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Am Tropf

Wasser hat Los Angeles zu dem gemacht, was es heute ist: eine Millionenmetropole. Doch nun hängt die Stadt am Tropf. Und global gesehen steht Südkalifornien mit diesen Problemen durchaus nicht alleine da.Abschmelzende Festlandgletscher bedrohen die Wasserversorgung von Megastädten weltweit. Schon heute lebt ungefähr die Hälfte der Menschheit in urbanen Gebieten. Bis zum Jahr 2050 werden es voraussichtlich achtzig Prozent sein. Wenn es nicht gelingt, den Durst der Städte zu löschen, wird der Mensch in Zukunft auf dem Trockenen sitzen.

Von Arndt Reuning | 28.11.2010
    Es ist keine Weinprobe, zu der sich die beiden Ingenieure eingefunden haben. Michael Markus und Sandy Scott-Roberts stehen vor einem Spülbecken aus Edelstahl – unter freiem Himmel, mitten zwischen Lagerhallen und einer großen chemischen Anlage. Das Getränk, das hier verkostet wird, rinnt aus einem Wasserhahn.

    "I’ll go ahead and drink my glass here – Cheers! – Prost!"

    Der Geschäftsführer und seine Mitarbeiterin nehmen einen kräftigen Schluck aus ihren Plastikbechern – reines Wasser.

    "Schmeckts gut! Kein Chlorgeschmack, oder?"

    "Yeah, it’s a little flat"

    "But the water we have is really the highest quality water – anywhere."

    Ein wenig fade schmecke es schon, merkt Michael Markus an. Aber eine bessere Qualität als hier könne man nirgends sonst finden.

    "And the other thing that people don’t realize is that 45 minutes ago this was waste water."

    Was die meisten der Besucher sich hier nicht vergegenwärtigen, sei die Tatsache, dass das, was er gerade getrunken habe, vor gerade einmal 45 Minuten noch Abwasser gewesen sei – eine schmutzige Brühe in der Kanalisation der Millionenstadt Los Angeles.

    Rund achtzehn Millionen Einwohner auf knapp 90.000 Quadratkilometern – das ist der Großraum Los Angeles. Das San Fernando Valley im Norden mit seinen schmucken Einfamilienhäusern und den Swimming Pools im Garten. Die Neon-Leuchtreklame am Sunset Boulevard, der vom vornehme Beverly Hills auf die Skyline von Downtown L.A. zuläuft. Die spärlich bewachsenen Hügel von Hollywood und die von Palmen gesäumten Straßen in den weitflächigen Vorstädten von Orange County. Im Westen der Ozean, im Norden und Osten die kahlen Berge. An manchen Tagen weht eine kühle Brise vom Pazifik durch die Stadt. Und dann wieder laden die heißen, trockenen Santa-Ana-Winde den Staub der Mojave-Wüste über den Dächern ab.

    Diese dicht besiedelte Region hängt buchstäblich am Tropf. Weil hier nicht ausreichend Regen fällt und die Wasserbehörden nicht genug Trinkwasser aus dem Untergrund pumpen können, müssen Aquädukte den wertvollen Rohstoff aus anderen Teilen des Landes in den staubtrockenen kalifornischen Süden transportieren, erklärt Michael Markus, der den Orange County Water District leitet.

    "Wir in Südkalifornien sind im Grunde genommen auf zwei Wasserquellen angewiesen. Zum einen auf den Colorado River, gut 300 Kilometer von hier. Wir zweigen von dort Wasser ab und transportieren es durch Betonleitungen hier her. Das ist gut die Hälfte von dem, was wir verbrauchen. Die andere Hälfte kommt aus dem nördlichen Kalifornien, über eine Distanz von gut 800 Kilometern. Wir leben hier in einer Wüste und brauchen viel Wasser. Wenn wir nun eine längere Trockenheit hätten, oder die Schneeschmelze fiele extrem gering aus, dann stünde dieses Wasser nicht zur Verfügung."

