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Berlin im Kampf gegen Mietwucher
Verwahrloste Wohnungen zu hohen Preisen

Heruntergekommene Mietshäuser, in denen meist Osteuropäer leben und viel zu hohe Mietpreise zahlen – sie machen seit Längerem Schlagzeilen. Dahinter steckt ein Geschäftsmodell, denn die Bewohner leben oft von Schwarzarbeit und können sich nicht wehren. Der Berliner Senat will gegen „Horrorhäuser“ vorgehen.

Von Manfred Götzke | 11.10.2018
    Ein Pkw steht am 26.05.2015 in Berlin vor dem Haus Nr. 87 (Mitte) in der Grunewaldstraße. Berliner Immobilieneigentümer sollen gezielt Häuser verwahrlosen lassen, um alte Bewohner zu vertreiben.
    Sorgte lange Zeit für Schlagzeilen: Verwahrlostes Mietshaus in Berlin-Schöneberg. Berliner Immobilieneigentümer sollen gezielt Häuser verwahrlosen lassen, um alte Bewohner zu vertreiben. (dpa / Paul Zinken)
    Lucian und Christi haben ein Trampolin gefunden. Die beiden rumänischen Jungs hüpfen auf zwei gammeligen Matratzen herum, schubsen sich gegenseitig und lachen dabei. Ihre Freunde und Nachbarn spielen Fangen oder fahren mit ausrangierten Fahrrädern über den Hof. Für Kinder ist der Innenhof der Straße der Pariser Kommune Nummer vor allem ein Abenteuerspielplatz.
    Drei Frauen Mitte zwanzig haben sich Stühle nach draußen gestellt, quatschen, schauen ihren Kindern beim Spielen zu.
    Das Leben spielt sich an diesem warmen Abend vor dem Haus ab, das der Berliner Senat "Problemimmobilie" nennt. Kein Wunder, Irina eine Frau mit buntem Rock und Kopftuch wohnt mit ihren sieben Kindern im Erdgeschoss auf 50 Quadratmetern, zwei Zimmer, Küche, Bad.
    1000 Euro Miete in bar
    1000 Euro Miete zahle sie für ihre Wohnung. Bar auf die Hand. Aber das sei völlig ok, sagt sie. Sie sei sehr zufrieden.
    Auch sonst verliert sie, wie alle anderen Rumänen, mit denen ich spreche, kein böses Wort über den "Patron", ihren Vermieter. Alles sei völlig in Ordnung, das Haus OK. Auch wenn an dem 5-Stöckigen 50er-Jahre Bau am Berliner Ostbahnhof die Waschbetonfassade bröckelt, in manchen Etagen Tücher und Folien die Fenster ersetzen.
    Die Mieter hätten Angst, aus der Wohnung zu fliegen, sagt Susanna Kahlefeld. Sie sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
    Massive Mängel in Wohnungen und am Gebäude
    "Dann geht das Ordnungsamt immer wieder hin und die kommen dann einfach nicht weiter. Denn sie müssen ja nachweisen, dass die Kinder zum Beispiel durch Schimmel gefährdet sind, was enorm gesundheitsschädlich ist."
    Seit Jahren beschäftigt sich die Sozialpolitikerin mit Problemimmobilien - wie dem Haus in der Nähe des Ostbahnhofs. 75 gebe es derzeit in der Stadt, Und es werden mehr, sagt Kahlefeld.
    "Es werden Immobilien vermietet, die eigentlich nicht bewohnbar sind, es gibt kein warmes Wasser, es gibt oft Schimmel, keine Heizung. Da würde niemand einziehen, der seine Rechte als Mieter kennt. Das wird vermietet an Leute, die keine Chance haben auf dem Wohnungsmarkt was zu finden, die aus reiner Not da einziehen. Die zahlen aber horrende Mieten, die werden bar abkassiert. Und diese ganze Situation macht die Situation für die Betroffenen aber auch für die Kieze drum herum zu einem Horror."
