Mittwoch, 24. April 2024

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Bedrohungen nach Satire-Video
"Da steckt Methode dahinter"

Die AfD fühlt sich von einem Filmdreh des Satirikers Christian Brandes diskreditiert und dreht ein Video vor dem Wohnhaus seines Kollegen, der daraufhin bedroht wird. "Da steckt Methode dahinter, dass wir Kunstschaffenden uns dreimal überlegen, ob wir überhaupt noch mal die AfD in den Mund nehmen", sagte Brandes im Dlf.

Christian Brandes im Gespräch mit Christoph Sterz | 18.09.2018
    Der Blogger und Autor Christian Brandes alias Schlecky Silberstein sitzt auf einem Sofa bei der Leipziger Buchmesse im Jahr 2018.
    Der Satiriker Christian Brandes alias Schlecky Silberstein wird nach einem Satire-Dreh massiv bedroht. (imago )
    Christoph Sterz: Videos, die Satire sind und idealerweise auch lustig, sind die Spezialität vom Bohemian Browser Ballett. Die Videos werden bezahlt und beauftragt vom öffentlich-rechtlichen Jugendangebot funk - und beschäftigen sich gerne auch mal mit aktuellen politischen Themen wie zum Beispiel mit den Vorgängen in Chemnitz. Jeder kann hier Mitglied werden, sagt in dem Video ein schick gekleideter Mann vor einem kleinen Stand mit Deutschlandfähnchen und AfD-Parteilogo. Davon hat sich die AfD gestört gefühlt - und zwar nicht nur vom Satire-Video, sondern besonders von dem Filmdreh, bei dem dieses Video entstanden ist. Gedreht wurde das Video auf einem öffentlichen Platz in Berlin-Lichtenberg, wo die Filmemacher eine Nazi-Demo für das Satire-Video inszeniert haben.
    Die AfD schreibt unter anderem auf ihrem Facebook-Account, sie hätten versucht, Fake-Videos an einem falschen Parteistand zu drehen. Besonders perfide sei, Zitat, "dass ein Ort ausgewählt wurde, an dem die AfD tatsächlich regelmäßig mit Infoständen präsent ist". Christian Brandes, besser bekannt unter seinem Blogger- und Comedian-Namen Schlecky Silberstein und einer der Macher vom Bohemian Browser Ballet, was sagen Sie zu dem Vorwurf der AfD?
    Schlecky Silberstein: Es war ein Filmdreh. Und das war auch eigentlich ganz deutlich zu erkennen an diesem Tag in Lichtenberg. Zum einen eben an dem Cateringzelt, an dem Regisseur, an den Komparsen, aber auch eben an den ganz, ganz vielen Aushängen, wo noch mal stand, "Danke für Ihr Verständnis, wir drehen hier gerade einen Film". Also, ich glaube nicht, dass irgendeiner, der dort vor Ort war, in den Verdacht geraten konnte, eine Fake-Demo zu inszenieren. Was soll man noch machen? Ich denke eher, dass da jemand eine Gelegenheit genutzt hat, um so ein kleines bisschen die Wahrheiten zu verdrehen, so dass es irgendwie aussieht, als hätten wir tatsächlich dort Fake News verbreitet. Das war, glaube ich, eine ganz gute Gelegenheit, aber es war halt einfach falsch. Es war ein Satire-Dreh, was man im Endeffekt ja auch sieht an dem Ergebnis.
    AfD prüft Strafanzeige gegen das Bohmian Browser Ballett
    Sterz: Die AfD stört sich besonders daran, dass Sie das AfD-Parteilogo benutzt haben für das Video. Wir haben die AfD heute angefragt, der Sprecher des AfD-Landesverbandes Berlin schreibt uns, Zitat, "jedoch hat niemand etwas gesagt, und das ist ein starkes Stück, da wir auf die Verwendung unseres Logos besonders achten müssten." Was sagen Sie dazu?
