Stefan Römermann: Ganz überraschend kam die Nachricht nicht. Schließlich hatte E.ON schon vor Monaten angekündigt, sein Unternehmen aufzuspalten und das zukunftsträchtige Ökogeschäft von immer umstrittenen Geschäftsfeldern wie Kohlestrom und Atomkraft zu trennen. Trotzdem sorgt die Ankündigung von RWE, sein Geschäft aufzuspalten, für Aufregung. Schließlich geht es dabei auch um die Kosten für den extrem teuren Abriss der Atomkraftwerke. Für den müssen eigentlich die Betreiber aufkommen. Ob das jetzt immer noch bezahlt werden kann von RWE, das klären wir gleich. Darüber spreche ich jetzt mit Jochen Stay von der Anti-Atom-Bewegung "Ausgestrahlt". Guten Morgen, Herr Stay.
Jochen Stay: Guten Tag.
Römermann: Herr Stay, machen wir mal ein kurzes Gedankenexperiment. Stellen wir uns für einen Moment vor, Sie sind jetzt kein Atomkraft-Gegner, sondern einfach nur RWE-Aktionär. Wie fänden Sie dann die Entscheidung?
Stay: Dann bedeutet das für mich eine Rettung von Einkommen. Für die nächsten Jahre bin ich bessergestellt, weiß ich, es gibt weiter Dividende, und ich weiß, dass am Ende die Steuerzahler und -zahlerinnen das mir abnehmen, was sonst ich vielleicht mitbezahlen müsste, und das wäre eine gute Sache.
Römermann: Und wie finden Sie es als Atomkraft-Gegner?
Stay: Na ja, was heißt Atomkraft-Gegner? An der Stelle geht es, glaube ich, gar nicht darum, wie man zur Atomkraft steht, sondern ...
Römermann: Wie finden Sie es als Steuerzahler?
Stay: Man muss hier sehen: Alle Steuerzahler und -zahlerinnen haben schon den Einstieg in die Atomkraft bezahlt. Da sind Milliarden-Subventionen geflossen. Alle Stromkunden und -kundinnen haben mit jeder Kilowattstunde, die sie gekauft haben, einen kleinen Teil schon zu diesen Atomrückstellungen beigetragen, haben es zum zweiten Mal bezahlt. Und jetzt sollen sie es ein drittes Mal bezahlen, und das ist natürlich so nicht machbar. Da muss der Staat, muss die Bundesregierung gegenhalten und darf das so nicht akzeptieren.
Römermann: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass die Atomrückstellungen jetzt nicht sicher sind?
Stay: Nein. Was RWE hier macht, ist ja sogar "besser organisiert" als E.ON. Es macht eine Bad Company, packt da alles rein, was nur noch Kosten verursacht und keine Gewinne mehr macht, gründet eine neue Gesellschaft unter neuem Namen, die dann ein grünes Mäntelchen trägt, die aber natürlich den Endverbrauchern auch weiter den schmutzigen Kohle- und Atomstrom dieser Schwestergesellschaft verkaufen wird. Das ist auch Green Washing im schlimmsten Sinne, was da passiert. Und man ist gleichzeitig dann aus der Verantwortung raus. Die Haftungsmasse, die wird einfach massiv verkleinert dadurch. Es ist einfach da nicht mehr so viel zu holen.
Kohlekraftwerke werfen keine Gewinne mehr ab
Römermann: Wie funktioniert das denn überhaupt mit den Rückstellungen? Hat RWE und haben die anderen Energieunternehmen da irgendwo ein dickes Sparbuch, wo wirklich ein fettes Guthaben drauf ist, Milliarden von Euro, an die auch niemand rangeht, oder wie läuft das?
Stay: Nein, da liegt kein Geld im Tresor, das ist nicht irgendwo gesichert, sondern das Geld ist investiert worden zum Beispiel in Kohlekraftwerken, in ausländische Gesellschaften. Zum Teil sind das Investments, die auch heute schon gescheitert sind. Die Kohlekraftwerke werfen keine Gewinne mehr ab. Von daher steht dieses Geld nur in den Büchern als Zahl, quasi als Schulden, aber das ist kein Geld, was irgendwo zu holen ist.
Römermann: Es gibt gar keine Rückstellungen, sagen Sie?
Stay: Rückstellung ist ein buchhalterischer Begriff. Die stehen sozusagen drin. Das sind irgendwann Kosten, die irgendwann in Zukunft einmal anfallen werden. Aber das Geld liegt nicht irgendwo herum. Im Augenblick könnte man sagen, das hat der Wirtschaftsminister getan: Wenn man schaut, was alle Energiekonzerne, die vier gemeinsam wert sind, dann ist das gerade noch so viel, wie das vielleicht mal kosten wird, der Gesamtwert dieser Unternehmen. Einen Monat später hat E.ON gesagt, wir müssen unseren Wert um acht Milliarden nach unten reduzieren; schon ist das Geld wieder weg. Das geht gerade massiv schnell und deswegen muss die Bundesregierung jetzt sehr schnell eingreifen, um diese Gelder ...letztendlich muss man ihnen das Geld jetzt wegnehmen, den Stromkonzernen, solange überhaupt noch was zu holen ist.
Römermann: Nun sagt RWE, diese neue Gesellschaft, die da entsteht, die schöne Ökostrom-Gesellschaft, die gute, die würde an der Börse wesentlich höher bewertet werden. Die wäre ja interessanter für Investoren und dadurch würden da auch die Werte steigen und dadurch werden die Atomrückstellungen unterm Strich auch sicherer. Eine gewisse Logik hat das doch, oder?
Stay: Das stimmt für die ersten Jahre, solange die alte RWE noch Teile dieser neuen Gesellschaft gehören. Dann kann sie natürlich auch Gewinne, die dort entstehen, mitnehmen, um zum Beispiel den Abriss von Atomkraftwerken zu bezahlen. Aber je mehr an der Börse verkauft wird davon, je mehr andere Investoren einsteigen, umso kleiner ist ja der Teil, der dann noch RWE gehören wird. Das heißt, sie werden dieses Geschäft versilbern, werden damit jetzt Einnahmen erzielen, jetzt auch natürlich als Dividende weiter an die Aktionäre ausschütten und eben nicht zurücklegen für den Fall der Fälle, dann wenn es gebraucht wird für die Lagerung des Atommülls - das sind ja sehr langfristige Kosten -, sondern es werden jetzt kurzfristig Gewinne damit erwirtschaftet und dann ist das irgendwann aber auch vorbei.
Römermann: Jochen Stay von der Anti-Atom-Bewegung "Ausgestrahlt". Ich sage vielen Dank für das Gespräch.
Stay: Danke auch.
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