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Aus erster Hand

Der langjährige ARD-Fernseh-Korrespondent Jörg Armbruster berichtet über den Syrienkonflikt und geriet kürzlich ins Visier von Scharfschützen. Dieses und andere Erlebnisse in der Region hat er jetzt in dem Buch "Brennpunkt Nahost" verarbeitet.

Von Jan Kuhlmann | 28.10.2013
    Über viele Jahre war Jörg Armbruster ARD-Korrespondent im Nahen Osten. Kantige Brille, Mikrofon vor dem Mund: So hat er angenehm unaufgeregt den Zuschauern die Region erklärt. Armbruster steht für die beste Reportertugend: Er will Informationen aus erster Hand. Irak, Ägypten, Syrien – er war auch dann vor Ort, wenn Bomben explodierten und Schüsse fielen.

    Im Frühjahr hätte er diesen Einsatz fast mit dem Leben bezahlt: Im syrischen Aleppo zielten Scharfschützen auf ihn. Sein einheimischer Begleiter hatte sich in der bürgerkriegsgeschüttelten Stadt verirrt, erzählt Armbruster in seinem neuen Buch "Brennpunkt Nahost".

    Unseren Bus lotst er durch einen auch ihm augenscheinlich nicht vertrauten Stadtteil. Wir geraten immer näher an die umkämpfte Altstadt. Dann das Bab al Hadid, eines der Tore zur Altstadt, eine wuchtige Torburg, davor zwei offensichtlich unbeschädigte Telefonhäuschen. Die Straßen von Trümmern übersät, menschenleer. Gespenstisch leer. Dann ruft einer im Bus panisch: "Wir sind falsch hier. Wir müssen weg." Auf der Straße eindeutige Zeichen – das ist Scharfschützenland! Amar, der Fahrer, muss den Bus wenden, versucht Gas zu geben. Zu spät. Der erste Schuss. Er verletzt niemanden. Dann der zweite. Er trifft. Meinen Arm, meinen Bauch.

    Noch immer leidet Armbruster unter den Folgen der schweren Verletzung. Es spricht für ihn, dass er den lebensbedrohlichen Zwischenfall in dem Buch nüchtern erzählt – ohne sich selbst heroisch in den Mittelpunkt zu stellen. Hier zeigt Armbruster noch eine echte Reportertugend: Er nimmt die Menschen, über die er berichtet, wichtiger als sich selbst.

    In dem Buch schildert er in Reportagen den dramatischen Konflikt in Syrien und seine Hintergründe. Zweimal war er in den vergangenen beiden Jahren dort – und erlebte unglaubliche Brutalität. Etwa in der von Rebellen kontrollierten Stadt Azaz. Dort führte ihn sein Begleiter an einen Fluss.

    Im Fluss unter der Brücke haben Männer Metallreusen in die Strömung gestellt. "Damit fangen sie die Toten auf", erklärt Amar flüsternd. Fast jeden Tag treiben hier Leichen an. Leichen mit Folterspuren, verdrehten Gliedmaßen, zerschlagenen Gesichtern, aufgedunsen, zu Tode gefoltert oder erschossen. Weiter oben flussaufwärts ist Assad-Land. Dort entsorgen Assads Geheimdienstler ihre Opfer im Fluss. Sie treiben flussabwärts und bleiben in den Reusen unter der Brücke hängen. Die Männer am Fluss? Sie suchen nach Angehörigen und werden auch fündig.

    Armbruster schreibt über den Konflikt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen – aber auch ohne für einen der Kontrahenten distanzlos Partei zu ergreifen. Enthemmte Gewalt erlebt er aufseiten der Assad-Getreuen – aber auch unter den Gegnern des Regimes. Zugleich berichtet er von überraschenden Beobachtungen – etwa als er ein Sharia-Gericht besucht, das radikal-religiöse Assad-Gegner errichtet haben.

