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50 Jahre inmitten der Literatur

Seit 50 Jahren ist das Literarische Colloquium Berlin ein Ort für die kreative Auseinandersetzung mit der Literatur. Das Haus dient als Veranstaltungsort für Lesungen und Workshops, aber auch als Arbeitsstätte für Autoren und Übersetzer. Und damit ist das Sommerfest vor allem eines: eine Talentschmiede.

Von Verena Kemna |
    Die Besucher stehen dicht gedrängt in den großen hellen Räumen der Gründerzeitvilla. Das Parkett knirscht, drinnen ist es heiß und stickig, ein Sommergewitter hat Hunderte Besucher aus dem weitläufigen Parkgelände vertrieben. Regen klatscht gegen die hohen Fenster, verwischt den Blick nach draußen auf die grau gekräuselten Wellen des Wannsees. Aus Lautsprechern tönt die Stimme des Autors John Burnside. Seine Prosa ist einer von vielen Programmpunkten bei diesem Sommerfest. Im Jubiläumsheft heißt es zur Geschichte des Hauses:

    Walter Höllerer hatte im kargen West-Berlin der frühen Mauerjahre die Vision einer künstlerischen Produktionsstätte für Autoren, Theater- und Filmemacher entwickelt. Der Autor Nicolas Born bekommt 1963 eine Einladung zur berühmt gewordenen ersten Prosawerkstatt des LCB. Es war der erste "creative writing workshop" in Deutschland überhaupt, erinnert sich Katharina Born, die Tochter des verstorbenen Schriftstellers Nicolas Born.

    "Da hat er mitgemacht mit vielen anderen jungen Autoren, damals 1963. Das fing an in Charlottenburg, weil es das LCB noch gar nicht gab und dann sind die hier übergesiedelt und haben sich sehr amüsiert, heiß diskutiert über Literatur und ihr eigenes Schreiben und in der Prosawerkstatt ist auch der erste Gemeinschaftsroman entstanden, das muss sehr schön gewesen sein."

    Das Gewitter hat sich verzogen, Katharina Born blinzelt in die Sonne, eilt weiter zu ihrer Schriftstellerkollegin Julia Frank. Beide verschwinden auf der großen Terrasse mit Blick auf den Wannsee. In der Backsteinvilla mit den Türmchen haben viele Karrieren begonnen. Auch die Fotografin Renate von Mangoldt beginnt im LCB vor 50 Jahren als Autorenfotografin. Sie deutet auf eine Schwarz-Weiß-Aufnahme an der Wand. Neben jungen Männern ist Elfriede Gerstl als einzige Autorin zu erkennen. Unter dem Bild heißt es: Prosaschreiben 1963. Mein erstes Autorenfoto, erklärt Renate von Mangoldt:

    "Ich bin eigentlich menschenscheu und kam von der Fotografie von Landschaften, Steinen, Hopfenstangen und wollte auf gar keinen Fall Menschenfotografin werden. Aber, durch Walter Höllerer wurde ich sozusagen mitten in die Literatur geworfen und wollte dann gar nicht mehr woanders tätig sein. "

    Ob beim Sommerfest oder bei den normalen Lesungen im Literarischen Colloquium. Jeder kann hier mit Autoren ins Gespräch kommen. Die Diskussion mit dem Publikum hat Tradition. Dieser Berliner ist so etwas wie ein Stammgast im LCB. Er hat schon viele Signaturen berühmter Namen gesammelt.

    "Also ich kann nur jedem empfehlen, hierher zu kommen. Erst mal, dass man sie sieht, dass man sie hört und dass sie dann zum Anfassen da sind. Man kann sich mit denen unterhalten, sich eine Signatur holen, also man hat richtig Zeit sich mit dem Autoren auseinander zu setzen. "

    An diesem Tag hat er im Park Nora Gomringer getroffen, auch ihr Name steht neben Sven Regener, David Wagner und Uwe Timm im Programmheft. Die Lyrikerin lebt in Bamberg, sie schreibt Lyrik für Radio und Feuilleton und leitet das staatliche, bayerische Künstlerhaus Villa Concordia. Nora Gomringer strahlt, schüttelt ihre dichten braunen Locken. Die ehemalige Stipendiatin wohnt gerade wieder für einige Tage im Gästehaus des LCB. Der Alltag am Wannsee beginnt um acht mit dem gemeinsamen Frühstück im Haus. Danach schreibt und arbeitet jeder für sich allein.

    "Während ich jetzt hier bin, muss ich sagen, ich habe mir drei Schreibaufgaben mitgebracht, aber, ganz wichtig auch, Begegnungsaufgaben. Ich werde Leuten Besuche abstatten, ich sehe mir zwei Ateliers an, weil ich mir unbedingt Bilder kaufen wollte und man genießt die Lebhaftigkeit um die Literatur herum, weil wir Autoren sind oft sehr einsame Tierchen. "

    Da ist das Sommerfest des LCB ein perfekter Ort der Begegnung. Nora Gomringer reist jedes Jahr gerne von Bamberg nach Berlin.

    "Das Lustige ist, diese ganze Dichternation ist ja eigentlich über Facebook miteinander verbunden, und dass man sich dann nicht am virtuellen Platz trifft, sondern richtig real, einmal im Jahr am LCB, das ist schon toll! "