Tucholsky schreibt für die Galerie. Er ist der Mann in Hemdsärmeln, der ewige Zwischenrufer im vierten Rang des politischen Theaters. Seine Stimme entscheidet. Es ist die Stimme, die bis ins Parkett dringt, die Stimme des unbekannten Berliners.
Der Mann des Wortes wollte die Macht des Bildes dazu gewinnen. Natürlich kannte Tucholsky den Grafiker John Heartfield, Heartfield arbeitete für den Malik-Verlag und, wie Tucholsky, für die kommunistische Arbeiter-Illustrierte in Berlin. Ullsteins Zeitschrift QUERSCHNITT und die Tricks, mit denen die Grafiker dort gleiche Motive mit entgegen gesetzter Aussage verblüffend aussagekräftig gegenüberstellten, machten ihm Eindruck. Tucholsky wollte einen neuen Buchtyp, er wollte das literarisch kommentierte Bilddokument. Er forderte Tendenzfotografie, aggressiv, aufklärerisch, agitatorisch, er wollte das Unwiderlegbare. Er bekam es. Er schrieb, John Heartfield montierte das Bilderbuch "Deutschland, Deutschland über alles". Es war beißende Satire, bitterer Hohn, scharfer Protest und am Ende eine Liebeserklärung an die Heimat.
Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen, weil wir es lieben.
Das Buch brandmarkte Militarismus und Nationalismus, die das Kriegsende unbeschadet überlebt hatten. Es befasste sich mit der gescheiterten Revolution von 1918/19, mit monarchistischen Umtrieben und dem Geburtsfehler der ersten deutschen Republik, die sich demokratisch gab und tief im Kaiserreich wurzelte.
Vehemente Angriffe richtete der promovierte Jurist gegen die inhumane Rechtsprechung deutscher Gerichte. Tucholsky warf den Richtern Klassenjustiz vor - autoritär, monarchistisch bis offen reaktionär - "Wir pfeifen auf ihre Richtersprüche"! An den Pranger kommen Staatskirche und Bürokratie, Beamtentum, Burschenschaften, Vereinswesen. Egal, ob Parodie oder Parabel, Polemik oder Reportage, Chanson oder Gedicht, keine Textform, die nicht zu Ehren kam. Und jeder bekam sein Fett. Be-rühmt wurde das Wiegenlied "Start", für das hier zwei Strophen stehen:
Du wirst mal Landgesrichtspräsident!
kille-kille!
Einer, der die Gesetzbücher kennt,
einer, der in den Sitzungen pennt,
und die Fresse zerhackt wie ein Corpsstudent -
kille...kille...kille...!
Du wirst mal Gewerkschaftssekretär -
Na, nu weine man nicht - !
Zunächst gehst du klein und bescheiden einher;
Doch hast du erst den feinen Verkehr,
dann kennst du deine Genossen nicht mehr -
"Deutschland, Deutschland über alles" wurde einer der größten Bucher-folge Tucholskys, obwohl der Börsenverein mit allen Mitteln einen Boy-kott des Buches durchzusetzen versucht hatte. Die Startauflage von 20.000 Exemplaren war schnell vergriffen.
Kritik, auch scharfe Kritik blieb nicht aus. Tucholsky war selber schuld, dass seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden konnte, dass Karl Kraus ihn als Konjunkturritter bezeichnete, dass Franz Pfemfert, der Herausgeber der AKTION, daran erinnerte, dass Tucholsky sich schon einmal als chauvinistischer Deutschtum-Agitator, als Opportunist unangenehmster Art entpuppt hatte. Kraus und Pfemfert meinten dasselbe, meinten Tucholskys Mitarbeit am PIERON, einem politischen Kampfblatt, das nach Kriegsende im Auftrag der Reichsregierung erschien und anti-polnische Stimmung für die endgültige Grenzziehung in Oberschlesien machen sollte.
Im Juli 1920 übernahm Tucholsky die Redaktion von PIERON, weil er Geld brauchte. Er erklärte Demagogie, völlige Subjektivität und Hemmungslosigkeit zu legitimen Waffen im Abstimmungskampf. Die Polen wurden als dreckig und faul, feige, verworfen und versoffen dargestellt, mehr ins Tierreich als zur Menschheit gehörend. Das Polenschwein wurde zum Vorbild des Judenschweins, als das Tucholsky später beschimpft wurde. Tucholsky hatte PIERON 1929 nie vergessen, er wusste, dass die Vorwürfe gerechtfertigt waren.
Eines konnte Tucholsky nicht wissen, als er die Fotografie als Waffe im Kampf um die Wahrheit für sich entdeckte.
Das Bild soll nicht mehr Selbstzweck sein. Man lehre den Leser, mit unseren Augen zu sehen. Und das Foto wird nicht nur sprechen, es wird schreien.