    Nach einigem Zögern ist Richter Idilbi bereit, uns das Gefängnis des Gerichts zu zeigen, ein dunkler Kellerraum, in dem sechs Gefangene zusammen mit einem Geistlichen auf einem auf dem Boden ausgebreiteten Teppich sitzen. Diese Kellerzelle ist offensichtlich mehr ein religiös aufrüttelndes Besserungszentrum als ein mit der Sharia drohendes Strafgefängnis. Von Zucht und Vergeltung kaum etwas zu spüren. Der Imam predigt mit sanfter Stimme und redet seinen Sündern ins Gewissen, sie mögen doch bitte ein gottgefälliges Leben führen. Die Sträflinge nicken einsichtsvoll und demonstrieren dem Kamerateam aus Europa ihre neue Frömmigkeit.

    Ein hartes Urteil fällt Armbruster über die Haltung der internationalen Gemeinschaft. So entlarvt er die UN-Missionen in Syrien in dem Buch als Farce – etwa wenn UN-Beobachter versuchen, die Ursachen von Massakern zu ergründen:

    Immer wieder klagen die UN-Offiziere, sie seien viel zu schlecht ausgerüstet, um solche Massaker überzeugend zu untersuchen. Tatsächlich beobachten wir, dass die Blauhelmsoldaten mit Schreibblock, Plastikkugelschreibern und Pocketkamera festhalten müssen, was sie für Beweise halten. Über sensible Messgeräte verfügen sie nicht. Bei den meisten Gesprächen, die sie auf der Straße mit Augenzeugen führten, standen syrische Offizielle daneben, die aufmerksam mithorchten. Außerdem müssen die UN-Kommandanten jede ihrer Missionen beim syrischen Geheimdienst anmelden und den eigenen Konvoi von bewaffneten Geheimdienstlern begleiten lassen.

    Armbruster geht vor allem mit dem Westen hart ins Gericht. Er wirft Europa und den USA vor, zu lange zugeschaut und geschwiegen zu haben. In diesen Passagen des Buches macht sich jedoch eine Schwäche bemerkbar: Armbrusters Analysen bleiben häufig an der Oberfläche. Manche Urteile fallen pauschal aus – etwa wenn er in einem Exkurs über Ägypten vor allem die Muslimbrüder an den Pranger stellt.

    Bei vielen Schlussfolgerungen liegt Armbruster dennoch richtig. Wenn er schreibt, dass der Konflikt in Syrien nur dann enden wird, wenn sich die USA und Russland stärker einmischen. Oder wenn er die schwierige Lage in Tunesien und Ägypten beschreibt und schlussfolgert:

    Dieses Zwischenergebnis beweist allerdings nicht, dass alle arabischen Rebellionen gescheitert sind, schon gar nicht, dass Araber Demokratie nicht können. Es beweist nur, dass es lange dauern wird, ehe sich das Neue dauerhaft durchsetzt. Die Ägypter und Tunesier haben immerhin gelernt, sich zu wehren und nicht jeden Unterdrückungsapparat hinzunehmen, sondern die Mauern der Angst einzureißen. Die Konflikte liegen offen, zum ersten Mal in der Geschichte dieser Gesellschaften.

    Armbruster nimmt seine Leser mit auf eine bewegende Reise zu einem schrecklichen Konfliktherd. Er führt sie sehr nah an das Geschehen heran. Ungeschminkte Schilderungen und Erzählungen aus erster Hand – das sind die Stärken des Bandes. Ärgerlich nur, ja geradezu peinlich sind die zahlreichen Fehler in dem Buch. So sind etliche Namen falsch geschrieben, auch sehr gängige. Das Fernsehen verlangt von dem TV-Journalisten Jörg Armbruster immer Aktualität und Schnelligkeit – für das Buch hätte sich der Verlag lieber etwas mehr Zeit nehmen sollen.

    Jörg Armbruster: "Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens"
    Westend Verlag, 256 Seiten, 17,99 Euro, ISBN: 978-3-864-89037-6