    Silberstein: Ja, also, wir leben ja in Deutschland, und es gibt ja auch noch Kunstfreiheit, und man darf Dinge zitieren. Also, da würde ich halt einfach den Herrschaften empfehlen, noch mal das Ganze wirklich mit einem Juristen, also mit einem echten Juristen, der das auch hauptberuflich macht, durchzusprechen. Das durften wir natürlich, wir sind ja auch nicht blöd. Wir klären natürlich immer alles, was wir machen dürfen. Und auch gerade in der Satire muss man da sehr vorsichtig sein, im Einzelfall genau schauen, was macht man. Wir haben auch schon mal in einem anderen Kontext ein ganz, ganz verfremdetes Logo der AfD verwendet, weil uns das die Juristerei empfohlen hat. Aber in diesem einen Falle, wo wir eben eine Parodie, also eine Satire, auf eine real existierende Begebenheit in Chemnitz verfasst haben, war das absolut rechtens. Aber ich freue mich trotz alledem über eine Strafanzeige, denn am Ende - so heißt es ja so schön - klären es dann einfach Gerichte, aber ich wüsste jetzt nicht, warum das nicht erlaubt war.
    Sterz: Tatsächlich ist es so, dass die AfD eine Strafanzeige weiterhin prüft, das hat sie uns heute auch mitgeteilt. Und darüber hinaus hat die AfD selbst mehrere Videos veröffentlicht. In einem davon ist Frank-Christian Hansel zu sehen, das ist der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Und der ist nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören.
    O-Ton: "Hinter mir hier ist die Produktionsfirma des Fake-Videos, wo man einen AfD-Stand gefälscht hat, auch mit einer Hetzszene. Ich möchte mit denen mal reden, was denen dabei eingefallen ist, wieso die sowas tun."
    Nun finden Sie dieses Video der AfD überhaupt nicht witzig. Warum?
    AfD-Abgeordneter filmt versuchten Hausbesuch
    Silberstein: Dieses Video ist nicht lustig, weil der Herr Hansel, der hat uns vorher nicht mal gefragt, was wir da überhaupt gedreht haben. Also es wäre total einfach gewesen, über unser Impressum, da wo auch die Telefonnummer steht, einfach zu gucken, was habt ihr denn da eigentlich gemacht. Stattdessen ist er direkt vorbeigekommen, also es wurde eben ausfindig gemacht, wo unsere Produktionsräume sind. Auf jeden Fall stand er dann da und hat einen Hausbesuch inszeniert. Und das sind so Sachen, da will ich dem Herrn Hansel jetzt auch gar nicht unterstellen, dass er so ganz genau gewusst hat, was er tat, aber, und es ist noch gut, wenn ich ihm das unterstelle, denn das suggeriert mir, aber das suggeriert auch Künstlern ganz schnell, jetzt besuchen Politiker schon Künstler zu Hause. Und das finde ich grob unanständig. Was ich genauso unanständig finde ist, dass dann Klingelschilder abgefilmt werden und all sowas. Das gehört sich einfach nicht, mir ist auch wurscht, ob es egal oder illegal ist, aber ich möchte gar nicht erst, dass solche Bilder entstehen. Denn das nächste, was dann passiert, ist, dass sich Menschen, die jetzt nicht unbedingt zu den Friedfertigen gehören, dieses Video ganz genau ansehen, und diese Menschen kann man nicht kontrollieren. Man nimmt es stattdessen in Kauf, dass diese Leute sagen, aha, da weiß ich also, wo ich hingehen muss, wenn ich mich beschweren will oder wenn ich noch ein bisschen mehr machen will, und das finde ich nicht anständig.
    Sterz: Dazu gehört noch die Information, dass die AfD mitteilt, dass die Ihnen mitgeteilte Anschrift die Anschrift des Unternehmens war und konnte ja keiner ahnen, Zitat, "dass er da auch wohnt", also in dem Fall Ihr Kollege. Aber darüber hinaus hören wir doch noch mal ganz kurz rein, denn dieses Video von der AfD geht auch noch weiter.
    O-Ton: "Hier hat keiner aufgemacht, vielleicht haben sie Angst oder sind möglicherweise noch nicht da oder machen schon wieder ein anderes Video, was weiß ich, aber wir kommen wieder."
    Wir kommen wieder, das ist die Ankündigung der AfD, ist das bis jetzt passiert?
