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Auszeichnungen für Sprache und Dichtung
Preise, Preise, Preise

Ein Abend, drei Preise und ein kleiner Eklat: Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, im Deutschlandfunk über einen Büchner-Preisträger in der Tradition des Namensgebers, einen Sprachaufklärer als Siegmund-Freud-Preisträger - und eine Johann-Heinrich-Merck-Preisträgerin, die ihr Preisgeld ablehnt.

Heinrich Detering im Gespräch mit Antje Allroggen | 01.11.2015
    Akademie-Präsident Heinrich Detering (links) zeichnet Rainald Goetz mit dem Büchnerpreis 2015 aus.
    Akademie-Präsident Heinrich Detering (links) zeichnet Rainald Goetz mit dem Büchnerpreis 2015 aus. (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    Antje Allroggen: Zur Belehrung bedarf es keiner Fiktion. Zur Unterhaltung aber schon. Dadurch ist jeder literarische Text immer der Gefahr ausgeliefert, zu lügen. Der Schriftsteller Rainald Goetz habe das Problem durch eine Polemik gegen Illusion und Fiktion gelöst, sagte "FAZ"-Mitherausgeber Jürgen Kaube gestern in seiner Laudatio auf den diesjährigen Büchner-Preisträger. Der Preis wurde gestern in Darmstadt von der Akademie für Sprache und Dichtung verliehen - vor wenigen Minuten hörten Sie an dieser Stelle den Wortlaut der Dankesrede.
    Rainald Goetz, 1954 in München geboren, gilt als das frühere Enfant terrible der deutschen Literatur. Unvergessenen auch sein Auftritt beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis 1983 in Klagenfurt. Mit seiner aufmüpfigen Prosa gibt es ja doch die eine oder andere Verbindungslinie zu Büchner selber, den Namensgeber Ihrer hochdotierten Auszeichnung. Sehen Sie, Heinrich Detering, Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, zwischen Büchner und Götz weitere Parallelen?
    Heinrich Detering: Es ist ja eine Tradition des Büchner-Preises, an die sich allerdings nicht alle Preisträger gehalten haben, sich in der Dankrede zu Büchner zu äußern. Das schien mir wie anderen auch bei Rainald Goetz besonders naheliegend zu sein, und Rainald Goetz hat sich dieser Aufgabe auf eine ebenso überraschende wie elegante Weise entledigt, als er Büchner und die Akademie kontrastiert hatte als gewissermaßen zwei dramatische Spielfiguren, die Institution auf der einen Seite, das rebellische Genie auf der anderen, und hat das bezogen auf seine eigenen Schreibphasen, Lebensalter, auf den rebellischen Aufbruch der Jugend und die, ich weiß nicht, wie man das auf einen Begriff bringen soll, aber jedenfalls eine andere Haltung mit dem wachsenden Lebensalter, die er dann auf die Akademie bezog in einer ebenso ironischen wie freundlichen und selbstkritischen Weise. Ich fand den Gedankengang, den ich eigentlich gar nicht zusammenfassen kann, weil er so komplex und reizvoll war, ausgesprochen sympathisch.
    Allroggen: In diesem Jahr ist der Linguist Peter Eisenberg mit dem Siegmund-Freud-Preis ausgezeichnet worden, der ebenfalls gestern Abend vergeben wurde. Eisenbergs Spezialgebiet ist die deutsche Grammatik. Er hat mehrere bedeutende Standardwerke geschrieben und gilt ebenso wie Ihre Institution als Kritiker der Rechtschreibreform. Kann man Peter Eisenberg als engagierten Kämpfer für die geschriebene deutsche Sprache bezeichnen?
    Detering: Ich glaube, es wäre passender, Eisenberg als einen Aufklärer im Bereich der Sprache, der Sprachwissenschaft, der Sprachkritik zu bezeichnen. Ein großes Verdienst, für das er gestern mit dem Freud-Preis ausgezeichnet wurde, besteht darin, dass er die Gefahr der esoterischen Wissenschaftssprache für kleine geschlossene Preise vermeidet, indem er wissenschaftlich überaus präzise, aber für alle interessierten Leser klar verständlich argumentiert, auch dort, wo es um aktuelle Ereignisse wie die Rechtschreibreform geht. Er hat da ja auch praktisch sehr maßgeblich mitgewirkt, solche Missstände und Fehlentwicklungen wieder zu korrigieren. Und dass er zum Beispiel auch populären Missverständnissen mit der Kraft der Vernunft des wissenschaftlich-analytischen Blicks entgegentritt, zum Beispiel der ewigen Angst vor einer Überfremdung des Deutschen durch Anglizismen oder anderen populären Besorgnissen. Da hat er immer wieder als ein Aufklärer gewirkt, der sehr heilsam, klärend, beruhigend gewirkt hat.
    Allroggen: Dann gab es noch einen dritten Preis: den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay, der an die Journalistin Gabriele Goettle ging, die sich gestern Abend aus gesundheitlichen Gründen entschuldigen ließ und das Geld nicht annahm, weil der Preis von einem Pharmaunternehmen finanziert würde.
    Detering: Ja.
    Allroggen: Der Publizist Otto Köhler hielt die Laudatio, von der Sie sich dann, Heinrich Detering, distanziert haben aufgrund der polemischen Redeweise. Was war da los?
    Detering: Zunächst muss man sagen, die Deutsche Akademie hat den Merck-Preis für literarische Kritik und Essay an Gabriele Goettle verliehen für ein ausgesprochen und explizit gesellschaftskritisches, auch explizit pharmakritisches Werk. Ihr jüngstes Buch ist ja ganz der Kritik des Gesundheitswesens oder Unwesens in Deutschland gewidmet. Dies war einer der Gründe dafür, dass die Akademie ihr den Preis verliehen hat. Meine kritische Vorbemerkung am Ende meiner Einführung und vor der Laudatio von Herrn Köhler bezog sich ausdrücklich - das habe ich im Saal so gesagt und das ist auch in den Pressemappen so nachzulesen - nicht auf die Meinungen, die Herr Köhler vorgebracht hat, sondern ausschließlich auf bestimmte, mir verfehlt erscheinende Formulierungen. Das ist das, was ich gesagt habe. Mit den Meinungen insbesondere im Hinblick auf die Kritik an der Pharmaindustrie, die Herr Köhler vorgebracht hat, bin ich durchaus einverstanden. Meine Kritik galt seiner polemischen Verwendung von den NS-Vokabeln wie Endsieg, Anschlussgebiet für die neuen Bundesländer oder seinem Gebrauch des Wortes Euthanasie und anderen, wie mir scheint, geschmacklosen und verfehlten Ausdrücken. Das war alles. Ich habe eben noch einige Sätze mehr gesagt, um sehr deutlich zu machen, dass es mir - ich habe es sogar ausdrücklich gesagt -, um Missverständnisse zu vermeiden, nur um die Art der Formulierung in Herrn Köhlers Rede ging und nicht um das Formulierte, also um die Meinungen, die er vertrat.
    Allroggen: Auch ein Anlass, um über die Finanzierung des Preises noch mal nachzudenken? Bislang wird die Auszeichnung ja zu 100 Prozent von der Firma Merck getragen.
    Detering: Da die Firma Merck selbst keinen Anstoß daran genommen hat, das von ihr zur Verfügung gestellte Preisgeld an eine scharfe Kritikerin der Pharmaindustrie zu vergeben, sehe ich jetzt keinen Anlass, den Konzern für diese kulturpolitische und sozialliterarische Offenheit zu kritisieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.