    Bereits jetzt schon reicht selbst das importierte Wasser kaum, um den Bedarf dieses riesigen urbanen Gebiets zu decken. Die stetig wachsende Bevölkerung und der Klimawandel werden die Situation in den kommenden Jahrzehnten drastisch verschärfen. Den Verantwortlichen wird allmählich klar, dass sie sich eine Wasserversorgung wie in der Vergangenheit nicht mehr leisten können. Und global gesehen steht Los Angeles mit diesem Problem nicht alleine da.

    Washington, DC. Hier in der Nähe des DuPont Circle arbeitet ein Mann, der schon seit vielen Jahren ein wachsames Auge auf unseren Planeten wirft. Lester Brown, Direktor des Umweltverbandes "Earth Policy Institute".

    "Wir sind ein kleines Forschungsinstitut mit dem Ziel, die Vision einer umweltverträglichen Wirtschaft zu entwickeln – und eine Strategie, wie wir dort hingelangen können."

    Außerdem hat Lester Brown das Worldwatch Institut gegründet, das jährlich einen Lagebericht zum Zustand unserer Welt veröffentlicht. Den weltweiten Klimawandel sieht er als größte Bedrohung für die Wasserversorgung, besonders die abschmelzenden Festlandgletscher.

    "Das ist etwas, was nahezu überall stattfindet. In den Anden, in den Rocky Mountains, in den Alpen, im Himalaya und im Hochland von Tibet. In den letzten beiden Fällen besteht großer Anlass zur Sorge, weil es dabei auch um die Lebensmittelsicherheit geht. Denn diese Gletscher versorgen die großen Flüsse in Asien mit Schmelzwasser – und zwar während der Trockenzeit. Indus, Ganges, Jangtsekiang und der Gelbe Fluss – sie alle versorgen die Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft. Wenn die Gletscher schmelzen, dann könnten diese Flüsse während der Trockenzeit wohl nicht mehr fließen, sondern nur noch während der Regenzeit."

    Aber nicht nur die Flüsse und Seen sieht Lester Brown in Gefahr, sondern auch das Grundwasser. Saudi-Arabien habe seine fossilen Trinkwasservorräte mit Techniken der Ölförderung aus dem Boden gepumpt, erklärt der Agrarwissenschaftler. Trinkwasservorräte, die durch Regenfälle nicht wieder aufgefüllt werden. Sogar dort, wo das Grundwasser durch Niederschläge wieder neuen Nachschub erhält, könnten die Kapazitäten bald schon erschöpft sein.

    "Wir entnehmen den Aquiferen das Wasser schneller, als es auf natürlichem Weg wieder aufgefüllt werden kann. Das kann auf kurze Sicht gut gehen, aber nicht langfristig. Wenn man das Grundwasser erst einmal so stark ausgebeutet hat, dann muss man mit drastischen Maßnahmen gegensteuern."

    Um der Wasserknappheit im Südosten der Metropolenregion von Los Angeles entgegenzuwirken, hat die Wasserbehörde von Orange County eine einzigartige Anlage zur Wasseraufbereitung gebaut. Von vielen Experten wird sie als Ausweg aus dem Dilemma gefeiert. Sie kann in Rekordzeit Abwasser in Trinkwasser zurückverwandeln. Ein großer, in sich geschlossener Kreislauf, sagt der Wassermanager Michael Markus.

    "Das ist eine einzigartige Anlage. Weltweit gesehen gibt es zwar noch ein paar andere dieser Art, zum Beispiel in Singapur oder Australien. Aber unsere ist bei weitem die größte. Besonders hier in Kalifornien gibt es Pläne für etliche weitere Systeme. Acht bis zehn Projekte, die alle so ähnlich funktionieren wie unseres hier. Denn wir brauchen das Wasser wirklich. Wir leben in einer trockenen Wüste, und unsere Wasserversorgung kann stark schwanken."

    Michael Markus und seine Mitarbeiterin Sandy Scott-Roberts betreten die Anlage, an der die Aufbereitung des Schmutzwassers beginnt, die Mikrofiltration. Unter einem Wellblechdach ragen rechteckige Betonbecken tief in den Boden. Über dem Grund steht eine bräunliche Flüssigkeit, Schaumflöckchen treiben darauf.

