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Berlin
Mehr Druck auf Schulschwänzer

Seit drei Jahren steigt in Berlin die Zahl der Schulschwänzer. Mehr als 20.000 Kinder und Jugendliche haben an manchen Tagen keine Lust auf Schule. Sie sollen künftig die Konsequenzen schneller zu spüren bekommen.

Von Susanne Arlt | 31.01.2014
    Wer in Berlin notorisch die Schule schwänzt, den holt demnächst höchstpersönlich die Polizei zum Unterricht ab. Die rot-schwarzen Regierungsfraktionen wollen unzuverlässige Schüler künftig stärker unter Druck setzen. Lehrer sollen unentschuldigte Fehltage noch am ersten Tag den Eltern melden. Und wer fünf Tage lang über ein Schuljahr verteilt unentschuldigt den Unterricht schwänzt, der erhält eine Versäumnisanzeige. Schulaufsicht, das Jugendamt und der Schulpsychologe werden automatisch informiert. Zudem kann der Bezirk ein Bußgeld verhängen. Björn Eggert, jungendpolitischer Sprecher der Berliner SPD, hält dieses restriktive Vorgehen für richtig.
    "Weil wir der Meinung sind, man muss hier früh eingreifen. Denn wenn nicht frühzeitig die Eltern da mit im Boot sind, dann haben wir das Problem, dass sich das schnell auswirkt."
    Ein gutes Beispiel sei der Bezirk Neukölln. Dort gebe es die meisten Verfahren. Das Bußgeld in Höhe von 150 Euro soll vor allem einen erzieherischen Effekt auf die Eltern haben. Mit Erfolg, meint Eggers. Denn in Neukölln halbierte sich die Zahl der Schulschwänzer in den vergangenen zwei Jahren nahezu. Die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten werfen der rot-schwarz Regierung Aktionismus vor. Der Fokus liege zu sehr auf Intervention und Strafe, mein Martin Delius, bildungspolitischer Sprecher bei den Piraten.
    "Statt den Fehler bei sich zu suchen, statt den Fehler bei der mangelnden Betreuung, bei mangelnder Personalausstattung, bei mangelnder Attraktivität der Schule an sich oder aber der Schulgebäude zu suchen, erhöht man jetzt den Druck auf diejenigen, die benachteiligt sind durch das System."
    Praxisunterricht für Schulschwänzer
    Beim Christlichen Jugendwerk Deutschland - kurz CJD - in Berlin-Moabit setzt man nicht so sehr auf Sanktion, sondern auf Kooperation. Rabia sitzt auf einem Stuhl, ihre Freundin glättet ihre Haare mit einem heißen Eisen. Die beiden 17-Jährigen nehmen seit zwei Jahren nicht mehr regelmäßig am Schulunterricht in ihrer Sekundarschule teil. Stattdessen besuchen sie drei Tage in der Woche die Praxislerngruppe des CJD. Dort lernen sie unterschiedliche Berufe kennen und fangen an, zu begreifen, warum Mathe und Grammatik auch für das spätere Leben wichtig sind.
    Mit ihrem normalen Schulalltag kamen die beiden Mädchen nicht zurecht. Vor allem Rabia Nerzer schwänzte regelmäßig den Unterricht.
    "Ich bin sitzengeblieben, weil ich früher auch viel geschwänzt habe, ich hatte kein Bock auf den Unterricht. Meine Schwester meinte mir immer, mach deine Schule, ich habe nie auf sie gehört und jetzt ich bereue es."
    Die siebte Klasse musste sie wiederholen. Weil sich ihr Verhalten und ihre Noten nicht besserten, schickten die Lehrer sie in Absprache mit ihren Eltern in die Praxislerngruppe des CJD. Schüler, die nicht regelmäßig den Praxis-Unterricht besuchen, erhalten keine Verweise, sondern Betreuung, erklärt Leiterin Petra Densborn.
    "Wir haben Sozialpädagogen, die sofort, wenn es dazu kommt, dass jemand auffällig ist, dass jemand fehlt, die sofort intervenieren können und sich um den einzelnen auch kümmern können. Sodass wir immer viel stärker den Blick auf den einzelnen richten können und dann an seinem Bedarf ausgerichtet, wirklich auch mit ihm arbeiten können."
    Kleine Klassen und mehr Praxis
    Nebenan unterrichtet Ausbilderin Annemarie Wannemüller die Fächer Gesundheit und Soziales. Maximal zwölf Schüler sitzen in einer Lerngruppe. Marcel Sänger hört aufmerksam zu. Das war nicht immer so.
    "In der siebten Klasse hatte ich ungefähr 96 Fehlstunden. Und seit ich im CJD bin, hatte ich ungefähr nur noch zehn und dann jetzt zurzeit auch nur noch null. In der Praxisklasse macht es halt mehr Spaß. Man macht hier mehr Praktisches und nicht so viel Theoretisches."
    Der Fünfzehnjährige hat inzwischen in einer Kita ein Praktikum absolviert und möchte gerne Erzieher werden. 240 Schüler besuchen derzeit die zwölf Praxislerngruppen des CJD. Und im Schnitt schaffen 70 Prozent davon einen Schulabschluss. So wie Rabia Nerzer. Ob sie den Friseurberuf erlernen will, weiß die 17-Jährige noch nicht. Die ehemalige Schulschwänzerin will in diesem Jahr ihren erweiterten Hauptschulabschluss machen. Und danach?
    "Vielleicht will ich später mal Englisch studieren, ich weiß es noch nicht. Aber ich will mehr draus machen aus meinem Leben."