    Silberstein: Das ist noch nicht passiert, ich gehe auch nicht davon aus, dass das noch passieren wird, ich gehe nicht davon aus, dass ein AfD-Abgeordneter noch mal wiederkommt. Aber nichtsdestotrotz – das Kind ist ja leider in den Brunnen gefallen. Und alleine die Tatsache, dass wir jetzt darüber reden, da muss ich mir schon genau überlegen, inwiefern ich das thematisieren will, dass wir hier über Hausbesuche reden, denn damit suggeriert man natürlich, dass irgendwelche Adressen im Internet rumfliegen. Und ich muss ganz ehrlich sagen, das besorgt mich zutiefst, und kann jetzt auch gar nicht so freigiebig mit Ihnen reden oder mit der Öffentlichkeit reden, wie ich dachte, wie ich vor zwei Wochen noch glaubte, dass ich es tun kann. Denn ich weiß einfach nicht, welche Personen da jetzt gerade unterwegs sind, ich weiß nicht, was in diesen berühmten, geschlossenen Whatsapp-Gruppen diskutiert wird, ich weiß nur, dass Fotos von allen Teammitgliedern gemacht wurden, dass die jetzt gerade im Netz sind dass die in geschlossenen WhatsApp-Gruppen sind. Und ich weiß halt einfach nicht, was die Konsequenzen für mich sein könnten, und das besorgt mich einfach. Sowas erspart man sich, wenn man vorher fragt, was habt ihr da gemacht, und nicht von Anfang an suggeriert, wir hätten da ein Fake-Video produziert. Wir sind eine bekannte Satire-Produktion, das Bohemian Browser Ballett, das kennt man mittlerweile. Ich finde es nicht anständig, dass man sich bewusst blöd gestellt hat, nur um eben diese Story spinnen zu können, dass wir Fake-Videos produzieren und dann am Ende auch noch Hausbesuche erwarten dürfen.
    Brandes und seine Kollegen erhalten Drohungen
    Sterz: Gab es denn schon reale Drohungen von irgendwelcher Seite?
    Silberstein: Ja, selbstverständlich. Das ist ja der Witz. Man muss auch dazusagen, zu einem Video gehört nicht immer nur das Video, das man unter dem Playbutton sieht. Zu einem Video gehört nämlich auch der Kommentarbereich mittlerweile. In meiner Welt ist das eine Einheit, und wenn man sich da anschaut, was auch toleriert wurde, gerade so in den Kommentaren, also dass eben schon aufgerufen wurde, lasst uns diese Leute finden, lasst sie uns einen Besuch abstatten, da kann man mit einer verantwortungsvollen Moderation zum Beispiel solche Kommentare löschen oder sich an die Community wenden und sagen, Leute, das geht uns zu weit. Das ist meiner Einschätzung nach nicht passiert, sondern es wurde einfach laufen gelassen, es wurde toleriert, und natürlich hat man sich das gerne angeguckt, dass da eine Wut wächst. Und zwar eine Wut gegen die Medien, denen man immer schon unterstellen wollte, dass wir nur Fake News produzieren. Und genau das ist, wenn man einen autoritären Staat haben möchte, das ist sozusagen Schritt eins, man versucht erstmal das Vertrauen in die Medien zu zersetzen. Das ist für mich eine relativ gezielte Aktion, deswegen, ich mag das eigentlich gar nicht so gerne, wenn jetzt immer noch so - ein Missverständnis. Das ist kein Missverständnis, also sicherlich kann es sein, dass da jemand einfach unbedarft gehandelt hat, aber ich darf ja auch von einem Abgeordneten zum Beispiel, aber auch von der Bundes-AfD erwarten, dass man, wenn man sagt, man will hier irgendwann die Macht übernehmen, dass man ein bisschen verantwortungsvoller vorgeht.