    "Ja es riecht ein bisschen, das ist Abwasser, das stinkt noch ein bisschen, hat noch ein bisschen von einer Farbe."

    Das Abwasser hat bereits zwei Klärstufen durchlaufen, erklärt die Ingenieurin. In die trübe Brühe ragt von oben eine ganze Reihe dicker, grauer Schläuche – wie Elefantenrüssel in ein Wasserloch.

    "Ja, sieht so ähnlich aus. Ganz viele. 19 und dann noch einmal… ja also, ich weiß gar nicht, das sind fast achtzig davon."

    Die Schläuche bündeln eine Unzahl von dünnen Hohlfasern aus Kunststoff. Extrem dünne Strohhalme, die zwar am unteren Ende geschlossen sind, jedoch überall an der Seite von ultradünnen Löchern durchsetzt. Die Wassermoleküle können diese Löcher passieren, aber größere Teilchen und Bakterien bleiben hängen. Riesige Pumpen saugen das Wasser durch die Strohhalme hindurch. Das Kellergeschoss liegt tief im Erdboden, noch unterhalb der Becken mit dem Abwasser. Metallisch glänzende Röhren, Ventile, Anzeigen und Pumpen. Ein düsterer Maschinenraum.

    "Die Abwasseranlage liegt auch niedrig, und wir wollten den Abwasser nicht zu unserer Anlage pumpen. Und dafür haben wir jetzt auch alles unter Erde und riesig groß, so dass wir die Mengen von dem Abwasser auch fangen können und reinigen können."

    Die Durchmesser der Rohre, über zwei Meter, geben einen Eindruck davon, welche Mengen hier täglich durchgeschleust werden – über 250.000 Kubikmeter, genug für über eine halbe Million Menschen.

    Jedoch: Der Großraum Los Angeles ist im vergangenen Jahrhundert dramatisch gewachsen. Allein seit 1950 sind 13 Millionen Menschen dazu gekommen. Die Aufarbeitungsanlage im Orange County hilft, sie zu versorgen. Lösen kann sie das Problem nicht. Während das Colorado Fluss System Jahr für Jahr weniger Wasser führt und die Schneedecken auf den Gipfeln der Rocky Mountains immer früher abschmelzen, wächst die Bevölkerung weiter. Die städtische Wasserbehörde von Südkalifornien erwartet, dass der jährliche Bedarf bis zum Jahr 2035 noch einmal um 800.000 Kubikmeter steigen wird. Ausgefallene Ideen für neue Quellen gibt es zuhauf. So haben einige Experten vorgeschlagen, Eisberge aus Alaska mit Schiffen in das trockene Kalifornien zu schleppen. Möglichkeiten gibt es immer , sagt Jörg Drewes, Professor an der Colorado School of Mines in Golden, – aber nicht jede überzeugt gleichermaßen.

    "Das wäre salzhaltiges Grundwasser, was im Prinzip überall in den südlichen und zentralen Regionen der USA zur Verfügung steht. Was natürlich erst mal in der Regel erfordert, dass das Wasser erst mal gepumpt wird an die Oberfläche, was erhebliche Ressourcen kostet, und dann natürlich weitergehend aufbereitet werden muss. Dann gibt es insbesondere in den Küstenregionen Unternehmungen, die die Meerwasserentsalzung favorisieren. Wir haben jetzt einige Projekte in Kalifornien, aber auch in Florida und Texas, die vorsehen, Meerwasser zu entsalzen und die Trinkwasserversorgung zu unterstützen."

