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Benzin und Salzsäure

In Reggio di Calabria häufen sich in jüngster Zeit Übergriffe auf Journalisten. Inzwischen sind auch die Verleger so eingeschüchtert, dass sie ihre kritischen Journalisten entlassen, um Anschläge zu verhindern. Nun haben die ersten 80 Soldaten die Bewachung mehrerer sogenannter gefährdeter Institutionen übernommen.

Von Karl Hoffmann | 27.10.2010
    Gianangelo Badolato ist seit vielen Jahren Journalist. Sein tägliches Brot ist die Mafia von Kalabrien, die Ndrangheta. Und er schafft es auch heute noch, sachlich zu bleiben, selbst wenn er grausame Verbrechen schildert. Wie den Mord an Lea Garofalo, ehemalige Geliebte des Ndrangheta Bosses Carlo Cosco, die zur Informantin der Justiz wurde:

    "Sie war bereits unter Polizeischutz gestellt worden, doch dann hat sie einen Fehler begangen: Sie hat sich umbesonnen und den Kontakt zu ihrem Clan und zu ihrem früheren Lebensgefährten wieder aufgenommen. Das hat sie das Leben gekostet"

    Lea Garofalo wurde von ihren eigenen Familienangehörigen erst grausam gequält und dann in 50 Liter Salzsäure aufgelöst. Von ihrem Körper wurden keine Reste mehr gefunden. Angst und Schrecken zu verbreiten ist eine wirksame Waffe der Ndrangheta: Nicht nur, um die eigenen Reihen geschlossen zu halten, sondern auch um Gegner abzuschrecken. Die Richter und Staatsanwälte in Reggio di Calabria leben in ständiger Lebensgefahr und müssen rund um die Uhr bewacht werden. In die Schusslinie kommen aber auch immer mehr Journalisten. Für die gibt es keine Leibwächter, obwohl sie immer wieder Todesdrohungen erhalten

    "Ich habe erst jüngst zwei Drohbriefe bekommen, einen am 11., den zweiten am 19. September dieses Jahres. Im ersten stand, dass ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und aufpassen solle. Beigefügt waren fünf Gewehrpatronen. Im zweiten hieß es, dass ich nicht mehr aus San Luca berichten solle."

    Ferdinando Piccolo ist erst 23 Jahre alt und Lokalreporter für "Il quotidiano di Calabria", eine kleine Regionalzeitung. San Luca ist die berühmt-berüchtigte Hochburg der Ndrangheta. Von dort stammten die Täter des Mordanschlags von Duisburg vor drei Jahren. Die Mafia versucht Journalisten davon abzubringen, Meldungen über sie zu verbreiten. Selbst alte Hasen des Journalismus an der Mafiafront sind davor nicht gefeit, wie der 64-jährige Redakteur Antonio Sisca aus Filadelfia am tyrrhenischen Meer .

    "Ich habe zahlreiche Drohbriefe bekommen, mit Gewehrpatronen drin und dann wurde mein Auto in die Luft gesprengt. Ich schreibe über verschwundene Mafiaopfer, Drogenhandel und Schutzgelderpressung."

    Lucio Musolino aus Reggio di Calabria berichtet seit geraumer Zeit über die Verbindungen von Mafia und Politik in seiner Heimatstadt. Vor drei Monaten erlebte er eine böse Überraschung:

    "Als ich am 1. August abends nach Hause komme, finde ich einen gefüllten Benzinkanister an dem eine Nachricht befestigt ist. Darin steht, dass ich aufhören soll über die Ndrangheta zu schreiben, und dass das Benzin für mich persönlich bestimmt sei und nicht etwa für mein Auto."

    Der Kanister - unverhüllter Hinweis auf einen bevorstehenden Brandanschlag - wurde im Innenhof von Musolinos Wohnhaus abgestellt, während seine Frau und seine Kinder schliefen. Die Botschaft war klar: Gefährdet sind auch die nächsten Angehörigen. Trotzdem schrieb der Journalist tapfer weiter, über Lokalpolitiker und Mafiabosse. Lob von seinem Arbeitgeber erhielt er dafür nicht. Im Gegenteil:

    "Vorletzte Woche war ich im Urlaub. Am Samstag dem 16. Oktober funktionierten plötzlich weder mein E-Mail Server noch mein Diensthandy. Stattdessen bekam ich ein Fax. Das war meine Kündigung."

    Jetzt ist Musolino ohne Schutz und ohne Arbeit, eine Art Freiwild. Man hat ihm in Rom einen Job angeboten. Den wird er wohl annehmen müssen, wenn er und seine Familie überleben wollen. Solange die Mafia an der Stiefelspitze regiert, wird es keine Pressefreiheit geben, da ist sich Musolino sicher. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sogar Spitzenpolitiker mit der Ndrangheta in Verbindung stehen und deshalb wollen auch sie journalistische Enthüllungen unter allen Umständen verhindern.