Freitag, 19. April 2024

Archiv


Alles singt

Der gesungene Film ist ein respektables Genre. Der französische Filmregisseur Jacques Demy gilt mit "Die Regenschirme von Cherbourg" 1961 und "Die Mädchen von Rochefort" in den 60er Jahren und dem Streikmelodram "Ein Zimmer in der Stadt" 1982 als eine Art Schutzheiliger der Filme, in denen die Protagonisten urplötzlich lossingen.

Von Josef Schnelle | 21.08.2008
    Seine Frau Agnes Varda hat dessen lebensfrohe Welt des ewigen Singspiels in dem Film "Jacquot de Nantes" 1991 porträtiert und dabei Demys Filme auf die Autobiographie eines ganz besonderen Menschen mit Poesie im Blut zurück zu führen versucht. Aber auch Alain Resnais hat sich immer wieder die Leichtigkeit zu nutze gemacht, mit der man im Kino von der Traumwelt des Films in die andere Traumwelt des Schlagers hinüber gleiten kann. Sein Film hieß 1997 "On connait la chanson" - deutscher Titel "Das Leben ist ein Chanson" und im Kino sangen die Leute mit - zumindest in Frankreich. Jetzt hat sich Christophe Honoré an diesem Kinogenre versucht mit - "Chanson der Liebe", und er hat es irgendwie neu erfunden.

    Natürlich erzählt der Film eine Liebesgeschichte, die Geschichte einer "menage a trois" sogar, einer spielerisch leichten Liebe zu dritt. So was geht nur in Paris, gefilmt aus dem nostalgischen Blickwinkel der "nouvelle vague". Chanson der Liebe führt eine Außenseiterbande vor, die es so nur im französische Kino gibt. Ismael liebt Julie aber auch seine Arbeitskollegin Alice. Die drei führen zunächst ein unbeschwertes Leben in ihrer utopischen Liebeskonstruktion. Doch der unerwartete plötzliche Tod Julies bringt einen Trauerton in den Film, was sich auch in der Musik spiegelt.

    Ziellos und melancholisch irrt Ismael durch die Stadt, die seine Gefühlslage wiederzuspiegeln scheint. Und er begegnet dabei dem jungen Erwann, der sich in ihn verliebt. Ismael fällt es nicht leicht, sich auf diese neue Liebe einzulassen. Die Gefühlsschwankungen, die verschiedenen Tonlagen des Lebensgefühls, das ist das eigentliche Thema des Films, das die durchaus Klischeebeladene Geschichte in den Hintergrund drängt. Anders als Alain Resnais, der in "Das Leben ist ein Chanson" bekannte Schlager zitiert, hat Christophe Honoré von dem Komponisten Alex Beaupain eine eigene Musik zum Film komponieren lassen, was dem Film einen betörenden dramaturgischen Fluss verleiht. Es handelt sich also nicht um Chansons, die in den Film implantiert werden, sondern gewissermaßen um gesungenen Drehbuchtext.

    Honoré geht allerdings nicht so weit wie Manuel de Oliveira in seinem Film "Os Canibaos" , in dem es gar keinen gesprochenen Dialog mehr gibt. Das erzeugt im Film einige wenig elegante Übergänge. Die Songs, oft sind es auch gesungene Dialoge und Streitereien, sorgen dennoch für eine starke Verfremdung der ernsten Verwicklungen der Liebesunfälle des Pariser Großstadtintellektuellen Ismael im schwarzen Rolli zu einem augenzwinkernden Spiel mit dem Zuschauer, bei dem immer klar bleibt, das er sich in einem Kunstgebilde befindet und nicht im Illusionskino, das zur kompletten Identifikation einlädt. Da erteilen sogar die Leuchtreklametafeln der Stadt urplötzlich poetische Ratschläge fürs Leben. "Chanson der Liebe" gelingt durch all diese filmischen Mittel eine filmische Verzauberung von nicht alltäglichem Ausmaß und ist so ein betörend schöner Märchenfilm für Erwachsene.