    Meerwasser zu entsalzen kostet sehr viel Energie. Denn um aus der Salzlösung reines Wasser zu gewinnen, muss ein Teil der Lake noch weiter konzentriert werden. Vom ökologischen Standpunkt aus ist dieses Verfahren nur dann sinnvoll, wenn es regenerative Energien nutzt. Aber noch ein zweiter Aspekt erscheint problematisch: Was tun mit dem Abfall, der hoch konzentrierten Salzlösung? Drewes:

    "Und die Lösung, die im Prinzip favorisiert wird in Kalifornien und auch an anderen Plätzen ist entweder die Einleitung in die Abwassernetze, was im Prinzip Kläranlagenbetreiber nicht befürworten, das ist problematisch für die Mikrobiologie oder Sie schlagen es in Ozeane ab, wenn Sie in Küstennähe diese Systeme etablieren. Was ein Problem ist natürlich für Bundesstaaten oder für Städte, die keinen Zugang zum Ozean haben."

    Eine weitere, bisher wenig erschlossene Quelle für Trinkwasser sind die Regenschauer, die über einer Stadt niedergehen. Die Niederschläge können aufgefangen und unterirdisch gespeichert werden. Damit könnte man beispielsweise auch zukünftige Extremereignisse wie starke Regenfluten ausgleichen. Allerdings: Jahrelange Trockenzeiten wie beispielsweise in Kalifornien können solche Wasserreserven auch nicht überbrücken. Drewes:

    "Hinzu kommt, dass viele Städte komplett ausgebaut sind und die nicht im Prinzip genug Rückhaltemaßnahmen haben, das Regenwasser wirklich aufzufangen. Wenn es in diesen Ballungsgebieten regnet, dann kommt es zu massiven Abläufen, in denen sie im Prinzip sehen müssen, dass Sie das Wasser aus den Städten raus bekommen, ohne dass es zu massiven Schäden kommt. Und das natürlich erfordert einen erheblichen Rückbau in vielen urbanen Räumen, also dass man auch eine dezentrale Regenwasseranreicherung etabliert, um diese großen Regenwasserablauf-Spitzen zu kappen."

    Die Wasserbauingenieure der Vergangenheit folgten einer einfachen Formel: Staumauern errichten und Wasser in gewaltigen Aquädukten in die urbanen Zentren leiten. In Zukunft wird das nicht mehr funktionieren. Einen Königsweg wird es dabei nicht geben, viele verschieden Quellen werden einander ergänzen müssen.

    "Come on in. It’s always a challenge if I get this thing moving or not…"

    Michael Markus und Sandy Scott-Roberts steigen in ein Elektrofahrzeug, um die nächste Station auf dem weitläufigen Gelände zu besuchen. Die höhlenartigen Pumpenräume im Kellergeschoss haben sie hinter sich gelassen. Im ersten Schritt der Wasseraufbereitung, der Mikrofiltration, wurden dort Bakterien und größere Partikel aus dem Wasser entfernt. In der zweiten Phase kommen nun noch feinere Trennfolien zum Einsatz.

    Das Fahrzeug erreicht nun eine hohe Halle, in der unzählige Batterien von weißen Metallbehältern stehen, die wie Gasflaschen aussehen. Durch ihr Inneres strömt jedoch Wasser. Sieben Plastikfolien, zu einer Rolle aufgewickelt, enthält jede einzelne Flasche. Was hier abläuft, nennen die Experten Umkehrosmose.

    "Also das Umkehrosmose-System, das Sie hier sehen, ist so ähnlich gebaut wie eine Zwiebel mit verschiedenen Scheiben. Das Wasser wird von außen gedrückt in das Innere und durch all die Scheiben durch. Und da in diesen Scheiben bleiben die Bakterien und die Viren, die wir nicht ins Wasser haben wollen, die bleiben da stehen. Und das saubere Wasser geht ins Innere hinaus."

    Mit Hochdruckpumpen muss das Wasser durch die halbdurchlässigen Plastikfolien hindurch gedrückt werden. Michael Markus:

    "Fünfzehn dieser Pumpen haben wir hier. Die Umkehrosmose entfernt alle Mineralien aus dem Wasser, alle Reste von Arzneimitteln und auch alle Viren. Das ist hier wirklich das Herzstück unserer Anlage, hier wird die Hauptarbeit geleistet. Diese Halle hier ist die größte Anlage zur Umkehrosmose in den ganzen Vereinigten Staaten."

