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Bauernproteste in Indien
Regierung nutzt Gesetz aus der Kolonialzeit gegen Journalisten

Als bei den Bauernprotesten in Indien ein Landwirt stirbt, berichten Medien, er sei erschossen worden. Eine Falschmeldung - die die Regierung nun nutzt, um gegen kritische Berichterstattung vorzugehen. Dabei wendet sie ein altes Gesetz an, das schon Mahatma Gandhi ins Gefängnis brachte.

Von Bernd Musch-Borowska | 02.02.2021
26. Januar, Neu Delhi, Indien: Demonstationszug indischer Landwirte gegen neue Agrargesetze
Da ging es noch friedlich zu: Proteste der indischen Landwirte gegen eine Agrarreform führten am 26. Januar zu Gewalt und Chaos (Imago/Naveen Sharma/ZUMA wire)
Am Republic Day in Indien, einem staatlichen Feiertag am 26. Januar, der alljährlich mit einer großen Militärparade in der Hauptstadt begangen wird, eskalierten die Proteste der indischen Landwirte gegen die Agrarreform in gewaltsame Ausschreitungen. Die Bauern überrannten mit ihren Traktoren alle Straßenblockaden und stürmten sogar das Rote Fort am Rande von Old Delhi, eines der berühmtesten Wahrzeichen der Hauptstadt, wie auf Filmmaterial der Nachrichtenagentur Reuters zu sehen war. Die Polizei setzte Schlagstöcke ein und feuerte Tränengas-Patronen in die Menge.
Gegen mindestens sechs indische Journalisten, die über Gewalt und Chaos am Republic Day berichteten, wurde jetzt Anklage erhoben, wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung und Aufruhr gegen den Staat. Der Press Club of India sowie andere Journalistenverbände und Organisationen von Medienschaffenden, legten Protest ein und forderten umgehend, die Anklagen fallen zu lassen. Andernfalls sei die Pressefreiheit in Indien in ernster Gefahr, hieß es.

Landwirt wurde von Traktor erschlagen

Der Staat nutze das sogenannte Sedition Law, ein Gesetz gegen Aufruhr, das aus dem Jahr 1860 stammt, um kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen, klagte Seema Mustafa, die Präsidentin des Redakteursverbandes Editor´s Guild of India, in einer Video-Konferenz des Presseclubs in Delhi. Bei der Berichterstattung über die gewaltsamen Proteste der indischen Landwirte hatten die betroffenen Journalisten in ihren Medien und in sozialen Netzwerken Informationen verbreitet, die sich hinterher als falsch herausstellten.
Demonstranten haben eine Abbildung des indischen Premierministers Modi an einer brennenden Figur aus Stroh befestigt, bei einem Protest gegen ein umstrittenes Paket neuer Landwirtschaftsgesetze.
Warum indische Bauern seit Monaten protestieren
Seit Monaten gehen Landwirte in Indien immer wieder auf die Straße. Ihr Protest richtet sich gegen Gesetze der Regierung von Premier Modi, die auf eine Reform des Agrarsektors abzielen. Wir erklären, warum die Bauern sich so erbittert dagegen zur Wehr setzen.
Konkret ging es um den Tod eines der protestierenden Bauern. Ersten Informationen zufolge soll der Mann durch Schüsse ums Leben gekommen sein, später stellte sich heraus, er war offenbar von einem umgestürzten Traktor erschlagen worden. Auch die Journalisten hatten unter Berufung auf Augenzeugen über die Schüsse als Todesursache berichtet. Die Staatsanwaltschaft in mehreren indischen Bundesstaaten wirft ihnen deshalb vor, sie hätten damit die Proteste gegen die Regierung angeheizt.

Journalistenverbände fordern Abschaffung des Sedition Law

Das sogenannte Sedition Law, wie der Artikel 124A des indischen Strafgesetzbuches genannt wird, stammt noch aus der britischen Kolonialzeit und sollte die indische Unabhängigkeitsbewegung im Zaum halten. Auch Mahatma Gandhi wurde 1922 nach diesem Gesetz wegen Aufruf zum Widerstand ins Gefängnis gesteckt.
Dieses Gesetz gehöre längst abgeschafft, forderte Rajdeep Sardesai, einer der jetzt angeklagten Journalisten. Vor allem in Konfliktregionen wie Manipur oder Kaschmir dürfe dieses Gesetz nicht gegen Journalisten angewandt werden, so der bekannte Moderator des Fernsehsenders India Today. Medienschaffende in allen Bundesstaaten sollten sich einig sein, egal ob sie für oder gegen die Regierung seien, dass Anklagen nach dem Gesetz gegen Aufruhr nicht gegen Journalisten erhoben werden dürften.

Chefredakteurin: Regierung will Journalisten einschüchtern

Unter kritischen Journalisten werde eine Atmosphäre der Angst verbreitet, klagte Seema Mustafa, die auch Chefredakteurin des Politikmagazins "The Citizen" ist: "Das alles geschieht nur, um Zweifel und Unsicherheit unter Journalisten zu schüren und Angst zu verbreiten. Und um die Herausgeber und Chefredakteure zur Zurückhaltung zu zwingen, über bestimmte Dinge überhaupt zu berichten. Im Prinzip ist die Botschaft dieses Gesetzes an alle Journalisten: Haltet den Mund!"
Das umstrittene Sedition Law wurde auch in der Vergangenheit häufig angewandt, etwa gegen Journalisten, die über die Proteste gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz berichtet und kritischen Stimmen von indischen Muslimen Gehör verschafft hatten. Alle Forderungen von indischen und internationalen Presse-Verbänden, das Gesetz abzuschaffen, blieben bislang erfolglos.