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Atlas der abgelegenen Inseln

Es geht um Inseln - 50 an der Zahl - und sie alle haben eines gemeinsam: Eine ist entlegener als die andere. Es sind Inseln, an deren Namen man sich vielleicht aus dem Geographieunterricht erinnert, Nicht, dass sie da behandelt worden wären (jedenfalls die meisten von ihnen nicht). Man entzifferte ihre Namen mehr aus Langeweile - es waren die Bezeichnungen, die neben diesen kleinen Punkte mitten im Nirgendwo standen, die wie Fliegendreck auf der Karte verteilt waren: Einsamkeit, Tristan da Cunha, Süd-Thule, Napuka, Rapa Iti.

Von Dagmar Röhrlich | 18.10.2009
    Nun gibt es ein Buch, mit dem man mehr über sie erfahren kann - und zwar sortiert nach den Weltmeeren. Die meisten dieser Inseln liegen fernab jeder Zivilisation, nur wenige sind dabei, deren Namen man wirklich kennt wie die Oster- oder die Weihnachtsinsel. Aber jede einzelne von ihnen stellt Judith Schalansky auf einer Doppelseite vor: Eine ist für eine Karte der Insel reserviert, auf der anderen gibt es Informationen wie Längen- und Breitengrad, Größe und Einwohnerzahl, ein paar historische Daten, Skalen mit Entfernungen zu den nächsten größeren Orten, eine kleine Erdkugel mit Markierungspunkt, damit man das verlorene Inselchen irgendwo im Raum festmachen kann - und dazu einen kurzer Text. Die Essenz der Insel.

    Da liest man vom 30. Juni 1908, als der Dampfer "Strauß" samt Hans Freiherr von Berlepsch - dem Begründer des Vogelschutzes, dessen Familie von Barbarossas Gnaden fünf Sittiche in ihrem Wappen führen durfte - auf der Bäreninsel landete: Die vielen geschossenen Vögel der Insel werden wenig begeistert von ihm und seinen vier Präparatoren samt Büchsenmacher gewesen sein. Oder die Geschichte der Insel Takuu, einem verlorenen Atoll, das zu Papua-Neuguinea gehört und gerade in den Fluten des Klimawandels versinkt. Die Alten stemmen sich gegen den Untergang ihrer Welt, die Jungen haben sich dem vergorenen Saft der Kokospalme ergeben. Oder die Kunst des Tätowierens, wie sie auf Banaba gepflegt wurde und dass die Banabaren ihre Toten nicht beerdigten, sondern ihre Leichen vor ihren Hütten hängen ließen, bis das Fleisch verwest war. Dann wurden die Knochen im Meer gewaschen, der Kopf vom Körper getrennt und während die Knochen unter dem Haus ruhten, war der Platz des Kopfes unter der Terrasse.

    In Zeiten von "Google Earth" mutet der "Atlas der abgelegenen Inseln" etwas anachronistisch an - aber gerade deshalb macht es so viel Spaß, darin zu lesen und Ungewöhnliches zu erfahren.

    Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln. Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde
    ISBN 978-3-86648-117-6
    Marebuch Verlag, 144 Seiten, 34 Euro