Sein Glaubenssatz, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, ist in den Tagen der professionellen Bildfälschung lächerlich geworden. Heute müsste er umlernen: Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder.
Der Mann des Wortes wollte die Macht des Bildes dazu gewinnen. Natürlich kannte Tucholsky den Grafiker John Heartfield, Heartfield arbeitete für den Malik-Verlag und, wie Tucholsky, für die kommunistische Arbeiter-Illustrierte in Berlin. Ullsteins Zeitschrift QUERSCHNITT und die Tricks, mit denen die Grafiker dort gleiche Motive mit entgegen gesetzter Aussage verblüffend aussagekräftig gegenüberstellten, machten ihm Eindruck. Tucholsky wollte einen neuen Buchtyp, er wollte das literarisch kommentierte Bilddokument. Er forderte Tendenzfotografie, aggressiv, aufklärerisch, agitatorisch, er wollte das Unwiderlegbare. Er bekam es. Er schrieb, John Heartfield montierte das Bilderbuch "Deutschland, Deutschland über alles". Es war beißende Satire, bitterer Hohn, scharfer Protest und am Ende eine Liebeserklärung an die Heimat.
Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen, weil wir es lieben.
Das Buch brandmarkte Militarismus und Nationalismus, die das Kriegsende unbeschadet überlebt hatten. Es befasste sich mit der gescheiterten Revolution von 1918/19, mit monarchistischen Umtrieben und dem Geburtsfehler der ersten deutschen Republik, die sich demokratisch gab und tief im Kaiserreich wurzelte.
Vehemente Angriffe richtete der promovierte Jurist gegen die inhumane Rechtsprechung deutscher Gerichte. Tucholsky warf den Richtern Klassenjustiz vor - autoritär, monarchistisch bis offen reaktionär - "Wir pfeifen auf ihre Richtersprüche"! An den Pranger kommen Staatskirche und Bürokratie, Beamtentum, Burschenschaften, Vereinswesen. Egal, ob Parodie oder Parabel, Polemik oder Reportage, Chanson oder Gedicht, keine Textform, die nicht zu Ehren kam. Und jeder bekam sein Fett. Be-rühmt wurde das Wiegenlied "Start", für das hier zwei Strophen stehen:
Du wirst mal Landgesrichtspräsident!
kille-kille!
Einer, der die Gesetzbücher kennt,
einer, der in den Sitzungen pennt,
und die Fresse zerhackt wie ein Corpsstudent -
kille...kille...kille...!
Du wirst mal Gewerkschaftssekretär -
Na, nu weine man nicht - !
Zunächst gehst du klein und bescheiden einher;
Doch hast du erst den feinen Verkehr,
dann kennst du deine Genossen nicht mehr -
"Deutschland, Deutschland über alles" wurde einer der größten Bucher-folge Tucholskys, obwohl der Börsenverein mit allen Mitteln einen Boy-kott des Buches durchzusetzen versucht hatte. Die Startauflage von 20.000 Exemplaren war schnell vergriffen.
Kritik, auch scharfe Kritik blieb nicht aus. Tucholsky war selber schuld, dass seine Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden konnte, dass Karl Kraus ihn als Konjunkturritter bezeichnete, dass Franz Pfemfert, der Herausgeber der AKTION, daran erinnerte, dass Tucholsky sich schon einmal als chauvinistischer Deutschtum-Agitator, als Opportunist unangenehmster Art entpuppt hatte. Kraus und Pfemfert meinten dasselbe, meinten Tucholskys Mitarbeit am PIERON, einem politischen Kampfblatt, das nach Kriegsende im Auftrag der Reichsregierung erschien und anti-polnische Stimmung für die endgültige Grenzziehung in Oberschlesien machen sollte.
Im Juli 1920 übernahm Tucholsky die Redaktion von PIERON, weil er Geld brauchte. Er erklärte Demagogie, völlige Subjektivität und Hemmungslosigkeit zu legitimen Waffen im Abstimmungskampf. Die Polen wurden als dreckig und faul, feige, verworfen und versoffen dargestellt, mehr ins Tierreich als zur Menschheit gehörend. Das Polenschwein wurde zum Vorbild des Judenschweins, als das Tucholsky später beschimpft wurde. Tucholsky hatte PIERON 1929 nie vergessen, er wusste, dass die Vorwürfe gerechtfertigt waren.
Eines konnte Tucholsky nicht wissen, als er die Fotografie als Waffe im Kampf um die Wahrheit für sich entdeckte.
Das Bild soll nicht mehr Selbstzweck sein. Man lehre den Leser, mit unseren Augen zu sehen. Und das Foto wird nicht nur sprechen, es wird schreien.
Sein Glaubenssatz, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, ist in den Tagen der professionellen Bildfälschung lächerlich geworden. Heute müsste er umlernen: Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder.