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Affäre um Belästigungen beim WDR
"Irgendwann musste mehr kommen"

Dass der WDR einem Mitarbeiter, dem sexuelle Belästigung in mehreren Fällen vorgeworfen wird, fristlos gekündigt hat, habe ihn nicht überrascht, sagte "Stern"-Reporter Wigbert Löer im Dlf. Der Mann habe sich selbst "Alpha-Tier" genannt und sei "kein unbeschriebenes Blatt" in dem Sender.

Wigbert Löer im Gespräch mit Brigitte Baetz | 29.05.2018
    Das Funkhaus des WDR in Köln.
    "Gewaltig unter Aufklärungsdruck" (picture alliance / Oliver Berg/dpa)
    Brigitte Baetz: Haltung zeigen, das versucht man beim WDR zurzeit angesichts der sendereigenen MeToo-Affäre. Dem Korrespondenten, über dessen Unwesen das Recherchebüro "Correctiv" und die Zeitschrift "Stern" als Erste berichtet hatten, wurde, wie gestern bekannt wurde, fristlos gekündigt.
    Wigbert Löer ist als Reporter für investigative Recherche beim "Stern" mit an der Aufdeckung der Affäre befasst und ich fragte ihn vor der Sendung, ob er den Eindruck hat, dass es der WDR mit der Aufklärung ernst meint.
    Wigbert Löer: Ja, das ist schwer zu beurteilen. Da müsste man jetzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragen. Aber was wir natürlich machen können: Wir können auf einige Wochen der Aufklärung und des Versuches, Vertrauen zu gewinnen, zurückblicken. Das können wir natürlich machen.
    Baetz: Wie macht der WDR das?
    Löer: Er hat sich erstmal schwergetan mit der Aufarbeitung dieser Fälle von Vorwürfen sexueller Belästigung. Was man prinzipiell ja auch bei so einem delikaten Thema nachvollziehen kann. Vielleicht gilt das gar nicht so sehr für den ersten Fall, für den Korrespondenten, über den "Stern" und "Correctiv" berichtet haben, ich meine jetzt dieses selbsternannte "Alpha-Tier", der nachts im Hotelzimmer bei Champagner seinen Laptop aufmachte und einer Praktikantin Pornos zeigte. Da war der WDR schon im Thema, und da haben sich ja dann viele weitere Frauen nach unserer Berichterstattung bald gemeldet. Außerdem haben dann noch "Süddeutsche Zeitung", "Spiegel" und "Bild" da noch berichtet. Da waren die im Thema.
    Aber wenn ich mir den zweiten Fall vorstelle, nach dem "Alpha-Tier", da ging es um einen bekannten WDR-Mann, ein Gesicht der ARD, so kann man den sogar nennen. Bei diesem Fall gab es schon vor einigen Jahren eine Art Whistleblower beim WDR, der dann, so erlebte er das, anschließend mundtot gemacht werden sollte. Und in diese Causa waren Leute verwickelt, die beim WDR weiterhin sehr hohe Positionen haben. Und dieser Fall ist deshalb für den WDR hochbrisant. Es gibt da breites Aktenmaterial. Und da war also Aufklärung und Vertrauensarbeit ziemlich schwer.
    Baetz: Aufklärungsbedarf gibt es ja auch noch immer im sogenannten "Fall Henke", der freigestellt ist. Wissen Sie da mehr über den Stand der Dinge? Der WDR hält sich da ja sehr bedeckt.
    Löer: Ja, der WDR muss sich da natürlich auch bedeckt halten. Das sind laufende Verfahren. Den Namen kann man nennen, und das liegt daran, dass dieser Fall ja ganz ungewöhnlich begonnen hat. Das war kein Fall, den ein Medium öffentlich gemacht hat, sondern die Person, der sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Deshalb kann man, wie ich sagte, den Namen nennen: Gebhard Henke, der Chef des Fernsehspiels beim WDR und "Tatort"-Koordinator. Ein Mann mit sehr viel Einfluss, seit Jahrzehnten im Geschäft, bestens bekannt mit Schauspielern, Agenten, mit Filmproduzenten in Deutschland.
    Fakt ist, dass der WDR jetzt auf eine Art Offensiv-Verteidigung eines eigenen Mitarbeiters reagieren musste. Das war nicht so leicht für den WDR. Und es kamen dann ja auch im "Spiegel" Recherchen zum "Fall Henke", und da hat die Autorin Charlotte Roche auch recht deutlich gemacht, was sie mit Herrn Henke so erlebt hatte. Wobei man auch hier zufügen muss, dass er das abgestritten hat.
    "Gewaltig unter Aufklärungsdruck"
    Baetz: Sie haben vorhin nochmal das "Alpha-Tier" erwähnt. Der ist inzwischen entlassen worden, fristlos gekündigt. Waren Sie davon überrascht?
    Löer: Nein, das hat mich überhaupt nicht überrascht. Wir waren überrascht, als wir mit den Recherchen begonnen haben, dass der Mann keine Abmahnung erhalten hatte. Nicht mal eine Abmahnung, auch nicht gekündigt worden war. Wir hatten ja zwei Frauen, die konkrete Vorwürfe hatten, die sich konkret an den Sender gewandt hatten. Frau Mikich hat damals, zumindest weiß ich von einer Frau, auch mit der gesprochen. Man hat das schon alles ernst genommen. Die Konsequenz war dann eine Ermahnung, das ist ein Schritt vor der Abmahnung, offenbar mit der Ansage: Wenn nochmal was kommt, biste dran, dann kommste nicht mehr so glimpflich weg. Es kam dann ganz, ganz, ganz viel, und es wurde auch deutlich, dass dieser Mann seit Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger kein unbeschriebenes Blatt ist im WDR. Und deshalb war es eigentlich klar, erst recht, als er dann freigestellt wurde nach unseren Recherchen, dass da irgendwann noch mehr kommen musste.
    Baetz: Monika Wulf-Mathies soll ja das Ganze, ich sage es mal in meinen eigenen Worten, als Sonderermittlerin jetzt aufklären. Ist sie denn inzwischen wirklich in dem Thema drin, ist sie überhaupt schon dran?
    Löer: Davon gehe ich aus. Es hieß ja am Anfang, sie macht erstmal Urlaub. Ich glaube, das war ein Kurzurlaub. Und wahrscheinlich hat sie auch im Urlaub sich so einer Aufgabe widmen können. Das ist ja eine wichtige Sache gewesen. Ich fand das erstmal gar nicht falsch, dass man jemanden von außen geholt hat. Und Frau Wulf-Mathies ist ja erstmal eine untadelige Person mit einer starken Biografie. Ich glaube, das macht man auch so, grundsätzlich, auch im Sinne von Krisenkommunikation. Der WDR war ja dann auch unseren Recherchen gewaltig unter Aufklärungsdruck geraten. Von daher war es richtig, jetzt zu sagen: Frau Wulf-Mathies, eine Frau von außen, soll sich kümmern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.