    Wir stehen vor einem Haus in ihrer Nachbarschaft in Neukölln. Auch hier waren die Verhältnisse bis vor ein paar Wochen unerträglich.
    Belastung für die Nachbarschaft
    "Es gab enorm viel Müll im Hof, der Schimmel ist bei den Nachbarhäusern durch die Wände gekommen und es war so überbelegt, dass die Leute es in den Zimmern nicht mehr ausgehalten haben. Das war schon eine riesen Belastung."
    Nach einem Eigentümerwechsel wird hier nun munter renoviert. Bei den anderen Eigentümern, die ihre Immobilien verwahrlosen lassen, will sie mehr Druck machen. Mit einer Novelle des Wohnungsaufsichtsgesetzes.
    "Wir wollen, dass es ein Treuhändlermodell gibt, dass solche Häuser für eine Zeit enteignet werden, dann modernisiert werden – und dann können sie an den Besitzer wieder zurückgegeben werden, wenn der bestimmte Auflagen erfüllt. Und natürlich werden die Mieten solange an den Bezirk fließen, bis die Kosten abgestottert sind. Aber wir wollen vor allem bessere Kontrollmöglichkeiten haben, zum Beispiel, dass der Besitzer den Zugang zu den Wohnungen ermöglichen muss."
    Zwar stehe eine entsprechende Reform im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün – geplant für 2020. Den Grünen geht die Umsetzung aber nicht schnell genug.
    "Wir sind ja mit den Grünen in einer Koalition und wir haben das Thema auch schon gemeinsam besprochen, deswegen war ich ein bisschen überrascht, dass uns jetzt vorgeworfen wird, wir wären hier zu langsam …"
    Katrin Lompscher, Berlins Bausenatorin kann die Forderung der Grünen nicht ganz nachvollziehen. Schließlich habe sie einen Fahrplan für eine Reform des Wohnungsaufsichtsgesetzes vorgelegt. In drei Schritten.
    Geplante Maßnahmen des Berliner Senats
    "Erstens Sofortmaßnahmen, bei bekannten Problemimmobilien mit Bezirken, wo wir die rechtliche und finanzielle Flankierung jetzt schon machen. Zweitens eine vorgezogene Novelle, die uns die öffentlichen Auslagen, die uns gegebenenfalls entstehen wenn der Eigentümer nicht handelt grundbuchlich zu sichern, eine Maßnahme, die uns vor dem Verlust unserer Aufwendungen schützt und in einem dritten Schritt werden wir das Wohnungsaufsichtsgesetz etwas umfassender novellieren, da wollen wir im nächsten Jahr einen Referentenentwurf vorlegen."
    Auch Lompscher sagt: Das Problem mit Problemimmobilie und Problemeigentümern die ihre Mieter ausbeuten – müsse unbedingt behoben werden. Nur: So schnell wie die Grünen sich das vorstellen, geht es nicht.
    Im Flur des Problemhauses am Ostbahnhof nimmt Lukas zwei Stufen gleichzeitig. Der 23-jährige Pole ist gerade von seinem Job auf dem Bau gekommen, er will nur noch in seine Wohnung, was essen. Als ich ihn zu den Zuständen in im Haus anspreche bleibt er trotzdem kurz stehen.
    "Das ist alles kaputt hier. Guck mal…"
    Lukas zeigt auf ein Kabel, dass dort aus der Wand hängt, wo eigentlich ein Lichtschalter sein sollte. Die frische Farbe im Treppenhaus, nein das sei nicht der Vermieter gewesen – das hätten die Bewohner selbst gestrichen.
    "Das ist alles krank. Das ist ein privater Block von einem russischen Ehepaar. Non stop ist Abenteuer, mit Geld mit allem."
    650 Euro cash zahlt Lukas, der seinen Nachnamen nicht nennen will, für eine Wohnung in einem abrissreifen Haus. Er hat keine andere Wahl – als polnischer Arbeiter, der schwarz auf den Baustellen Berlins schuftet, findet er nichts anderes.