Freitag, 29. März 2024

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Anselm Weber verlässt Bochumer Schauspielhaus
"Keine glänzende große Ära"

Intendant Anselm Weber verabschiedet sich mit gleich zwei Premieren vom Bochumer Schauspielhaus. Diese letzten Inszenierungen seien gelungen, insgesamt sei Webers Intendanz aber eher "ereignisarm" und "matt" gewesen, sagte der Kulturexperte Martin Krumbholz im DLF.

Martin Krumbholz im Gespräch mit Henning Hübert | 22.05.2017
    Anselm Weber ist neuer Intendant des Schauspiels Frankfurt
    Schauspiel-Intendant Anselm Weber wechselt von Bochum nach Frankfurt. (picture alliance/ dpa/ Arne Dedert)
    Henning Hübert: Jetzt zu einem Theater-Karussell. Intendant Oliver Reese wechselt vom Frankfurter Schauspiel zum Berliner Ensemble und löst dort Urgestein Claus Peymann ab.
    Anselm Weber kommt deshalb vom Schauspielhaus Bochum nach Frankfurt. Im Ruhrgebiet verabschiedet er sich gerade mit den letzten Premieren: Zum einen mit seiner Arthur-Miller-Inszenierung "Alle meine Söhne": Das Stück zieht mit ihm um und wird von Dezember an in Frankfurt gespielt. Und in den Kammerspielen inszenierte Regisseur Roger Vontobel den "Kampf des Negers und der Hunde" vom französischen Autor Bernard-Marie Koltés, geschrieben in dessen Todesjahr 1998. Da ist schon der Titel erklärungsbedürftig. Daher die Frage an Martin Krumbholz: Was wurde da den Bochumern aufgetischt?
    Martin Krumbholz: Ja, wie ich finde ein grandioses Stück, das vielleicht wegen seines etwas bizarren Titels fast in der Versenkung verschwunden ist. Man kann sich ja heute fragen, ob so ein Titel überhaupt noch auf ein Plakat oder auf ein Programmheft gedruckt werden darf.
    Meines Erachtens ist es aber eine müßige Diskussion, denn es ist ein historischer Titel, und außerdem muss man sagen, der Begriff "Neger" ist eine Projektion der beiden weißen Hauptfiguren im Stück. Das sind zwei Leute, zwei Weiße, die auf einer Baustelle in Afrika arbeiten und viele Probleme haben. Das sind eigentlich Neurotiker: Der eine ist ein Trinker, der andere ist jähzornig. Und so passiert es auch, dass der Ingenieur, der zweite von den beiden, einen Afrikaner im Affekt erschießt, und nun kommt der Bruder des Toten und fordert die Leiche ein. Daraus entwickelt sich die sehr reduzierte, eigentlich minimale Handlung des Stückes, die aber trotzdem einen Sog entfaltet, eine ungeheure atmosphärische, untergründige Spannung.
    Hübert: Dann haben wir das andere Stück: "Alle meine Söhne", von Arthur Miller geschrieben, vor 70 Jahren. Das ist nun eine Familientragödie. Einen Tag später war die Premiere. Was bringt da Anselm Weber dem Zuschauer ganz nahe?
    Krumbholz: Ja, ganz nahe kann man buchstäblich verstehen, denn die Vorbühne ist weit in den Zuschauerraum hineingezogen. Ich habe relativ weit vorne gesessen, war hautnah an den Schauspielern. Das heißt, eigentlich auch eine Kammerspiel-Situation im großen Haus. Und in dem Stück "Alle meine Söhne" geht es eigentlich um eine Thematik, um die es Arthur Miller im Grunde immer geht, nämlich um den amerikanischen Traum und darum, wie er scheitert. In diesem Fall geht es um einen Geschäftsmann. Das Stück spielt im Zweiten Weltkrieg. Der hat bei Flugzeugen nicht funktionierende Zündkapseln eingebaut und sie trotzdem abfliegen lassen. Dadurch sind Leute zu Tode gekommen. Er versteht es, diese Schuld lange zu vertuschen. Jemand anderes geht dafür ins Gefängnis. Kurz und gut: Am Ende fliegt natürlich alles auf und die Familie ist ruiniert.
    "Weber macht im Grunde nichts anderes, als den Dialog in den Mittelpunkt zu stellen"
    Hübert: Welche Regie-Idee hat Anselm Weber, der Intendant?
    Krumbholz: Eigentlich eine ganz schlichte. Er macht im Grunde nichts anderes, als den Dialog in den Mittelpunkt zu stellen und zu stärken. Die Schauspieler sind sehr präsent. Es gelingt ihm, mit sehr einfachen Mitteln die Spannung aufrecht zu erhalten, ohne dass er jetzt irgendwie eine besonders markante Lesart dazu entwickelt oder sich etwas einfallen lassen würde, was das Gewohnte sprengt. Man könnte sagen, es ist zwar eine konventionelle Inszenierung, aber sie entfaltet trotzdem eine Wucht, weil das Stück einfach wahnsinnig gut funktioniert, sehr gut geschrieben ist, die Dialoge sind packend. Man geht mit, man kann sich dem nicht entziehen, und das hat jetzt nicht nur was mit der vorgebauten Bühne zu tun.
    Hübert: Über Webers Arbeitsbedingungen im Ruhrgebiet schrieb mal eine Zeitung: "Erst verschwand die Kohle, dann ging die Kohle aus." Zu was führte das in den insgesamt zwölf Intendantenjahren, erst in Essen und ab 2010 in Bochum bei Anselm Weber?
    Krumbholz: Für das Bochumer Schauspielhaus ist das, glaube ich, nicht so das Problem. Das ist eher ein Problem für Häuser wie Oberhausen oder Dinslaken oder Moers. Bochum ist, damit verglichen, doch noch relativ gut ausgestattet, hat auch ein relativ großes Ensemble.
    Aber eines muss man meines Erachtens klar sagen: Das war keine glänzende große Ära. Dazu hat es doch zu sehr an ästhetischem Ehrgeiz gefehlt, an wirklichen Herausforderungen, an markanten Inszenierungen, die sich über die Jahre hinweg eingeprägt hätten. Mir fällt es fast schwer, wenn ich jetzt zurückdenke an diese Zeit, Inszenierungen zu nennen, die mich heute noch beschäftigen würden oder an die ich mich heute wirklich noch lebhaft erinnern würde. Dazu war das doch alles zu sehr in einem grauen Zwischenbereich, ein bisschen matt, ein bisschen ereignisarm letztlich.
    Hübert: Die Bilanz Anselm Webers am Bochumer Schauspielhaus. Martin Krumbholz war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.