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Aschenputtel tanzt wieder

Sehr aufwändig, sehr detailreich - und sehr kompliziert produziert Christopher Weeldon in "Cinderella" das Aschenputtel-Märchen: Leider hat er dabei den Zauber der Kindheit gleich mit dem Staub der Vergangenheit fortgeblasen.

Von Wiebke Hüster | 15.12.2012
    Premieren seien so teuer, seufzt Christopher Wheeldon am Morgen nach seiner "Cinderella" am Schreibtisch seiner winzigen Bürokammer im Amsterdamer Opernhaus "Het Muziektheater". Alle diese Toi-Toi-Toi-Geschenke für die Musiker, die Garderobieren, den Dirigenten, den Ausstatter, die Ballettmeister, die Repetitoren. Und natürlich die Tänzer. Wheeldon seufzt, aber er macht dabei ein so zufriedenes Gesicht wie die Fee am Ende des Grimmschen Märchens, wenn der Prinz und Aschenbrödel sich gefunden haben.

    Kein Wunder: Nach seiner Covent-Garden-Inszenierung von "Alice in Wonderland" dachte die Ballettwelt, endlich bringt uns wieder jemand in die richtigen Schlagzeilen, bürstet den Staub von uns ab und lässt uns zeitgenössisch, postmodern, hollywoodlike, technologisch up to date aussehen, endlich kommen Leute ins Ballett, die das nie zuvor getan haben.

    Und nun also "Aschenbrödel" für das Niederländische Nationalballett, ein sicherer Kassenerfolg, wichtig für Ballettdirektor Ted Brandsen, dem Kürzungen der Regierung bevorstehen. 17 Vorstellungen sind am Premierenabend bereits ausverkauft, 25.000 Menschen werden Christopher Wheeldon's holländischen "Assepoester", wie Aschenbrödel hier heißt, innnerhalb weniger Wochen sehen, nicht wenig für ein Ballett. Eine Frage nur: Why Cinderella, Christopher Wheeldon, warum schon wieder ein Märchenstoff?

    Er sei ein großes Kind, sagt Wheeldon, mit einer seit seiner Kindheit ungeschmälerten Liebe zu Fantasy-Geschichten und Märchen.

    Wheeldon's dreiaktige Version des Prokofieff-Balletts versucht literarischer zu sein als alle früheren Interpretationen. Er schreibt den Stoff nicht um, wie Rudolf Nurejew das tat, als er Aschenbrödel um Erfolg als Hollywood-Schauspielerin ringen ließ. Aber auch Frederick Ashtons zu Herzen gehende auf die Magie der Feen und den grimmen Humor seiner eigenen Auftritte als hässliche Stiefschwester setzende Version ist nicht Wheeldon's Vorbild. Er mischt zwischen dem Grimmschen Märchen und der Vorlage von Charles Perrault und versucht, jeder Figur ein echtes Innenleben zu bescheinigen. Achenbrödels Mutter stirbt in einer Art Vorspiel, nachdem sie ihr Taschentuch blutig gehustet hat. Die Stiefmutter betrinkt sich auf dem Ball und blamiert sich entsetzlich. Die Stiefschwestern werden von Megan Zimny Gray und Nadia Yanowsky getanzt, die ihr kompliziertes Schrittmaterial fabelhaft benutzen, um sich lächerlich zu machen. Mathew Goldings charismatischer Prinz darf verzweifelte Grimassen schneiden, als seine Mutter ihm ernsthaft mit chinesischen, spanischen Bräuten und sogar den hässlichen Schwestern droht. Das Ganze spielt in einer halb gebauten, halb projizierten Kulisse mit einem fantastisch lebendigen Baum und in Aschenbrödels Küche einem rauchenden, glühenden Feuer im Ofen. Das Libretto hat der Bühnenautor Craig Lucas neu mit Wheeldon verfasst, Ausstatter Julian Crouch schuf hier sein erstes Ballettbühnenbild.

    Er habe ganz bewusst die Zusammenarbeit mit Leuten außerhalb der Ballettwelt gesucht um ihrer frischen Ideen willen.

    Das hat zu einer sehr aufwendigen, sehr detailreichen und sehr komplizierten "Cinderella" geführt, deren dramaturgische Verschlingungen sich nicht immer aufdröseln. In dieser Cinderella, hat man das Gefühl, sind so viele Ideen, so viele Schritte, so viele Charakterisierungen, dass man gar nicht mitkommt mit dem Tempo und der Fülle. So kann sich keine Magie entwickeln. Zu gut gemeint hat es Wheeldon mit diesem Aschenbrödel und den Zauber der Kindheit gleich mit dem Staub der Vergangenheit fortgeblasen, vor lauter Überambitioniertheit.