    Sterz: Nur mal kurz noch zurück zu den Drohungen. Dazu stellt die AfD fest, Zitat, "nur Dummköpfe verbreiten solche Morddrohungen oder überhaupt irgendwelche Drohungen, wir haben damit nichts zu tun. Niemand in der AfD wünscht sich, dass Herr Brandes zu Schaden kommt". Das ist das eine. Und dann geht es noch weiter in einer weiteren Antwort, ich zitiere noch mal: "Grundsätzlich ist nicht alles Satire und damit zulässig, nur weil jemand behauptet, es sei Satire. Wir mussten annehmen, dass eine böse Verleumdungskampagne gegen uns vorbereitet wird." Da stellt sich doch mir tatsächlich die Frage, wenn ich diese Zeilen lese, ist dann Satire jetzt verhandelbar, empfinden Sie das so?
    "Eine Selbstzensur findet statt"
    Silberstein: Ja. Zunehmend wird Satire verhandelbar, das merkt man immer wieder, das merkt man auch eben über eine gewisse Methode, die eben auch von der AfD ausgeht, dass immer wieder Leute, die Beiträge über die AfD machen, manchmal gegen die AfD machen, dass die erheblich unter Druck gesetzt werden. Da gibt es dann diverse Anträge und immer wieder Beschwerdefluten, das weiß ja im Prinzip jeder, der in den Medien arbeitet. Und mit sowas kann man auch so eine Art unfreiwillige Selbstzensur befeuern, dass die Leute einfach sagen, okay, wenn du irgendwas über die AfD machst, dann steigt der Aufwand immens. Und ich kenne es auch von verschiedenen Branchenkollegen, dass diese Methode langsam Wirkung hat, und das macht mich ja gerade so besorgt. Wir dürfen auf keinen Fall darüber diskutieren, ob das, was wir produziert haben, Satire ist. Und ich bitte auch jeden, diesen Clip namens "Volksfest in Sachsen" anzuschauen. Denn dann wird man auch sehen, dass es keine Satire war, die einseitig gegen rechts ging, sondern das war von uns unter anderem auch eine Medienkritik, also wir haben sozusagen einen Rundumschlag gewagt gegen alle Interessengruppen, die sich in Chemnitz versammelt haben. Dazu gehört die Wirtschaft, dazu gehören linke Partydemonstranten, dazu gehört aber auch die AfD, die sich mitten reingestellt hat und sich solidarisiert hat.
    Sterz: Und die AfD kommt ja tatsächlich in dem Video nur wenige Sekunden lang vor.
    Silberstein: Sie steht nicht im Fokus. Und wer was anderes behauptet, der darf sich gerne bei mir melden. Die AfD steht dort nicht im Fokus.
    Sterz: Aber jetzt ist natürlich die spannende Frage, wie Sie in Zukunft mit der AfD und diesem ganzen Thema umgehen. Denn Ihr Ziel muss es ja sein zu vermeiden, dass jetzt die Schere im Kopf ist und dass Sie vorab sich selbst zensieren, wenn es zum Beispiel dann auch mal um ein Video geht, in dem es mehrere Minuten lang tatsächlich nur um die AfD geht und wo Sie dann nicht nur mit so einem kleinen Stand mal ein paar Sekunden zu sehen ist.
    Silberstein: Diese Selbstzensur findet aber statt. Es ist ja eine Frage, ob man sich jetzt absichtlich selbst zensiert, ob man sagt, nein, ich tue das jetzt nicht aus diesen rationalen Gründen, das ist die eine Sache. Eine andere Sache ist, wenn man es unfreiwillig macht, wenn da gewisse psychologische Hebel greifen. Und ich werde mir in Zukunft natürlich ganz genau überlegen, bevor ich irgendeinen Beitrag über die AfD mache, ob ich noch mal Lust habe, dass einer von den Herrschaften bei mir vor meiner Haustüre steht. Das sind Dinge, die teilweise auch im Unbewussten arbeiten, und man kann dazu neigen, dass man, wenn auch in der Tendenz, sagt, dann lasse ich lieber die Finger von der AfD. Und ich behaupte, da steckt eine Methode dahinter, dass wir Kunstschaffende uns wirklich dreimal überlegen, ob wir überhaupt noch mal die AfD in den Mund nehmen. Idealerweise ist es so, dass wir uns ins Private zurückziehen, dass wir wieder Slapstick machen, Sketche, die Politik komplett loslassen, und dann einfach mal schauen, was passiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.