Freitag, 29. März 2024

Archiv


Abstauber in der Bibliothek

Bei der Säuberung historischer Dokumente mussten sich Archivare bisher auf zeitraubende Handarbeit verlassen. Mehrere Hochschulbibliotheken haben sich deshalb mit einem schwäbischen Anlagenbauer zusammengetan und die erste automatische Dokumentenreinigungsmaschine entwickelt.

Von Remko Kragt | 05.02.2013
    Sie ist riesig groß und macht einen Höllenlärm - der Prototyp einer Maschine, die kostbare historische Papierdokumente von Staub befreien kann. Ihr acht Meter langes Gerüst ist aus gängigen Aluminiumbauteilen zusammengeschraubt. Links und rechts der eigentlichen Reinigungsanlage führen perforierte Transportbänder in die Maschine hinein beziehungsweise aus ihr heraus. Anlagenbauer Ernst Becker legt ein etwas verstaubtes DIN A4 Blatt auf das Transportband.

    "Wir haben hier ein sogenanntes Auflageband, das heißt, hier werden die Objekte aufgelegt. Es ist ein Unterdruck unter dem Band und der fixiert damit das Objekt."

    Das Blatt läuft mit dem Band in die Maschine und verschwindet dort unter einer Folie, die mit gleicher Geschwindigkeit wie das Transportband von einer Rolle abläuft.

    "Dann wird die Folie, die elektrostatisch vorgeladen ist, auf das Objekt einfach aufgelegt mit dem Eigengewicht, und wird aber dann mit dem Unterdruck auf das Objekt festgesaugt. Und hier in diesem Bereich haben wir ein sogenanntes Bürstenmodul. Dieses Bürstenmodul bürstet die Luft, die zwischen der Folie und dem Objekt liegt, von innen nach außen aus dem Band heraus - das Objekt wird nicht berührt von den Bürsten, sondern das ist ein reines Entfernen von Lufteinschlüssen. Und im nächsten Schritt wird hier an dieser Kante die Folie wieder rechtwinklig abgezogen vom Objekt und das Objekt ist durch den Unterdruck fixiert auf dem Transportband."

    Auf der Folie, die nun auf eine zweite Rolle läuft, zeigt sich ein Staubabdruck des Blattes. Anschließend wiederholt eine zweite, umgekehrt montierte Reinigungseinheit denselben Vorgang auf der Rückseite des Blattes. Nach etwa einer Minute läuft das staubfreie Blatt auf der anderen Seite aus der Maschine heraus.

    Der Prototyp hat die Wirksamkeit der Methode erwiesen. Deshalb hat Ernst Becker mit seinem Unternehmen ein Nachfolgemodell entwickelt, das sich für eine Serienfertigung eignet. Es ist bedeutend kleiner, benötigt statt Drehstrom nur eine einfache Steckdose und ist außerdem so leise wie ein Fotokopierer.

    Sein Mittelteil ist verschlossen und schallgedämmt. Die Transportbänder sind kürzer, aber groß genug für die üblichen Folioformate. Die neue Anlage kann auch mehr. Neben Papier reinigt sie auch Textilien und Fotos. Bei Anschluss einer Scannereinheit können die Dokumente darüber hinaus in einem Arbeitsgang gereinigt und digitalisiert werden. Außerdem entfernt sie neben Stäuben auch Schimmelsporen und Bakterien. Dafür müssen, je nach Aufgabe, jeweils geeignete Folien eingesetzt werden. Ernst Becker:

    "Die gibt es in verschiedenen Ladungsstärken, je nach Objektart und Verschmutzungsart und auch in zwei Polaritäten. Wenn ich organische Partikel entfernen muss von der Oberfläche, nehme ich immer positiv geladene Folien, weil in der Regel organische Substanzen negative Endungen haben. Nehme ich aber normale Stäube ab, kann ich sowohl negativ als auch positiv arbeiten, denn Stäube sind polarisierbar. Und die Ladungsdichte: normalerweise mache ich einen möglichst hohen Wert um möglichst viel Staub abzunehmen. Aber die Kräfte können so groß werden, dass fragile Objekte geschädigt werden, und dann nehme ich eine schwächer geladene Folie."

    Der abgenommene feine Staub kann problemlos entsorgt werden, aber die Schimmelspuren machen noch Schwierigkeiten. Die Maschine tötet sie ja nicht ab, sondern sammelt sie lediglich auf. Diesem Problem versuchen die Wissenschaftler mit dem Einsatz elektrostatischer Gase, sogenannter Kaltplasmen, bei zu kommen.

    Die Anlage kann etwa 1000 Dokumente an einem Tag reinigen. Eine Arbeit, die Archivare mit Bürsten, Lappen und Radiergummis gar nicht zuverlässig leisten könnten, sagt Projektleiterin Ulrike Hähner von der Hochschule Hildesheim. Denn die Aufgabe sei nicht nur komplex und zeitraubend.

    "Sie ist sehr eintönig, das heißt, auf der einen Seite erfordert sie eine hohe Konzentration und auf der anderen Seite ist die Tätigkeit aber immer gleich, das heißt die Konzentration lässt irgendwann nach und damit natürlich auch das Reinigungsergebnis, was man optisch nur sehr schwer kontrollieren kann."

    Die Maschine nimmt den Archivaren also nicht nur Arbeit ab. Mit ihrer Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit verbessert sie vielmehr die Voraussetzungen für die eigentliche Aufgabe der Archive: die gründliche Erforschung und Dokumentation von Kulturgut.