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Antibiotikakur für gesunde Hähnchen

Nicht erst seit den jüngsten Skandalen fordern viele Kritiker mehr Transparenz bei der Massentierhaltung. Nordrhein-Westfalen will jetzt die eingesetzten Antibiotika-Mengen genauer erfassen und startet die erste Antibiotika-Datenbank für die Tierzucht - auf freiwilliger Basis.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 11.01.2012
    Mehr Transparenz in der Massentierhaltung – das fordert Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel von den Grünen schon lange. Eine Konsequenz ist nun die in Essen angesiedelte und bundesweit erste Datenbank, in der die rot-grüne Landesregierung Angaben zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast sammelt. Tierärzte und Landwirte sollen dort ihre Daten abliefern, um zu dokumentieren, welche Dosis sie den Tieren jeweils wann verabreicht haben. Laut einer Studie des Landesamtes für Verbraucherschutz, die der Umweltminister im November veröffentlicht hatte, wird nahezu jedes einzelne Hähnchen in NRW mit Medikamenten behandelt – auch, wenn es gar nicht krank ist. Johannes Remmel:

    "Die Zahl, die wir hier erhoben haben, bei unserer Studie, 96 Prozent aller Masthähnchen sind in ihrem kurzen Leben mit Antibiotika in Berührung gekommen – das deutet darauf hin, dass wir hier ein dickes, dickes Problem haben."

    Die bisherige Buchführung über die Abgabe von Arzneimitteln an die Tiere, hält der Grünen-Politiker für nicht ausreichend. So würden Daten von Tierärzten und Mästern bisher nicht abgeglichen, und es gebe zu wenige Informationen über die einzelnen Betriebe. Anders als bei Rindern und Schweinen, deren Antibiotika-Behandlung seit einem Jahr komplett erfasst werde, gebe es diese Dokumentation bei Geflügel bisher nicht:

    "Das können wir zurzeit nicht nachvollziehen, welche Medikamente verabreicht worden sind, in welcher Form, bei welchem Betrieb. Wir können nur ungefähre Lieferströme identifizieren. Die Daten werden im März 2012 dann zur Auswertung bereitliegen, um dann auch einschreiten zu können."

    Kritik, wenn auch nur in leiser Form, kommt von der Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag: Die Landesregierung hätte viel früher handeln können, meint Franz-Josef Hovenjürgen, Vizechef der CDU-Fraktion. Stattdessen nutze der Umweltminister jede Möglichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit und bausche die Arzneivergabe an Hähnchen allzu sehr auf:

    "Wenn man aber sich mit den Realitäten vor Ort in der Praxis auseinandersetzt, dann ist vielleicht einiges doch nicht ganz so dramatisch zu sehen, wie es medial beschrieben wird."

    Doch in der Sache stimmt die CDU mit Rot-Grün in Düsseldorf überein: Die Sorgen der Verbraucher seien durchaus nachvollziehbar, sagt Christdemokrat Hovenjürgen. Einen entscheidenden Haken hat die neue Datenbank in NRW allerdings: Die Herausgabe der Daten durch Tierärzte und Mastbetriebe erfolgt freiwillig. Solange die Bundesregierung keinen rechtlichen Rahmen erlasse, gehe das nicht anders, sagt Umweltminister Remmel. Für ihn liegt der Schwarze Peter in Berlin. Grünen-Politiker Remmel nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über Bundesagrarministerin von der CSU spricht:

    "Frau Aigner nimmt sich immer dann der Probleme an, wenn sie auf der Tagesordnung stehen, und geht nicht vorsorgend zu Werke. Und im Übrigen kündigt sie dann immer an, kann das aber oft auch nicht in der eigenen Bundesregierung durchsetzen, und an der Umsetzung hapert es eben auch."

    Kaum ein gutes Haar lässt Remmel auch an den Plänen zur stärkeren Kontrolle der Antibiotika-Abgabe, die Aigner am Dienstag in Berlin vorgestellt hatte. Der Gesetzentwurf sei eine "Mogelpackung" mit allzu vielen Zugeständnissen an die Geflügellobby. Während die Bundesregierung Anwendung und Dosierung stärker beschränken will, fordert Nordrhein-Westfalen langfristig einen kompletten Verzicht von Antibiotika in der Hähnchenmast. Wie das konkret funktionieren soll, diese Antwort bleibt Remmel derzeit aber schuldig. Auch mit Kritik an der Pharmaindustrie und an der Massentierhaltung und hält sich der Grünen-Politiker zurück und beschränkt sich auf folgenden Hinweis:

    "Das, was in Richtung Masse und billig geht, das kann an jedem anderen Standort in der Welt auch produziert werden und ist eigentlich nicht nachhaltig."

    Die absolute Forderung nach einer Abschaffung der Massentierhaltung ist dem Umweltminister von den Grünen, allerdings, Zitat, zu "zu grob gedacht". Remmel sieht die Verantwortung auch und vor allem bei den Verbrauchern. Über die Nachfrage, die Preise und den Konsum lasse sich eine Menge bewegen.