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Bedrohtes Kulturerbe
Orgel im Volkshaus Jena soll rückgebaut werden

Die Orgel im Volkshaus Jena stellt ein absolutes Unikum unter den Konzerthausorgeln dar. Nun ist ein Streit um die Zukunft des sanierungsbedürftigen Instruments entbrannt. Das Thema bewegt die Gemüter.

Von Claus Fischer | 25.11.2019
    Silberfarbene Pfeifen einer Chor-Orgel
    In Jena gibt es Bestrebungen, die sanierungsbedürftige Orgel im Volkshaus rückzubauen (Archiv Klais)
    Die Orgel im Volkshaus Jena mit ihren 61 Registern ist nicht nur eine der größten in Thüringen, sondern sie ist weltweit einmalig! 1987 wurde sie von der Firma Wilhelm Sauer aus Frankfurt an der Oder erbaut. In ihr findet sich Pfeifenmaterial aus jener Sauer-Orgel, die seit Anfang der 1950er-Jahre im Großen Sendesaal des Rundfunks der DDR in der Berliner Nalepastrasse stand und die heute noch rudimentär existiert. Aber für Jena wurden auch etliche Register neu gebaut - im romantischen Stil. Und das war für die damalige Zeit absolut ungewöhnlich. So ist denn auch eine stilgerechte Interpretation etwa der Orgelwerke von Max Reger möglich, der ja eine Zeitlang in Jena gelebt hat.
    "Diese Orgel war im Volkshaus nie Hundertprozent passgenau", sagt Jonas Zipf. Als Werkleiter der städtischen Kulturbetriebe - anderswo würde es Geschäftsführer heißen – ist er für das Instrument zuständig.
    "Man sieht es schon sehr deutlich, wenn man in das Gebäude reinkommt, dass es da einen architektonischen Zwiespalt gibt."
    Das mag vordergründig richtig sein. Das Volkshaus in Jena stammt aus Kaisers Zeiten und hat deutlich Anklänge des Jugendstils, die Orgel dagegen zeigt logischerweise Formen der späten achtziger Jahre. Denkmalpflegerisch spricht man hier von einem "gewachsenen Zustand". Doch akustisch gibt es, wie gesagt, sehr wohl einen Bezug zur Architektur des Saales - und das war den Erbauern der Firma Sauer 1987 bewusst. Um die Jahrhundertwende stand im Volkshaus nämlich bereits eine Orgel des Firmengründers Wilhelm Sauer. Sie war im zweiten Weltkrieg zerstört worden. Hartmut Haupt, zu DDR-Zeiten als Organist am Volkshaus tätig, hat die Disposition der neuen Orgel, also die Zusammensetzung der Register, auf der Basis dieses Vorgängerinstruments konzipiert. Damit, betont Organist Thomas Grubert, passt sie auch optimal in die Orgellandschaft der Jenaer Innenstadt.
    "Die drei größeren Instrumente, die es gibt: Stadtkirche, katholische Kirche und Volkshaus ergänzen sich untereinander in ihrer Vielfalt an Registern und Möglichkeiten."
    Hartmut Haupt, der Vater des Instruments verstarb im letzten Sommer. Bis zu seinem Tod trat er regelmäßig an der Volkshaus-Orgel auf. So verwundert es schon, dass die Intendanz der Jenaer Philharmonie nun, wenige Monate später, das Instrument nicht als Segen, sondern eher als Fluch betrachtet. Jonas Zipf, Geschäftsführer von Jena Kultur, versucht eine Erklärung.
    "Wir hatten so durchschnittlich drei Orgelkonzerte pro Jahr, und bei keinem der Konzerte mehr als hundert Zuschauer, das war wirklich eine sehr, sehr geringe Resonanz! Die künstlerischen Leitungen haben sich schon länger nicht mehr dafür entschieden, mit dieser Orgel zu arbeiten, weil sie dann auch im Laufe der Jahre in keinem guten Zustand war."
    Sanierung würde zu teuer
    "Es gibt sicherlich viele Versäumnisse in der Vergangenheit in der Einbeziehung der Orgel in die philharmonischen Programme", sagt Organist Thomas Grubert und wundert sich. Denn anderswo in Deutschland, etwa im Dresdner Kulturpalast oder der Hamburger Elbphilharmonie, sind in jüngster Zeit neue Konzertsaalorgeln entstanden, die vielfältig in sinfonische Programme eingebaut werden. Das wäre nach einer Sanierung auch mit der Jenaer Volkshausorgel sehr gut möglich. Geschäftsführer Jonas Zipf sieht da allerdings ein großes finanzielles Problem auf seine städtischen Kulturbetriebe zukommen.
    "Sanieren wir diese Orgel in ihrem Bestand, sind wir ungefähr in einer Größenordnung, was die Kosten anbelangt von 350.000 Euro. Würden wir sie wirklich modernisieren, auf den Stand der Zeit bringen, so dass sie auch künstlerisch genutzt werden kann, sind wir eher in der Gegend von einer Dreiviertelmillion Euro. Die Eigentümerin ist nicht die Stadt Jena, die Eigentümerin der Orgel ist die Ernst-Abbe-Stiftung. Wir kommen gemeinsam zu der Auffassung, dass wir diese Orgel rückbauen!"
    Das bedeutet die Zerstörung des Instruments! In einem Artikel der örtlichen Tageszeitung war sogar bereits die Rede davon, dass die Pfeifen der Orgel einzeln für einen guten Zweck verkauft werden sollen. Für Thomas Grubert, der seit seiner Jugend regelmäßig an der Volkshaus-Orgel gespielt hat, eine absolute Horrorvorstellung.
    "Ich bin doch ziemlich überrascht, dass mit vielen Orgelkollegen und Orgelfreunden nicht gesprochen wurde, die Firma Sauer aus Frankfurt mal eingeschlossen."
    So initiierte Thomas Grubert eine Petition zur Erhaltung des Instruments. Rund 1200 Mal wurde sie inzwischen unterzeichnet, u.a. vom Essener Domorganist Sebastian Küchler-Blessing und dem Titularorganist der Pariser Kathedrale Notre-Dame Olivier Latry. "Geben Sie der Orgel die Chance zum Überleben" schreibt er. Und Grubert fügt hinzu: "Sei es jetzt an dem Standort Volkshaus - und wenn das eben nicht geht, in einer anderen Kirche, in einem anderen Konzerthaus!"
    Verkauf statt Rückbau?
    Solche Umsetzungsaktionen gab es in jüngster Zeit mehrere. So wurde die alte Orgel des Dresdner Kulturpalastes an die katholische Propsteikirche im brandenburgischen Cottbus verkauft und auf diese Weise erhalten. Das dürfte auch im Fall Jena im Sinne des Denkmalschutzes sein. Denn das deutsche Orgelbauhandwerk und die deutsche Orgelkultur stehen ja inzwischen auf der immateriellen Welterbeliste der UNESCO. Jenas Kulturgeschäftsführer Jonas Zipf könnte sich - angesichts der negativen Resonanz auf seine Rückbaupläne - inzwischen auch mit dem Gedanken eines Komplettverkaufs der Orgel anfreunden, zeigt sich dabei aber leicht skeptisch.
    "Das ist eine sehr herausfordernde Option, sie anzubieten für Andere, denn es bleibt ja dabei, dass die Orgel eben dringend sanierungsbedürftig ist und dass man da auch in Größenordnungen einsteigt, die den Anderen auch zögern lassen!"
    Das Thema Volkshaus-Orgel bewegt die Gemüter in Jena. Und zwar so stark, dass Oberbürgermeister Thomas Nitsche für den 4. Dezember einen "Orgel-Gipfel" einberufen hat, bei dem beide Seiten ins Gespräch kommen sollen. Jonas Zipf begrüßt das ausdrücklich.
    "Uns war klar, dass wir diese Debatte ausführlich, gründlich, bitte auch sachlich und rational führen müssen und auch werden – und wir stellen uns dieser Auseinandersetzung!"
    So wird die Sauer-Orgel im Volkshaus Jena - hoffentlich - bald wieder so klingen wie nach ihrer Erbauung im Jahr 1987.