    Das Wasser aus der Umkehrosmose wird schließlich einem letzten Reinigungsschritt unterzogen. Markus:

    "Für den abschließenden Reinigungsschritt benutzen wir ultraviolettes Licht und die Chemikalie Wasserstoffperoxid. Das Wasser, das aus der Umkehrosmose kommt, fließt dann über diese Leitung hier in die großen Tanks vor mir. In jedem davon sind 144 UV-Lampen. Ungefähr fünf Sekunden lang wird das Wasser damit bestrahlt. Diese kurze Zeit genügt dafür, dass das hoch intensive ultraviolette Licht bestimmte Substanzen im Wasser zerstört."

    Die komplette Anlage verbraucht nicht gerade wenig Energie. Die gewaltigen Pumpen für die Umkehrosmose verschlingen das meiste davon. Im Vergleich mit anderen Methoden schneidet das Recycling von Wasser jedoch immer noch am besten ab. Zur Entsalzung von Brack- oder Meerwasser benutzt man auch die Umkehrosmose. Doch weil die Salzkonzentrationen hier deutlich höher sind als bei städtischen Abwässern, müssen die Pumpen deutlich mehr leisten. Michael Markus:

    "Unsere Wiederaufbereitung von Trinkwasser verbraucht bloß ein Drittel der Energie, welche man für die Meerwasserentsalzung aufbringen müsste. Deshalb sollte man zunächst einmal dieses Recycling nutzen. Und wir können das Wasser für ungefähr die Hälfte der Energie bereitstellen, die der Transport aus dem nördlichen Kalifornien kosten würde. Denn da sind einige hohe Bergketten dazwischen, über die man das Wasser hinweg pumpen muss."

    Noch günstiger wäre es natürlich, verstärkt Wasser einzusparen. In einer Zwei-Millionen-Stadt in der Wüste von Nevada mussten das die Verantwortlichen erst lernen. Las Vegas – die Glücksspielmetropole mitten im Nirgendwo. Auf dem Las Vegas Boulevard, dem Strip, reiht sich Hotel an Hotel, Casino an Casino. Wassermangel scheint hier kein Thema zu sein. Vor dem Bellagio schießen die Wasserfontänen bis zu achtzig Metern in die Höhe. Und ein Stückchen weiter nördlich am Strip inszeniert das Treasure Island Hotel jeden Abend in einer künstlichen Lagune eine Piraten-Seeschlacht. Überall in der Stadt grünen Golfplätze. Und doch speist sich die Trinkwasserversorgung fast ausschließlich aus einer einzigen Quelle, aus dem Lake Mead südöstlich der Stadt.

    "Lake Mead ist ein großer Stausee. Der Colorado River wird dort vom Hoover Damm zurück gehalten. Neunzig Prozent des Wassers von Las Vegas stammen aus diesem Reservoir. Für uns ist es also sehr wichtig, dass das Wasser dort kristallklar und rein bleibt."

    Lynn Orphan arbeitet als Wasserqualitäts-Managerin für die Clean Water Coalition, einen Zusammenschluss mehrerer Kommunen im Großraum Las Vegas. Die Koalition wurde 2002 gegründet, ein Jahr nach einer langen Trockenheit, welche der Wüstenstadt vor Augen geführt hatte, wie schnell ihre Wasservorräte zu Ende gehen können. Noch in den späten 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Pro-Kopf-Verbrauch in Las Vegas doppelt so hoch wie der in New York City, wo zehn Mal mehr Regen fällt. Doch seit einigen Jahren setzt auch das Spielerparadies in der Wüste verstärkt aufs Wassersparen. Lynn Orphan:

    "Im Freiland haben wir den größten Batzen gutmachen können. Wir haben einen Teil der Rasenflächen abgeschafft und die Bewässerung reduziert. Die Leute haben stattdessen Wüstengewächse angepflanzt, die mit wenig Wasser auskommen. In manchen Parks gibt es sogar Kunstrasen. Das bewirkt schon mal eine ganze Menge. Jeder Mensch hier in Las Vegas verbraucht heutzutage deutlich weniger Wasser als früher. Im Moment haben wir ein Plateau erreicht, aber in Zukunft wollen wir noch mehr einsparen – im Haus und außerhalb."

