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Austern
Meer im Mund

Deutschlands einzige Austernzucht ist auf der Insel Sylt angesiedelt. Die Wasserqualität der Nordsee gilt als besonders bekömmlich für die empfindlichen Muscheln, die besonders über die Festtage viel gekauft werden.

Von Klaus Deuse | 27.12.2013
    Unter dem Markennamen "Sylter Royal" kommen die auf Sylt gezüchteten Austern in den Handel.
    Unter dem Markennamen "Sylter Royal" kommen die auf Sylt gezüchteten Austern in den Handel. (Dittmeyer's Austern-Compagnie)
    "Wir sind hier in der Blindsel-Bucht zwischen Kampen und List, an der Ostküste der Insel Sylt. Und vor uns liegen die Austernbänke auf circa 30 Hektar Wasserfläche, die wir vom Land Schleswig-Holstein pachten", beschreibt Bine Pöhner von Dittmeyer's Austern-Compagnie mit einer weit ausholenden Armbewegung die Lage der einzigen Austernzucht in Deutschland. Bei Ebbe erkennt man mit dem Auge vom Ufer aus diverse, im Meeresboden verankerte Eisengestänge, die auf der Wattenmeerseite vor Sylt aus dem Wasser herausragen. Auf diesen sogenannten Tischen liegen in durchlässigen, netzartigen Geflechten die Austern. Geflechte, die Fachleute als Poches, als Taschen bezeichnen. Fest verschnürt an den Eisengestängen, damit sie nicht von den Strömungsverläufen weggetragen werden.
    Bestes Wasser
    Bei Flut ist von diesen Austernbänken nichts mehr zu sehen. Dann spült die Nordsee über sie hinweg, nehmen die Austern Nahrung auf. Die Wahl zur Zucht dieser Meeresdelikatessen in Deutschland fiel vor über 25 Jahren nicht ohne Grund auf Sylt. "Die Europäische Union teilt die Gewässer in Güten ein. Kategorie A bis C, wobei A die beste Güte ist. Und die kommt derzeit nur an drei Plätzen in Europa vor." Und zwar nach den strengen Normen der EU zum einen an einem Zipfel vor Schottland, außerdem in der Irischen See "und hier das nordfriesische Wattenmeer vor Sylt. Die Auster ist immer nur so gut wie das Gewässer, in dem sie lebt," ergänzt Bine Pöhler mit einem Anflug von Stolz. Die Wasserqualität vor Sylt ist übrigens nicht nur ziemlich salzhaltig, sondern auch ausgesprochen nahrungsreich. Jedenfalls für die Auster, die während ihres Wachstums allerhand wegschlürft.
    "Die Auster filtert bis zu 20 Liter gutes Wasser in der Stunde. Und aus diesem Wasser sammelt sie eben kleine Mikroorganismen, Plankton und verwandelt dieses eben in für uns so lebenswichtige Mineralien und Vitamine."
    Pro Jahr setzen die Mitarbeiter bis zu 80 Tonnen Jungaustern zum Wachstum vor Sylt aus. Bis zu ihrer Marktreife verbringt die Auster dann drei bis vier Jahre auf Bänken vor der Küste. "Wir haben, wie Sie jetzt sehen, verschiedene Austernbänke vor uns liegen. Und da haben wir ein sogenanntes Nord- und ein Südfeld eingeteilt. Und die Poches, das sind diese Kunststoffsäcke, wo die Austern sich drin befinden, sind ja mit farbigen Sticks verschlossen. Und das ist für uns intern ein Kennzeichen, welcher Jahrgang wo liegt."
    Austernfischer von Dittmeyer's Austern-Compagnie im Watt vor Sylt
    Austernfischer von Dittmeyer's Austern-Compagnie im Watt vor Sylt (Dittmeyer's Austern-Compagnie)
    Frische Ernte
    Über eine Million dieser Krustentiere ernten vier Austernfischer von Dittmeyer's Austern-Compagnie pro Jahr in der Nordsee, die in wasserfesten Gummianzügen, die bis unter die Achseln reichen, ihre Arbeit versehen. Insgesamt ernährt die Sylter Royal sieben Mitarbeiter. Ganzjährig. Der Jahresumsatz liegt im einstelligen Millionenbereich. Im Winter werden die Austern übrigens in Tanks auf die Insel verfrachtet, um bei strengem Frost nicht von Eisschollen im Wattenmeer erdrückt zu werden. Über eine eigens gebaute Pipeline werden die Austern dann in 15 Tanks, in denen jeweils 30.000 dieser Schalentiere Platz finden, mit frischem Nordseewasser versorgt. "Wir können nicht am selben Tag Austern ernten und verkaufen, weil sie, wenn sie aus dem Wattenmeer kommen, einmal in unserer Maschine unter Hochdruck von Schwebeteilchen und Kleinstlebewesen befreit werden. Und dann packen wir sie gerne noch über Nacht in eins der Becken, damit sie noch einmal ausfiltern können."
    Die Pflege der Sylter Royal ist aufwendig. Auf den Austernbänken müssen sie regelmäßig gewendet, aufgeschüttelt und von Algenbewuchs befreit werden. Das hat natürlich seinen Preis. Vor Ort, also beim Erzeuger auf Sylt, zahlt der Abnehmer pro Stück 1,30 Euro. Doch wenn die Sylter Royal auf dem Teller eines Restaurants irgendwo in Deutschland landet, dann kostet sie deutlich mehr. Und das liegt nicht nur an einer Fantasiekalkulation von Sterneköchen, sondern an der Lage des Erzeugers. Die Sylter Royal muss erst einmal aufs Festland transportiert werden. Und das geht bei den Speditionspreisen ins Geld. Dennoch ist das Naturprodukt vom nördlichsten Zipfel Deutschlands zunehmend gefragt. "Also wenn wir bummelig eine Million Austern pro Jahr umsetzen, dann kommt man so auf ein Tagesmittel von 3000 Stück, weil traditionell, besonders in Deutschland zu Weihnachten und zu Silvester gut und gerne und viel gegessen wird. Und da gehört für viele auch eine Sylter Royal mit auf den Tisch."
    Die Austernstube von Dittmeyer's Austern-Compagnie auf Sylt
    Die Austernstube von Dittmeyer's Austern-Compagnie auf Sylt (Dittmeyer's Austern-Compagnie)
    Horchen statt Hightech
    Natürlich nach überstandener Qualitätsprüfung vor der Auslieferung. Dafür gibt es allerdings kein Röntgen- oder Ultraschallgerät. Da hilft, so Bine Pöhner, nur das geschulte Gehör eines Austernexperten beim obligatorischen Klopftest: "Der auch tatsächlich von der EU als Qualitätstest sozusagen vorgeschrieben wird. Wir nehmen zwei Austern und klopfen die gegeneinander. Und Sie hören, es klingt wie ein Stein. Klingt ganz gut. Also die sind intakt, die kann ich jetzt verpacken."
    Nur zwei Tage später wird sie Wolfgang Guzy in einem Düsseldorfer Restaurant serviert. Und der weiß das Naturprodukt von Deutschlands nördlichster Insel zu schätzen. Austern, sagt er als Kenner nur nebenbei, dürfe man entgegen einem Vorurteil gar nicht schlürfen: "Die Sylter Royal hat ja einen leicht nussigen Geschmack, und sie ist vom Biss relativ fest. Wenn ich eine Auster esse, dann habe ich das Gefühl, ich habe das gesamte Meer in meinem Mund. So was Frisches, so was Mineralisches, leicht Fruchtiges. Es schmeckt einfach toll, nur nach Meer."