicht wollen, dass sich die Beziehungen von Stadt zu Stadt, von Region zu Region oder von Frankreich zu Deutschland auf eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft schrumpft, dann müssen wir auch in der Zivilgesellschaft Wege finden, wie Ausstellungen oder Austausch zwischen den Feuerwehren, damit die Menschen sich verstehen.
Doch derlei Initiativen sind im Verlauf der vergangen 40 Jahre weitgehend eingeschlafen und werden nur noch vereinzelt gepflegt. Meist erinnern nur noch die Hinweisschilder in den Gemeinden daran, dass einmal eine aktive jumelage, eine Städtepartnerschaft bestanden hat. Die Kontakte sind reduziert auf offizielle Anlässe. Aber nicht Gleichgültigkeit sondern Selbstverständlichkeit präge die aktuelle Situation, ist sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sicher:
Die Grenze wird kaum noch erfahren. Sichtbar ist sie auch nicht mehr und der Austausch über die Grenze hinweg funktioniert. Deshalb glaube ich, dass wir neu sensibilisieren müssen. Dieses deutsch-französische Verhältnis ist etwas Besonderes, dazu zählen viele Begegnungen zwischen den Menschen, dazu zählt interkulturelle Kommunikation, die stärker gepflegt werden muss und dazu zählt auch, dass Deutschland und Frankreich sich stärker gegenüber Dritten präsentieren und gemeinsam ihre Verbundenheit dokumentieren.
Wie immer klaffen Theorie und Praxis auseinander. Das Saarland und Lothringen haben gute Voraussetzungen für jedwede Form der Zusammenarbeit. Wirklich genutzt werden die vorhanden Möglichkeiten jedoch nicht . Wie anders ist es zu erklären, dass sich erst dieser Tage, 40 Jahre nach dem Elysee-Vertrag, das Saarland, Rheinland-Pfalz und Lothringen offiziell darauf verständigt haben, dass Sanitäter und Feuerwehren die Grenze passieren dürfen, um vor Ort Hilfe zu leisten. Es hat schon Fälle gegeben, da klappte das nur, weil die Beteiligten sich auf ihren gesunden Menschenverstand verließen und die Staatsgrenze einfach ignorierten. Die freiwillige Feuerwehr der saarländischen Grenzgemeinde Kleinblittersdorf zum Beispiel hat so was schon erlebt. Sie wurde alarmiert, weil ein Großbrand das Leben von über 100 Tieren bedrohte und auf mehrere Wohnhäuser hätte übergreifen können. Der Anruf erreichte die deutsche Notrufzentrale und so wurden Löschführer Erwin Karr und seine freiwillige Wehr in Gang gesetzt.
Da sind wir angekommen und da habe ich gesehen und der Haupteinsatzzentrale mitgeteilt, das brennt nicht bei uns, Blies-Gersweiler Mühle sondern auf der anderen Seite Blies-Schweyen, das sind Luftlinie 30 Meter über die Brücke. Und da hieß es: Wo ist die Genehmigung? Wir können nicht rüber fahren. Und da sagte ich: Alles klar, holt euch eure Genehmigung, morgen, übermorgen, mir egal. Es kann nicht sein, da steht jetzt eine Wehr vor Ort und wir können nicht rüberfahren. Und da sind wir rübergefahren und haben nachbarschaftliche Löschhilfe geleistet und das hat prima geklappt.
In Grenznähe hat man sich auch darauf eingestellt, dass die technischen Systeme der Löschfahrzeuge nicht kompatibel sind. Auch in diesem Fall hat Erwin Karr unspektakulär und pragmatisch für Abhilfe gesorgt. Er hat kurzerhand Adapter anfertigen lassen. -- Wir haben eine Klaue-Kupplung und diese hat nicht auf das französische System gepasst. Das heißt, die Oberflur-Hydranten haben wir gar nicht anschließen können. Aber das war für uns kein Problem, wir hatten ein Auto mit Wasser und es war ein offenes Gewässer da, die Blies. Aber im Nachhinein hat jede Wehr der Gemeinde Kleinblittersdorf 4 Übergangsstücke gemacht, da ist auf der einen Seite das französische und auf der anderen Seite das deutsche drauf. Und ich hab sie auch an die französischen Kollegen weitergegeben. Aber, das ist im kleinen Dienstweg gemacht worden und nicht von oben herab.
Die Menschen sie verstehen sich und sie verstehen sich zu helfen und das nicht erst seit März 1995, als die Schlagbäume und Zollschranken endgültig verschwanden. 30.000 Franzosen kommen inzwischen tagtäglich über die Grenze, um im Saarland ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Einer von ihnen ist Jean Jacques Barbier. Der Leiter der Logistikabteilung bei Peugeot, hat in seiner Mannschaft 30 Prozent Franzosen und 70 Prozent Deutsche. Mentalitätsunterschiede – so sagt er – sind kaum noch auszumachen.
Ich finde, der Unterschied, den man vorher – in den 70er Jahren – gemacht hat zwischen Deutschen und Franzosen, den gibt es nicht mehr.
Veränderungen ließen sich vor allem bei den deutschen Kollegen feststellen.
Der Deutsche war ja in Frankreich bekannt als streng, rigoros, arbeitsam. Das war auch der Fall am Anfang. Mit den Jahren aber hat sich in meinen Augen das Bild vom Deutschen total verändert. Der Deutsche ist mehr aus sich raus gegangen; er denkt mehr an Urlaub, er spricht fast das ganze Jahr über seine Planungen, über seinen Urlaub. Er ist offener geworden und passt mehr ins Bild von Europa. Aber die Eifrigkeit an der Arbeit, die hat nachgelassen.
Umgekehrt habe sich der Blick der Deutschen auf ihre französischen Kollegen ebenso grundlegend gewandelt.
Frankreich, das war ja immer: Rotwein, Camembert und Flûte, das war ja das Bild vom Franzosen. Aber mittlerweile hat sich das bei vielen Deutschen geändert.
Der nach wie vor gern kolportierte französische Schlendrian, das laissez-faire, gehört wohl zu den gängigsten Klischees aus der Mottenkiste. Frankreich, insbesondere der saarländische Nachbar Lothringen, hat in den vergangen Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Die Volkswirtschaften sind immer noch stark miteinander verflochten, wenn auch mit kontinuierlich abnehmender Tendenz. Ende der 50 Jahre, als das Saarland wieder in die Bundesrepublik eingegliedert wurde, exportierte es 80 Prozent seiner Handels- und Industriegüter nach Frankreich. Heute sind es nur noch 20 Prozent aber immerhin doppelt soviel wie die gesamte Bundesrepublik. Frankreich hält damit seine Spitzenposition als wichtigster Handelspartner des Saarlandes. Und so mach einem sicherte diese enge wirtschaftlichen Verflechtung auch das Überleben. Roland de Bonneville, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hüttenwerke.
Die Dillinger Hütte hat in ihrer Satzung zwei Namen: Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke Ag und société anonyme de l’acier à Dillingue. Dillingen ist also beides. Dillingen ist gerettet worden in den letzten 50 Jahren weil es die Bi-Kultur hatte. Wenn Dillingen französisch/französisch wäre, so wäre es innerhalb von ein paar Jahren schon weggegangen. Und wenn Dillingen deutsch/deutsch gewesen wäre, dann wäre es auch in ein paar Jahren weggegangen.
Zerrieben zwischen den Interessen deutscher Stahlbarone an Rhein und Ruhr und der französischen Konkurrenz, die sich mit Luxemburgern und Spaniern inzwischen zum weltweit größten Stahlkonzern zusammengetan hat. Aber nicht nur wirtschaftlich sondern auch kulinarisch darf man getrost von einer engen Verflechtung der Landstriche beiderseits der Grenze sprechen. Wer tafeln möchte wie in Frankreich, der muss sich nicht erst dort hin begeben. In saarländischen Töpfen wird mit reichlich Knoblauch gekocht, der Feldsalat mit Speck garniert und wer Froschschenkel mag, der findet auch diese auf diversen Speisekarten. Nur beim Brot, zumindest beim traditionellen französischen Stangenweißbrot, wird von den Restaurants wie von privat wenn immer möglich, das französische Original gekauft. Und deshalb bilden sich jeden Sonntag - und sei es noch so kalt - vor den mobilen Verkaufsständen der französischen Bäcker an einer hübschen Allee im Niemandsland lange Schlangen.
Ich kauf’ Baguettte, es schmeckt halt bei den Franzosen besser. Wir machen viele Weinproben, da kommen viele Banker zu uns, aus Frankfurt, Darmstadt. Die sagen einfach: Es schmeckt besser. Ich mag die französischen Produkte, speziell die Baguette, die sind toll. Das französische flûte gehört einfach zum Sonntagsfrühstück dazu.
Übrigens: Die Saarländer geben mehr Geld aus für Lebensmittel als die Bewohner der anderen Bundesländer. Und so mancher Euro wandert nicht nur in die Hände französischer Bäcker sondern auch in die Kassen französischer Supermärkte, die anders als ihre deutsche Konkurrenz, auch an Samstagen nicht schon um 16 Uhr schließen müssen. - Die Menschen entlang der Grenze nutzen die Vorteile, die sich aus den unterschiedlichen Systemen ergeben, so gut es geht. Die Politiker auf beiden Seiten müssen jedoch aufpassen, das die bestehenden Unterschiede nicht zementiert werden. Denn wenn es wahr werden soll dass das grenzüberschreitende Miteinander die Versuchsküche für Europa sein soll, wie es der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors formuliert hat, dann muss sich noch gewaltig was tun.
Berlin, die Baustelle im Osten, für die Schüler der Klassenstufe 12, des Saarlouiser Robert Schumann Gymnasium ist die deutsche Hauptstadt weit weg. Die 15 Schüler, die gleichzeitig für einen deutschen und einen französischen Abschluss büffeln, das Abitur und le baccalauréat anstreben, waren wie Myriam mehrmals in Paris aber nur einmal in Berlin. Als Bonn noch Hauptstadt war, stellte sich ob des Zuschnitts der beiden Metropolen die Frage kaum, wo eine Teenager aus dem Südwesten Großstadtluft schnuppert. Paris war gesetzt und Bonn keine Konkurrenz. Darüber hinaus sei das beschauliche Bonn mit seinem politischen Betrieb für die deutsch - französische Zusammenarbeit ein Glücksfall gewesen, sagt Roland de Bonneville, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hüttenwerke AG und stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der saarländischen Unternehmensverbände.
Die deutsch französischen Verhältnisse, da haben wir im Saarland zunächst viel verloren, nachdem die Hauptstadt von Bonn nach Berlin gegangen ist. Ich erinnere zum Beispiel, wenn sie von Saarbrücken nach Berlin fliegen wollen, dann kostet das1000 Euro. Wer kann sich das – auch kulturell – erlauben laufend 1000 Euro....entweder du gibst die 1000 Euro aus für einen Tag, oder du bleibst zu Hause und verliert an Einfluss in Berlin.
Oder, man besinnt sich auf die eigenen Kräfte. Und das tut die Region, wenn auch mit nur mäßigem Erfolg. Unter dem Oberbegriff Saar- Lor - Lux soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen dem Saarland, Lothringen, Luxemburg und Teilen von Rheinland-Pfalz verbessert werden. Das Interesse an einer solchen Kooperation aber ist unterschiedlich ausgeprägt und krankt an den nicht vergleichbaren Kompetenzen der handelnden Akteure. In der Region agiert mit Luxemburg ein souveräner Nationalstaat. Das Saarland und Rheinland-Pfalz können als deutsche Bundesländer wenigstens ein bisschen was entscheiden. Und der lothringische Präfekt? Ihm wird nachgesagt, dass er bei allem und bei jedem Paris fragen muss. Aber die neue konservative Regierung Raffarin in Paris hat Besserung versprochen. Die Départements in Frankreich sollen künftig eigenständiger handeln dürfen. Für die Zusammenarbeit entlang der Grenze wäre dies eine große Erleichterung. Der französische Kulturminister Jean - Jacques Aillagon – er stammt selbst aus der Region - ist davon überzeugt, dass diese neue Politik der Grenzregion nur nutzen kann.
Wir haben es hier mit der Situation zu tun, dass wir uns ein gemeinsames Haus teilen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum, einen gemeinsamen kulturellen Raum, in dem der gleiche Menschenschlag zu Hause ist. Die Leute von Saarbrücken fahren nach Metz und umgekehrt. Die Grenze wird täglich von mehreren tausend Menschen überschritten, in beide Richtungen. Es ist an der Zeit, dass wir diesen Raum so gestalten, dass es ein gemeinsames Haus wird, wo die Leute sich zu Hause fühlen.
Skepsis ist angesagt bei solchen Versprechungen, doch Aillagon bemüht sich zumindest, das ist nicht zu leugnen. Er hat Laurant Brunner zu seinem Berater gemacht. Brunner war jahrelang künstlerischer Leiter des Theaters Le Carreau einer Spielstätte in Forbach, mitten im französischen Kohlebecken und nur wenige Kilometer von Saarbrücken entfernt. Unter seiner Leitung ist es Le Carreau gelungen, ein bi-kulturelles Konzept erfolgreich durchzuführen. Die Spielstätte, ein klotziger Bau aus den 70ern, der mehr Tristesse als Glanz ausstrahlt, ist kulturell gesehen ein Zwitter. Das Gastspielhaus zeigt mal französische, mal deutsche, mal internationale Produktionen und die Besucher kommen von beiderseits der Grenze.
Von den Vorführungen die hier geboten werden, ist es einfach sehr gute Qualität. Es gibt sehr gute Stücke und es ist glaube ich in der Gegend hier selten, dass man so etwas sieht und deshalb lohnt es sich, nach Forbach zu kommen. Von Anfang an sind wir begeistert von dem Programm. Ich hab’ mich sehr gefreut als Französin – in Saarbrücken wohnend – hier in Forbach dieses "Gemischte" zu haben, Ich freue mich jetzt schon auf das Tanzstück das ich sehen darf, leider nicht in Saarbrücken, mach muss nach Frankreich fahren. Die Umgebung ist ja auch nicht so groß, dass sich Veranstaltungen in diesem großen Haus hier tragen; also, die Saarbrücker müssen schon kommen. Es gibt ein sehr gutes deutsches Publikum, die wissen was gut ist. Aber für die französischen Sachen kommen viel mehr die Franzosen, wahrscheinlich, weil sie es verstehen; für mich ist es ein Nebeneinander, nicht zusammen. Ce type d’activité correspondent au besoin et à la réalité de la région ; déjà, les gens sont bilingues on parle aussi bien francais qu’allemand. Je pense, c’est vraiment une nécessité, c’est quelque chose de très, très favorable au développement de la culture.
Der Besucher aus Metz, hält le carreau für eine Notwendigkeit, weil dasProgramm den Bedürfnissen der Region entspräche, wo die Menschen ebenso gut französisch wie deutsch redeten. Noch, kann man dazu allerdings nur bemerken, denn die Verkehrssprache in den lothringischen Gemeinden entlang der Grenze, ein deutschstämmiges Platt, ist in seiner Existenz bedroht. Pragmatische Ansätze, Deutsch, die Sprache der Nachbarn zu fördern, wurden von Paris bislang nicht honoriert. In diesen Fällen war Lothringen meist auf sich gestellt. Eine zweisprachige Erziehung in den Schulen wie in Luxemburg und auch im Elsass üblich, gibt es – von Ausnahmen abgesehen - nicht. Auch im Saarland, wo inzwischen entlang der Grenze Muttersprachler eingesetzt werden, um die Ohren der ganz Kleinen für Französisch zu schulen und wo ab der dritten Grundschulklasse Französisch auf dem Lehrplan steht, kann nicht ernsthaft von einer zweisprachigen Erziehung der Kinder die Rede sein. Und ob in Lothringen weiterhin Deutsch, respektive Platt gesprochen wird, hängt am Elternhaus. Marcel Adam lothringischer Mundartsänger und Kabarettist.
Platt stirbt immer dann, wenn die Eltern nicht mehr mit den Kindern sprechen. Und da kann kein Kulturminister der Welt etwas dran ändern. Wenn die Mutter sagt, mein Sohn muss direkt hochdeutsch sprechen oder direkt richtig französisch und wir sprechen in der Familie kein Platt mehr, dann stirbt Platt aus, denn Platt ist die Muttersprache.
Aber es ist schlecht bestellt, nicht nur um die Mundart. In Frankreich wollen immer weniger Kinder Deutsch lernen und in Deutschland immer weniger Französisch. Beiden gilt die Sprache des jeweils anderen als zu schwierig. Nur noch 10 Prozent der französischen Gymnasiasten entscheiden sich für Deutsch als erster Fremdsprache. Umgekehrt sieht es mit 4 Prozent noch schlechter aus. Lediglich im Saarland starten 63 Prozent der Gymnasiasten mit der Sprache des Nachbarn. Bei Französisch oder Deutsch als zweite Fremdsprache ist die Situation nicht ganz so dramatisch aber auch hier sind Rückgänge zu verzeichnen. Und wenn diese Entwicklung gestoppt werden soll, dann müssen die dafür verantwortlichen Politiker in Bund und Ländern schnellstens gegensteuern. Das Abi-Bac, das seit zwei Jahren in Saarlouis abgelegt werden kann, ist eine Möglichkeit, die Attraktivität der ungeliebten Fremdsprache zu steigern. Doch es war zunächst gar nicht so einfach, den Kurs zu füllen. Alfred Metz Direktor des Robert Schumann Gymnasiums:
Wir mussten sehr werben am Anfang in der Klasse 5, dass die Eltern ihre Kinder in diese bilinguale Klasse gebracht haben, was mir völlig unverständlich war, weil ja die Kinder eine Zusatzleistung erhalten, sie bekommen zwei Stunden Französisch mehr, es gibt Austauschprogramme, so dass nach meiner Meinung die Eltern sich hätten darum bewerben müssen, aber das war nicht der Fall."
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Und das hat einen einfachen Grund, der mit der Sprache selbst nur wenig zu tun hat. Alfred Metz:
Ich bin ja in den Zeugniskonferenzen und da kann ich ja die Noten in den einzelnen Kursen vergleichen und dann stelle ich also fest, dass im Schnitt diese ABI-Bac-Kurse wesentlich bessere Noten haben als andere Kurse. Insofern ist es eine Elite, auch wenn wir sie nicht bevorzugen.
In Frankreich ist das Elite-Denken ausgeprägter als bei uns. Die Zusammensetzung der Kurse in den französischen Partnerschulen in St. Avold und Marseille spiegelt das wider. Wer im Elternhaus kein Platt gelernt hat, wählt getreu dem Motto: Deutsche Sprache schwere Sprache, die Sprache des östlichen Nachbarn nicht unbedingt aus Interesse sondern aus Kalkül. Deutsch auf dem Stundenplan, das verspricht kleine Klassen und ein hohes Leistungsniveau – genau das Richtige für künftige Eliten. - Insgesamt aber, so Helene Harth, Präsidentin der deutsch –französischen Hochschule in Saarbrücken, seien es gemessen an den Aufstiegschancen noch zu wenig junge Leute, die in Frankreich Deutsch und in Deutschland Französisch lernten.
Es zahlt sich aus, das sehen wir einfach an der Nachfrage der Wirtschaft, die wollen die Leute, die außer Englisch auch Französisch können. Die Bedarfslage ist so, dass die Absolventen gute Chancen haben, weil es weniger gibt als gebraucht werden.
In Frankreich - so wird geschätzt - bleiben 40.000 Jobs in der Industrie aus Mangel an Deutschkenntnissen unbesetzt. Und das hat damit zu tun, dass in den technischen und gewerblichen Ausbildungsgängen außerhalb der Universitäten Deutsch überhaupt keine Rolle mehr spielt. Eine Entwicklung, die in Deutschland feststellbar ist. Um dieses Problem nicht aufkommen zu lassen, hält zum Beispiel Peugeot am Standort Saarbrücken fest. Hier sei es einfacher, Personal zu finden, das zweisprachig ist. Jean Simonin, secretaire générale bei Peugeot Deutschland in Saarbrücken.
Ich bin ein Anhänger des Standortes des Saarlandes, weil wir natürlich durch diese Grenzsituation, diese Zweisprachigkeit ziemlich billig bewältigen, in dem wir ja praktisch alle unsere Sekretärinnen aus der Moselle holen, die gleich zweisprachig sind. Und dass wir auch einige Deutsche finden, die Französisch sprechen, aber weniger als umgekehrt.
Dennoch warnt Simonin davor, das Erlernen der Sprache allein unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Verständigungsprobleme zwischen Deutschen und Franzosen ließen sich so nicht lösen.
Wenn wir nicht wollen, dass sich die Beziehungen von Stadt zu Stadt, von Region zu Region oder von Frankreich zu Deutschland auf eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft schrumpft, dann müssen wir auch in der Zivilgesellschaft Wege finden, wie Ausstellungen oder Austausch zwischen den Feuerwehren, damit die Menschen sich verstehen.
Doch derlei Initiativen sind im Verlauf der vergangen 40 Jahre weitgehend eingeschlafen und werden nur noch vereinzelt gepflegt. Meist erinnern nur noch die Hinweisschilder in den Gemeinden daran, dass einmal eine aktive jumelage, eine Städtepartnerschaft bestanden hat. Die Kontakte sind reduziert auf offizielle Anlässe. Aber nicht Gleichgültigkeit sondern Selbstverständlichkeit präge die aktuelle Situation, ist sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sicher:
Die Grenze wird kaum noch erfahren. Sichtbar ist sie auch nicht mehr und der Austausch über die Grenze hinweg funktioniert. Deshalb glaube ich, dass wir neu sensibilisieren müssen. Dieses deutsch-französische Verhältnis ist etwas Besonderes, dazu zählen viele Begegnungen zwischen den Menschen, dazu zählt interkulturelle Kommunikation, die stärker gepflegt werden muss und dazu zählt auch, dass Deutschland und Frankreich sich stärker gegenüber Dritten präsentieren und gemeinsam ihre Verbundenheit dokumentieren.
Wie immer klaffen Theorie und Praxis auseinander. Das Saarland und Lothringen haben gute Voraussetzungen für jedwede Form der Zusammenarbeit. Wirklich genutzt werden die vorhanden Möglichkeiten jedoch nicht . Wie anders ist es zu erklären, dass sich erst dieser Tage, 40 Jahre nach dem Elysee-Vertrag, das Saarland, Rheinland-Pfalz und Lothringen offiziell darauf verständigt haben, dass Sanitäter und Feuerwehren die Grenze passieren dürfen, um vor Ort Hilfe zu leisten. Es hat schon Fälle gegeben, da klappte das nur, weil die Beteiligten sich auf ihren gesunden Menschenverstand verließen und die Staatsgrenze einfach ignorierten. Die freiwillige Feuerwehr der saarländischen Grenzgemeinde Kleinblittersdorf zum Beispiel hat so was schon erlebt. Sie wurde alarmiert, weil ein Großbrand das Leben von über 100 Tieren bedrohte und auf mehrere Wohnhäuser hätte übergreifen können. Der Anruf erreichte die deutsche Notrufzentrale und so wurden Löschführer Erwin Karr und seine freiwillige Wehr in Gang gesetzt.
Da sind wir angekommen und da habe ich gesehen und der Haupteinsatzzentrale mitgeteilt, das brennt nicht bei uns, Blies-Gersweiler Mühle sondern auf der anderen Seite Blies-Schweyen, das sind Luftlinie 30 Meter über die Brücke. Und da hieß es: Wo ist die Genehmigung? Wir können nicht rüber fahren. Und da sagte ich: Alles klar, holt euch eure Genehmigung, morgen, übermorgen, mir egal. Es kann nicht sein, da steht jetzt eine Wehr vor Ort und wir können nicht rüberfahren. Und da sind wir rübergefahren und haben nachbarschaftliche Löschhilfe geleistet und das hat prima geklappt.
In Grenznähe hat man sich auch darauf eingestellt, dass die technischen Systeme der Löschfahrzeuge nicht kompatibel sind. Auch in diesem Fall hat Erwin Karr unspektakulär und pragmatisch für Abhilfe gesorgt. Er hat kurzerhand Adapter anfertigen lassen. -- Wir haben eine Klaue-Kupplung und diese hat nicht auf das französische System gepasst. Das heißt, die Oberflur-Hydranten haben wir gar nicht anschließen können. Aber das war für uns kein Problem, wir hatten ein Auto mit Wasser und es war ein offenes Gewässer da, die Blies. Aber im Nachhinein hat jede Wehr der Gemeinde Kleinblittersdorf 4 Übergangsstücke gemacht, da ist auf der einen Seite das französische und auf der anderen Seite das deutsche drauf. Und ich hab sie auch an die französischen Kollegen weitergegeben. Aber, das ist im kleinen Dienstweg gemacht worden und nicht von oben herab.
Die Menschen sie verstehen sich und sie verstehen sich zu helfen und das nicht erst seit März 1995, als die Schlagbäume und Zollschranken endgültig verschwanden. 30.000 Franzosen kommen inzwischen tagtäglich über die Grenze, um im Saarland ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Einer von ihnen ist Jean Jacques Barbier. Der Leiter der Logistikabteilung bei Peugeot, hat in seiner Mannschaft 30 Prozent Franzosen und 70 Prozent Deutsche. Mentalitätsunterschiede – so sagt er – sind kaum noch auszumachen.
Ich finde, der Unterschied, den man vorher – in den 70er Jahren – gemacht hat zwischen Deutschen und Franzosen, den gibt es nicht mehr.
Veränderungen ließen sich vor allem bei den deutschen Kollegen feststellen.
Der Deutsche war ja in Frankreich bekannt als streng, rigoros, arbeitsam. Das war auch der Fall am Anfang. Mit den Jahren aber hat sich in meinen Augen das Bild vom Deutschen total verändert. Der Deutsche ist mehr aus sich raus gegangen; er denkt mehr an Urlaub, er spricht fast das ganze Jahr über seine Planungen, über seinen Urlaub. Er ist offener geworden und passt mehr ins Bild von Europa. Aber die Eifrigkeit an der Arbeit, die hat nachgelassen.
Umgekehrt habe sich der Blick der Deutschen auf ihre französischen Kollegen ebenso grundlegend gewandelt.
Frankreich, das war ja immer: Rotwein, Camembert und Flûte, das war ja das Bild vom Franzosen. Aber mittlerweile hat sich das bei vielen Deutschen geändert.
Der nach wie vor gern kolportierte französische Schlendrian, das laissez-faire, gehört wohl zu den gängigsten Klischees aus der Mottenkiste. Frankreich, insbesondere der saarländische Nachbar Lothringen, hat in den vergangen Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Die Volkswirtschaften sind immer noch stark miteinander verflochten, wenn auch mit kontinuierlich abnehmender Tendenz. Ende der 50 Jahre, als das Saarland wieder in die Bundesrepublik eingegliedert wurde, exportierte es 80 Prozent seiner Handels- und Industriegüter nach Frankreich. Heute sind es nur noch 20 Prozent aber immerhin doppelt soviel wie die gesamte Bundesrepublik. Frankreich hält damit seine Spitzenposition als wichtigster Handelspartner des Saarlandes. Und so mach einem sicherte diese enge wirtschaftlichen Verflechtung auch das Überleben. Roland de Bonneville, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Dillinger Hüttenwerke.
Die Dillinger Hütte hat in ihrer Satzung zwei Namen: Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke Ag und société anonyme de l’acier à Dillingue. Dillingen ist also beides. Dillingen ist gerettet worden in den letzten 50 Jahren weil es die Bi-Kultur hatte. Wenn Dillingen französisch/französisch wäre, so wäre es innerhalb von ein paar Jahren schon weggegangen. Und wenn Dillingen deutsch/deutsch gewesen wäre, dann wäre es auch in ein paar Jahren weggegangen.
Zerrieben zwischen den Interessen deutscher Stahlbarone an Rhein und Ruhr und der französischen Konkurrenz, die sich mit Luxemburgern und Spaniern inzwischen zum weltweit größten Stahlkonzern zusammengetan hat. Aber nicht nur wirtschaftlich sondern auch kulinarisch darf man getrost von einer engen Verflechtung der Landstriche beiderseits der Grenze sprechen. Wer tafeln möchte wie in Frankreich, der muss sich nicht erst dort hin begeben. In saarländischen Töpfen wird mit reichlich Knoblauch gekocht, der Feldsalat mit Speck garniert und wer Froschschenkel mag, der findet auch diese auf diversen Speisekarten. Nur beim Brot, zumindest beim traditionellen französischen Stangenweißbrot, wird von den Restaurants wie von privat wenn immer möglich, das französische Original gekauft. Und deshalb bilden sich jeden Sonntag - und sei es noch so kalt - vor den mobilen Verkaufsständen der französischen Bäcker an einer hübschen Allee im Niemandsland lange Schlangen.
Ich kauf’ Baguettte, es schmeckt halt bei den Franzosen besser. Wir machen viele Weinproben, da kommen viele Banker zu uns, aus Frankfurt, Darmstadt. Die sagen einfach: Es schmeckt besser. Ich mag die französischen Produkte, speziell die Baguette, die sind toll. Das französische flûte gehört einfach zum Sonntagsfrühstück dazu.
Übrigens: Die Saarländer geben mehr Geld aus für Lebensmittel als die Bewohner der anderen Bundesländer. Und so mancher Euro wandert nicht nur in die Hände französischer Bäcker sondern auch in die Kassen französischer Supermärkte, die anders als ihre deutsche Konkurrenz, auch an Samstagen nicht schon um 16 Uhr schließen müssen. - Die Menschen entlang der Grenze nutzen die Vorteile, die sich aus den unterschiedlichen Systemen ergeben, so gut es geht. Die Politiker auf beiden Seiten müssen jedoch aufpassen, das die bestehenden Unterschiede nicht zementiert werden. Denn wenn es wahr werden soll dass das grenzüberschreitende Miteinander die Versuchsküche für Europa sein soll, wie es der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors formuliert hat, dann muss sich noch gewaltig was tun.