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Außerordentliche Feldherren

Friedrich den Großen mit anderen Herrschern oder Politikern zu vergleichen, das ist nicht neu. Einen neuen und zugleich kühnen Ansatz hat der Historiker Jürgen Overhoff gefunden. Er stellt den ersten amerikanischen Präsidenten George Washington neben Friedrich II. und macht dabei zwei Varianten von Aufklärung aus.

Von Günter Müchler | 23.01.2012
    Man nimmt dieses Buch mit einer Portion Skepsis zur Hand. Ein Vergleich Friedrichs und Washingtons? Darauf wäre man nicht gekommen. Gewiss, beide waren sie Feldherrn, außerordentliche sogar. Aber durch Umstände und Geografie getrennt kreuzten sich ihre Wege nie. Und selbst wenn sie sich respektierten, war das Interesse füreinander nicht sonderlich ausgeprägt.

    Dem Vergleich fehlt mithin die Evidenz. Jürgen Overhoff liefert mit seinem Buch allerdings den Beweis, dass der Vergleich, um als Methode Früchte zu tragen, des Naheliegenden nicht unbedingt bedarf. Ihm ist eine Doppelbiografie gelungen, die erkenntnisreich ist, obwohl die Protagonisten ihr Leben auf unterschiedlichen Planeten lebten, der eine auf dem kulturgesättigten europäischen Kontinent, der bis dahin die Welt bedeutete, der andere im unwirtlichen Indianerland.

    Beide, Friedrich wie Washington, schöpften aus dem Quell der Aufklärung. .Sie hatten die großen Philosophen gelesen, der Preuße wollte sogar selbst einer sein. Allerdings interpretierten sie die neuen, umwälzenden Ideen in sehr eigener, ja, gegensätzlicher Weise.

    "Denn Friedrich und Washington verstanden sich trotz der vielen verblüffenden Gemeinsamkeiten sehr bewusst als die führenden Repräsentanten zweier höchst unterschiedlicher Formen vernunftgemäßer politischer Aufklärung, nämlich der Aufklärung absolutistisch-monarchischer Prägung 'von oben' in Preußen und einer Aufklärung demokratisch-parlamentarischer Version 'von unten' in Amerika."

    Erzähltechnisch gelingt es dem Autor, die beiden Biografien unangestrengt miteinander zu verschlingen. Geschickt nutzt er die sich bietenden Anknüpfungspunkte wie den Siebenjährigen Krieg. Dieser fand zwar in Europa statt, Friedrichs Preußen band aber die Militärkraft Frankreichs, sodass Briten und amerikanische Kolonisten den Franzosen zur selben Zeit Kanada abjagen konnten. William Pitt veranlasste das bekanntlich zu der Äußerung, Amerika sei "in Deutschland erobert" worden.

    Der ständige Perspektivwechsel, den Overbeck vornimmt, verwirrt nicht. Stattdessen entsteht durch die Parallelführung der beiden Lebenswege ein weltumspannendes Zeitpanorama mit einer Idee als Mittelpunkt, der Aufklärung. Aber wie unterschiedlich wird sie umgesetzt! Für Friedrich wie für Washington war die Gewährung der Gewissensfreiheit fester Glaubensbestand, keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass John Locke, der frühe Künder der Toleranz, die Katholiken noch ins Abseits verbannte. Auch waren beide der Überzeugung, dass die Menschen von ihrem Verstand Gebrauch machen sollten und taten viel für die Verbreitung der Bildung. Indessen respektierte Friedrich die Freiheit nur, solange sie seiner Selbstherrlichkeit nicht in de Quere kam.

    "Zwar wollte der König das aufgeklärte Denken und Handeln des Einzelnen durchaus befördern, doch eben nur in einem von ihm selbst definierten und kontrollierten Bereich."

    Friedrich wollte als erster Diener seines Volkes gesehen werden. Doch wann je hätte der Diener seinem Herrn diktiert, was das Seine ist? In Wirklichkeit verachtete der Preußenkönig das Volk, genauso die Freiheit der Völker. Als es an die erste, brutale Teilung Polens ging, griff er anders als Maria Theresa, die immerhin schwere Gewissensqualen litt, ohne Skrupel zu.

    Nicht nur in der Praxis, sondern auch philosophisch verwarf er jeden Gedanken an eine konstitutionelle Machtteilung. Niemals könne in einem Staat Vernünftiges geschehen, wenn der Fürst nicht selbst regiere, schrieb er in seinem Politischen Testament, weil, wie er meinte, "nur in einem einzigen Kopf ein Plan aufgestellt werden" könne, der "Politik, Heerwesen und Finanzen alle zum gleichen Ziel" führe.

    Da dachte Washington radikal anders. Der erfolgreiche Landvermesser und Farmer verkörperte wie kaum ein anderer Freiheitssinn und Bürgerstolz der Siedler. Als sich die Auseinandersetzung mit der britischen Krone zuspitzte, legte er sich fest: Niemand dürfe "Skrupel haben oder einen Moment zögern, um zur Verteidigung eines so wertvollen Himmelsgeschenks" wie der Freiheit zu den Waffen zu greifen. Im Krieg mit England sah er seine Landsleute vor die Entscheidung gestellt…

    " ... ob die einstmals glücklichen und friedlichen Ebenen Amerikas entweder mit Blut durchtränkt oder von Sklaven bewohnt werden."

    Die Kolonisten entschieden sich gegen die Versklavung und gewannen. Washington, der siegreiche Oberbefehlshaber, wurde demokratisch gewählter Präsident. Den Antrag, die Königswürde zu übernehmen, hatte er zuvor "mit Abscheu" zurückgewiesen.

    Overhoff schildert, wie Friedrich im fernen Preußen ein baldiges Scheitern der amerikanischen Republik erwartet. Alles andere hätte seiner Überzeugung von der Notwendigkeit einer wenn auch aufgeklärten, so doch absoluten Selbstherrschaft widersprochen. Washingtons Urteil über Friedrich war am Ende vernichtend. Den Respekt vor dem Kriegsmann behielt er. Friedrichs Despotismus nannte er hingegen einen bleibenden "Schandfleck".

    Overhoff lässt keinen Zweifel daran, wem von den beiden Helden des Buches der Vorrang gebührt: Des Königs Tod löste in Preußen keine nennenswerte Trauer aus. Sein Herrschaftsmodell hatte die Bahn des Fortschritts verlassen. Im Gegensatz dazu setzte Washingtons Version politischer Aufklärung zu einem beispiellosen Siegeszug an, der trotz mancher Rückschläge bis heute anhält.

    Jürgen Overhoff
    Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung. Verlag Klett-Cotta, 365 Seiten, 22,95 Euro
    ISBN: 978-3-608-94647-5

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