Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Barocke Entdeckungen
Musikalischer Garten und Radio Antiqua

Selbst prämierte junge Alte-Musik-Ensembles haben es oft schwer, sich überregional einen Namen zu machen. Wer Konzerte und Sonaten aber so virtuos in Erstaufnahmen präsentiert wie die Ensembles "Der Musikalische Garten" und "Radio Antiqua", hat auf jeden Fall große Aufmerksamkeit verdient.

Am Mikrofon: Rainer Baumgärtner | 05.05.2019
    Das Ensemble Radio Antiqua variiert seine Besetzung mit verschiedenen historischen Blas-, Streich- und Zupfinstrumenten, hier auf dem Bild sind die sechs Musikerinnen und Musiker in schwarzer Kleidung zu sehen, teils sitzend, teils stehen um ein altes Grammophon
    Das Ensemble Radio Antiqua variiert seine Besetzung mit verschiedenen historischen Blas-, Streich- und Zupfinstrumenten (Ola Renska)
    Das in Den Haag beheimatete Ensemble "Radio Antiqua" hat für das Label Ramée "Sonate à tre", also Triosonaten des Würzburger Hofkomponisten Giovianni Benedetto Platti in ganz unterschiedlicher Besetzung aufgenommen. Und das Baseler Quartett "Der Musikalische Garten" hat beim Label Coviello Classics nun den zweiten Teil seiner Gesamteinspielung der "Concerti à 3" des Württembergischen Oberkapellmeisters Giuseppe Antonio Brescianello vorgelegt — kunstvolle kleine Konzerte für zwei Violinen, Violoncello und Basso continuo.
    Musik: Giuseppe Antonio Brescianello, Concerto nono a-Moll (aus: Concerti à 3), 1. Allegro spiccato
    Am Ende ihres Studiums an der Schola Cantorum Basiliensis taten sich 2012 drei deutsche Musikerinnen und ein katalanisch-kolumbianischer Musiker zu einem Ensemble zusammen. Sie nannten es "Der Musikalische Garten" und besonderen Auftrieb gab ihnen, dass sie im darauf folgenden Jahr gleich bei fünf internationalen Wettbewerben Preise gewannen.
    Eine Ausgrabung aus Florenz
    Großen Wert legen die Baseler darauf, in ihren Programmen unbekannte Werke zu präsentieren. Und dies ist auch auf der inzwischen vierten CD des Quartetts der Fall. Sie enthält – als Erstaufnahme - die zweite Hälfte einer in Florenz erhaltenen Sammlung von zwölf Kammerkonzerten des wohl aus Bologna stammenden Violinisten Giuseppe Antonio Brescianello. Dieser war mehr als drei Jahrzehnte lang die prägende musikalische Figur am Württembergischen Hof in Stuttgart und Ludwigsburg. Anscheinend hat er fast ausschließlich Instrumentalwerke komponiert. Seine Concerti à tre – die ersten sechs davon hat das Ensemble bereits vor zwei Jahren veröffentlicht – entstanden dabei sicherlich noch in frühen Jahren in Italien.
    Musik: Giuseppe Antonio Brescianello, Concerto decimo d-Moll (aus: Concerti à 3), 3. Adagio & 4. Allegro
    DER MUSIKALISCHE GARTEN - Ensemble für Alte Musik German Echeverri Chamorro - Violine Karoline Echeverri Klemm - Violine Annekatrin Beller - Violoncello Daniela Niedhammer - Cembalo, Hamerklavier FOTO: © Susanna Drescher 2017 www.susannadrescher.ch
    Das Ensemble 'Der Musikalische Garten' mit seinen historischen Instrumenten (Susanna Drescher 2017 )
    Aus heutiger Sicht erscheint eine Besetzung mit zwei Geigen, Cello und Continuo als prototypisch für barocke Triosonaten. Doch abgesehen davon, dass die Genregrenzen im frühen 18. Jahrhundert fließend waren: Giuseppe Antonio Brescianello hat seine nur handschriftlich erhaltenen Concerti à tre, die entweder aus drei oder aus vier Sätzen bestehen, nicht umsonst als "Konzerte" bezeichnet.
    Der grundlegende Charakter des "concertare", des musikalischen Miteinander-Wetteiferns, ist seinem Werkzyklus immanent. Dabei ist es ihm gelungen, trotz der stets gleichen Ausgangssituation, bei den Instrumenten, mit immer neuen formalen Kniffen und dem Erzeugen unterschiedlicher Affekte eine erhebliche Abwechslung zu erreichen.
    Klangfülle in kleiner Besetzung
    Das Ensemble "Der Musikalische Garten" hat die Vorgabe in meisterhafter Weise in Töne übersetzt. Wie die beiden Violinen gleichrangig dialogisieren, die Rollen tauschen, sich die Melodieschnipsel zuwerfen und dabei oft miteinander verschmelzen, unterstützt vom forschen Violoncello und der dezenten Cembalo-Grundierung, das spricht von großer Harmonie im Ensemble und reißt den Hörer mit. Zügige Tempi und große Virtuosität ergeben – auch bei "nur" vier Beteiligten – eine Aufnahme von beachtlicher Klangwirkung, wie hier im ersten Satz des Concerto ottavo.
    Musik: Giuseppe Antonio Brescianello, Concerto ottavo D-Dur (aus: Concerti à 3), 1. Allegro
    Während Absolventen der Baseler Alte-Musik-Schmiede Schola Cantorum das Quartett "Der Musikalische Garten" gründeten, starteten – ebenfalls im Jahr 2012 – zwei Ex-Studentinnen des Königlichen Konservatoriums Den Haag die Gruppe "Radio Antiqua". Dort existiert eine große und renommierte Abteilung für Alte Musik mit vielen namhaften Dozenten. Und genau wie es im Baseler Ensemble keine Schweizer Musiker gibt, kommt die bald auf fünf Mitglieder erweiterte Den Haager Formation ohne Niederländer aus.
    Drei ihrer Kernmitglieder stammen aus Südamerika, dazu kommen ein Italiener und ein Tscheche, und auf der neuen CD sind noch ein koreanischer und ein israelischer Musiker beteiligt. Insgesamt sieben Musikerinnen und Musiker realisieren also auf dieser zweiten CD von "Radio Antiqua" sechs Triosonaten von Giovanni Benedetto Platti – und fast bei jeder bieten sie dabei eine andere Besetzungsvariante.
    Musik: Giovanni Benedetto Platti, Sonate c-Moll für Oboe, Fagott und Basso continuo, WD 695: 2. Allegro
    Die Sonaten stammen alle von Giovanni Benedetto Platti, einem Oboenvirtuosen, der – in Oberitalien geboren – zur selben Zeit in Deutschland wirkte wie Giuseppe Antonio Brescianello. Platti war am Hof der Würzburger Fürstbischöfe angestellt und blieb bis zu seinem Tod 1763 in der fränkischen Mainregion.
    Entdeckungen im fränkischen Wiesentheid
    Dass "Radio Antiqua" nun diese Sonaten aufnehmen konnte, ist einem Bruder von zwei der damaligen Würzburger Bischöfe zu verdanken, die aus der Adelsfamilie Schönborn stammten. Ihr Bruder, Graf Rudolf Franz Erwein von Schönborn-Wiesentheid, war ein begeisterter Amateurmusiker und legte eine große Notensammlung an. Und da er Cello spielte, hatte er es insbesondere auf Werke abgesehen, in denen sein Instrument im Vordergrund stand.
    Platti war regelmäßig im nahen Wiesentheid zu Gast und hat anscheinend eine ganze Reihe von Kompositionen speziell für den Grafen angefertigt. Etwa 60 derartige Werke haben sich in der Wiesentheider Sammlung als handschriftliche Unikate erhalten. Darunter sind gut 20 Triosonaten, bei der das zweite Melodieinstrument nicht in derselben Höhe musiziert wie das erste, sondern in tieferer Lage. "Radio Antiqua" hat zwei davon – den barocken Gepflogenheiten entsprechend – nicht nach der Vorgabe des Komponisten mit Violine und Violoncello, sondern mit Violine und Fagott eingespielt.
    Musik: Giovanni Benedetto Platti, Sonate c-Moll für Violine, Violoncello (Fagott) und Basso continuo, WD 694: 2. Adagio
    Beim Anhören der neuen CD von "Radio Antiqua" wird man vom Reichtum an Klangfarben überrascht, der durch den geschickten Einsatz der Instrumente erreicht wird. Immer wieder kombinieren die Mitwirkenden vier Melodie- und vier Continuo-Instrumente neu und geben damit jeder der Triosonaten ein eigenes Gepräge.
    Insgesamt überzeugt das junge Ensemble mit temperamentvollem Spiel, aber auch mit dem gefühlvollen Auskosten der langsamen Sätze. Die hervorragenden Aufnahmen sowohl von "Radio Antiqua" als auch vom Ensemble "Der Musikalische Garten" illustrieren die hohe Leistungsdichte, die inzwischen bei kleineren Formationen der Alten Musik vorherrscht. Es ist bedauerlich, dass es ihnen trotz ihrer Qualität und interessanter Programme oft schwerfällt, sich überregional einen Namen zu machen.
    Musik: Giovanni Benedetto Platti, Sonate e-Moll für Violine, Violoncello und Basso continuo, WD 677: 2. Alla breve
    Beide Aufnahmen sind in kleineren Räumen entstanden und zeichnen sich durch exzellente Klangqualität aus.
    Giuseppe Antonio Brescianello (1690-1758)
    Concerti a 3 Vol. 2 (Concerti Nr. 7-12)
    Ensemble 'Der Musikalische Garten'
    Label: Coviello
    Giovanni Benedetto Platti (1697-1763)
    6 Triosonaten aus der Sammlung Schönborn-Wiesentheid
    Radio Antiqua
    Label: Ramée