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Als die Katholiken Reichsfeinde waren

Es ist der Startschuss für den Streit zwischen Otto von Bismarck und der katholischen Kirche: 1871 erlässt der Reichskanzler den "Kanzelparagraphen". Ab da gilt für Geistliche: Politische Äußerungen im Amt sind verboten. Und das ist erst der Anfang einer ganzen Reihe von antiklerikalen Maßnahmen.

Von Monika Köpcke | 04.08.2013
    "Das Christentum beruht gänzlich auf der Souveränität des Papstes. Man kann deshalb als Prinzip der politischen und sozialen Ordnung die folgende Kette von Vernunftschlüssen aufstellen: Es gibt kein Christentum ohne Katholizismus, es gibt keinen Katholizismus ohne Papst, es gibt keinen Papst ohne den ihn zukommenden unbedingten Vorrang."

    So hatte der französische Philosoph Joseph de Maestre im 18. Jahrhundert gegen die Aufklärung argumentiert. Gut 100 Jahre später führte diese "Logik" fast zwangsläufig zum Unfehlbarkeitsdogma. Unfehlbar, so verkündete es Papst Pius IX. 1870, seien die Entscheidungen des Heiligen Stuhls. Wer sie nicht befolge, dem drohe die Exkommunikation. Bereits 1864 hatte Pius mit dem "Syllabus errorum" die nichtkatholische Welt erschreckt. 80 Irrtümer des modernen Liberalismus zählte er darin auf, denen sich ein gläubiger Katholik widersetzen müsse. Nicht nur in kirchlichen, sondern in allen Bereichen des Lebens. Dieser Anspruch kollidierte mit den Grundsätzen des Deutschen Reichs:

    "Unser deutsches Kaiserreich ist nicht heilig und nicht römisch. Es ist durch und durch ein nationales Gebilde und hat nicht unfruchtbaren kirchlichen Phantomen nachzujagen, die noch dazu mit religiösen oder sittlichen Zielen wenig zu tun haben, sondern Ausdruck eines die Staatsräson gefährdenden Machtgebarens ist."

    So schrieb es 1871, im Jahre der Reichsgründung, der Jurist Emil Friedberg, ein treuer Mitarbeiter des Reichskanzlers Otto von Bismarck. Der protestantische Preuße Bismarck wollte einen starken und modernen Staat: säkular und religionsneutral, allein zuständig für alle Lebensbereiche: Der Staat sollte nicht nur für Recht und Ordnung sorgen, sondern auch für die Sitten, die Erziehung und die Bildung seiner Untertanen zuständig sein. Undenkbar für Bismarck, dass die Kirche, zumal die katholische, in diesen Dingen ein Wörtchen mitzureden habe.

    "Für Preußen gibt es verfassungsrechtlich und politisch nur einen Standpunkt: Den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen und der entschiedenen Abwehr jeden Angriffs auf das staatliche Gebiet."

    Bismarck stilisierte die Katholiken zu Reichsfeinden, die einen Staat im Staate errichten wollten. Die Zentrumspartei, die politische Vertretung der katholischen Minderheit, sah er als verlängerten Arm des Vatikans. Seit ihrer Gründung 1870 war sie rasch zu einer festen Größe im Reichstag geworden, die den Gesetzesvorhaben der Bismarck-Regierung gerne Steine in den Weg legte.

    "Ich habe die Bildung dieser Fraktion nicht anders betrachten können als im Lichte einer Mobilmachung gegen den Staat","

    sagte Bismarck im Reichstag, machte seinerseits mobil und eröffnete den "Kulturkampf", wie die Auseinandersetzung schon bald genannt wurde. Startschuss war der so genannte Kanzelparagraph. Am 10. Dezember 1871 wurde das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches um den Paragraphen 130a erweitert:

    ""Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung seines Berufes Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft."

    Tatsächlich landeten immer wieder Priester im Gefängnis, von ihren Gemeinden als Märtyrer verehrt. Schlag auf Schlag folgten nun weitere Kulturkampf-Gesetze: Der Staat konnte bei der Besetzung von Pfarrstellen mitreden, die kirchliche Trauung büßte ihre Gesetzeskraft ein, die Bezahlung von Geistlichen wurde an ihr "Wohlverhalten" geknüpft, man verbot den Jesuitenorden und löste Klöster auf. Doch je mehr Druck Bismarck ausübte, desto enger rückten die Katholiken zusammen und desto stärker wurde die Zentrumspartei. Nach zehn Jahren Kulturkampf ruderte er zurück: Die meisten Gesetze wurden wieder abgeschafft. Der Kanzelparagraph allerdings blieb. Im Kaiserreich zwar nicht mehr angewendet, nutzten ihn die Nationalsozialisten als wirkungsvolles Instrument im Kirchenkampf. Sein vage formulierter Straftatbestand – die Störung der öffentlichen Ordnung - diente als Vorwand für die Verhaftung regimekritischer Geistlicher. Erst am 4. August 1953 schaffte der Deutsche Bundestag den Kanzelparagraphen ab.