    In den Gebäuden haben vor allem die Hotels Wasser einsparen können. Viele verfügen zum Beispiel über ein zweites Rohrleitungssystem für das Abwasser. Die Toilettenspülung schwemmt die Fäkalien direkt in die Kanalisation. Nur leicht verschmutztes Wasser, wie zum Beispiel aus der Dusche oder vom Waschbecken, wird getrennt gesammelt. Dieses sogenannte Grauwasser kann leicht wieder aufbereitet werden, um damit beispielsweise Rasenflächen zu sprengen.

    "Viele Hotels nutzen Grauwasser. Wir hatten auch daran gedacht, dass sich das vielleicht in Einfamilienhäusern lohnen könnte, zur Bewässerung des Gartens. Aber wir haben gesehen, dass es sinnvoller ist, das Rasensprengen zu reduzieren und die Aufbereitung des Wassers den öffentlichen Netzen zu überlassen."

    Effizienz und Sparsamkeit sind neuen Quellen wie etwa entsalztem Meerwasser vorzuziehen. So sehen es auch die Wissenschaftler am kalifornischen Pacific Institute. Dieses private Forschungsinstitut widmet sich dem Thema Wasserversorgung von allen möglichen Seiten. Der Hauptsitz befindet sich in einer viktorianischen Villa in einem winzigen historischen Park in der Innenstadt von Oakland. Heather Cooley ist Expertin für Nachhaltigkeit im Wasserwesen.

    "Wir haben hier am Pacific Institute gezeigt: Zu den wirksamsten und billigsten Maßnahmen überhaupt gehören Wassersparen und eine Erhöhung der Effizienz. So können wir mehr Wasser bereitstellen für einen niedrigeren Preis – verglichen mit der Erschließung neuer Quellen. Und die sozialen und ökologischen Belastungen sind auch geringer."

    Gerade vor wenigen Wochen hat das Institut eine Studie veröffentlicht, die das Sparpotential im südlichen Kalifornien auslotet. Das Eineinhalbfache von dem, was die Stadt Los Angeles jährlich verbraucht, über eine Million Kubikmeter, könnte der Bundesstaat gewinnen, wenn die Menschen dort das Wasser sorgsamer einsetzten und effizienter nutzten. Sie müssten dann zum Beispiel neue Haushaltsgeräte und sparsame Toilettenspülungen anschaffen, die Lecks in den maroden Leitungen stopfen und ihre Gärten umgestalten. Und sie müssten Wasser aufbereiten und wiederverwerten. Das ganze Paket würde die Bürgerinnen und Bürger knapp zwei Milliarden US-Dollar kosten. Doch das Geld sei gut investiert, findet Heather Cooley. Denn günstiger als konventionelle Quellen sei das allemal.

    "Nehmen wir zum Beispiel ein Staubecken, das in Nordkalifornien entstehen soll, das Sites Reservoir. Das würde ungefähr drei Milliarden Dollar kosten und 250.000 Kubikmeter bereitstellen. Es ist doppelt so teuer und würde nur ein Fünftel des Wassers liefern, das unsere Vorschläge zur Erhöhung der Effizienz bringen würden."

    Alleine durch wasserarme Toiletten, Waschmaschinen und Duschköpfe lassen sich im Bereich privater Wohnungen beträchtliche Mengen Wasser einsparen. Damit sich möglichst viele Verbraucher für solche Maßnahmen entscheiden, sollten die Wasserwerke diese Geräte subventionieren, finden die Experten vom Pacific Institute. Im Moment ist es noch eher so, dass das Wasser selbst zu günstig verkauft wird. Für die Kunden besteht daher auch kaum ein finanzieller Anreiz zum Wassersparen. Gestaffelte Preise könnten hier Abhilfe schaffen. Wer verhältnismäßig viel verbraucht, muss das Wasser zu besonders hohen Raten kaufen. Cooley:

