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Alt und integriert

Die Räume im Stiftungsdorf Gröpelingen sind gefragt. Denn hier wird nicht nur Deutsch gesprochen, sondern auch Türkisch. Das Haus hat sich auf Migranten im Ruhestand eingestellt und im interkulturellen Wohnhaus 14 Wohnungen für sie reserviert.

Von Franziska Rattei | 14.05.2013
    Es duftet nach frischem schwarzem Tee und Kaffee im Gemeinschaftsraum des interkulturellen Hauses in Gröpelingen. Um einen drei Meter langen Holztisch sitzen Frauen über 60: mit und ohne Kopftuch, manche reden auf Türkisch miteinander, manche klönen auf Deutsch. Es sind mehr Seniorinnen als sonst. Ein Dutzend Stühle hat nicht gereicht.

    "Ja, ich freu mich, dass heute so viele gekommen sind."

    Gudrun Münchmeyer-Elis leitet das Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien in Bremen. Häufig sind ihre Klienten türkischer Abstammung. In Gröpelingen gibt es viele türkische Geschäfte. Aber auch die Migranten-Generation, die nicht mehr arbeitet, lebt hier. Das Stiftungsdorf Gröpelingen hat sich auf sie eingestellt. Im interkulturellen Wohnhaus sind 14 Wohnungen für sie reserviert. Die Räume sind gefragt, es gibt lange Wartelisten.

    "So, hier sehen wir, wie wir mit dem Schiff zur Prinzen-Insel fahren."

    Gudrun Münchmeyer-Elis war eine Woche lang im Bildungsurlaub in Istanbul. Beim heutigen interkulturellen Gesprächskreis zeigt sie ein paar Fotos. Von der Stadt, aber vor allem vom Leben der Alten in Istanbul. Viele, sagt sie, wohnen bei ihren Kindern. Das ist so Tradition.

    Auf der anderen Seite verschiebt sich die Demografie aber auch in der Türkei. Man sieht, dass man auch mehr für Ältere tun muss. Und auch die Gesellschaft verändert sich so, dass die Jüngeren nicht mehr alle so viel Zeit haben, sich um ihre älteren Angehörigen zu kümmern, für sie da zu sein.

    Die Damen hören aufmerksam zu, bis zur Pause beachten sie die bereitgestellten Kekse und die kleinen türkischen Teegläser gar nicht mehr.

    Danach allerdings, im sonnigen Innenhof, erzählen sie, warum sie den interkulturellen Gesprächskreis regelmäßig besuchen. Leni Moede:

    "Weil wir über Themen sprechen; so wie ‚was haben wir für Festtage in der Türkei?’. Wir waren in der Kirche, im Dom. Und wollen jetzt mal in die Moschee gehen. Also Dinge, die ich alleine gar nicht machen würde."

    Die 82-Jährige wohnt seit gut zwei Jahren im Stiftungshaus Gröpelingen. Im interkulturellen Haus hat sie Freundinnen gefunden; Frauen, die auch hier wohnen, aber auch Senioren, die nur ab und zu einmal herkommen, so wie Zeynep Sümer. Mit 69 fühlt sie sich noch zu jung für ein Senioren-Appartment, eventuell später einmal, sagt sie.

    "Da wohnt viele von unseren Landsleuten. Das gefällt mir. Manchmal denke ich: wenn ich überhaupt nichts mehr machen kann, wenn ich beweglich nicht mehr so aktiv bin, vielleicht kann ich mir vorstellen – warum denn nicht?"

    In einem normalen Pflegeheim – in Anführungsstrichen – würde sich Zeynep Sümer nicht wohlfühlen. Sie braucht Leben um sich herum, erzählt sie. Alexander Künzel, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung, versteht das. Die neuen Alten, sagt er, sind nicht mehr so wie früher.

    "Und das heißt: Pluralisierung von Lebensstilen, Pluralisierung von Werten. Darauf können sie nur mit Vielfalt und nicht mit Einfalt antworten."

    Nach dieser Leitlinie sind die Wohnprojekte der Heimstiftung aufgebaut. Neben Senioren-Wohnungen liegen Künstler-Ateliers, Kitas oder eine Filiale der Volkshochschule. Es geht darum, normalen Alltag nachzubilden, sagt Künzel. Die Pflegeheime von heute seien nicht zukunftsfähig, dafür gebe es zu viele Alte und zu wenig Junge.

    "Und es heißt: an runden Tischen letztlich eine gemeinsame Diskussion führen: was können wir tun, damit unsere Alten bei uns in der Nachbarschaft bleiben und nicht irgendwo verschwinden."

    Für Alexander Künzel ist der Demografiegipfel mehr als politisches Palaver. Künzel wird selbst Gast sein in Berlin und erneut für seine Wohn-Projekte werben. Die Kritiker, die seine Ideen belächeln, kennt er inzwischen, sagt er. Ganz allmählich werden es aber weniger.