    "Urbane Zentren üben den größten Druck aus, wenn es darum geht, neue Wasserquellen zu erschließen. Wenn wir Wege finden, diesen Druck wegzunehmen, kommen wir mit dem Wasser aus, das wir haben. Und nehmen wir mal die ganze Infrastruktur zum Aufbereiten von Wasser. Die finden wir vor allem in großen Städten. Wenn wir dort aber effizienter mit Wasser umgehen, brauchen wir das alles nicht. Wir sparen Energie und Geld, weil wir diese kapitalintensive Infrastruktur nicht mehr benötigen."

    Wiederverwertung von Abwasser, Aufbereitung von Salzwasser und das Speichern von Regenwasser – drei mögliche neue Quellen für eine nachhaltige Trinkwasserversorgung. Auf der anderen Seite muss Kalifornien in Zukunft seinen Verbrauch senken, indem es Wasser effizienter verwendet. Ein dritte Möglichkeit hört sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten schon beinahe wie Gotteslästerung an: Die weitläufigen urbanen Gebiete im Süden des Bundesstaats müssten ihr ungebremstes Wachstum begrenzen. Heather Cooley:

    "Oft ist es so, das sich die Planer für die Landentwicklung nicht mit den Planern für die Wasserversorgung abstimmen. Daher werden hier bei uns oft Bauprojekte vorangetrieben, obwohl es gar nicht ausreichend Wasser dafür gibt. In Kalifornien wurden nun Richtlinien entwickelt, mit denen man das ausgleichen möchte. Ein Bauunternehmer muss dann ab einer bestimmten Größe des Gebäudes nachweisen, dass es genug Wasser gibt, um es zu versorgen. Wir werden in Zukunft verstärkt Entscheidungen treffen müssen, die uns schwer fallen. Bisher haben wir uns mit dem Wasser, das uns zur Verfügung steht, immer irgendwie über die Runden retten können. In Zukunft dürfen wir uns aber nicht mehr darauf verlassen, dass das gut geht – besonders unter dem Zeichen des Klimawandels."

    Einsparen und wiederverwerten – vielleicht wird selbst das in Zukunft nicht mehr ausreichen. Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in San Diego haben anhand eines Computermodells abgeschätzt, wie sich der Pegel im Lake Mead in Zukunft entwickeln wird. Also in jenem Wasserreservoir am Colorado River, das von den schmelzenden Gletschern der Rocky Mountains gespeist wird und auf das Las Vegas angewiesen ist. Die Wetten stehen fünfzig zu fünfzig, dass der See bis zum Jahr 2017 ausgetrocknet ist. Der Einsatz in diesem Glücksspiel ist hoch: die Existenz der Millionenstadt in der Wüste. Für Lester Brown vom Earth Policy Institute sind die Zahlen keine Überraschung; bloß ein weiterer Beleg dafür, dass unsere Gesellschaft der Erde mehr abverlangt als sie aufbringen kann.

    "Ein System nach dem anderen behandeln wir so auf unserem Planeten. Wir holzen zu viele Wälder ab, wir überfischen die Ozeane, pumpen zu viel Grundwasser aus dem Boden, laugen das Weide- und Ackerland aus. Und so weiter und so fort. All das ist langfristig gesehen natürlich nicht nachhaltig."

    Wenn es nicht gelingt, diese Trends zu stoppen, werden auch all die technischen Lösungen am Ende nicht mehr helfen können, warnt der Prophet aus Washington.

    "Wenn das so weiter geht, steht unsere Zivilisation als Ganzes auf dem Spiel. Bisher hat es keine Gesellschaft gegeben, die über ihre Verhältnisse gelebt hätte – und daran nicht zugrunde gegangen wäre. Warum sollte das bei uns anders sein?"


    Hinweis: Der Beitrag ist Teil der fünfteiligen Serie "Megastadt von morgen". Weiter Informationen finden Sie auf unserer Sonderseite.