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Berliner Moschee
Ein Imam zwischen den Stühlen

Der Berliner Imam Taha Sabri leitet die Neuköllner Begegnungsstätte, für seine Integrationsarbeit wurde er vom Senat ausgezeichnet. Aber seine Moschee taucht im Verfassungsschutzbericht auf. Der Vorwurf: Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Gegen den Verfassungsschutz geht Sabri nun gerichtlich vor.

Von Igal Avidan | 18.04.2018
    Imam Mohamed Taha Sabri leitet eine Moschee in Berlin-Neukölln - Filmstill aus "Inschallah".
    Imam Mohamed Taha Sabri leitet eine Moschee in Berlin-Neukölln - Filmstill aus "Inschallah". (Keil Kruska Film )
    In die Moschee gehört für Imam Mohamed Taha Sabri auch das deutsche Grundgesetz:
    "Die Würde des Menschen ist unantastbar", sagt er.
    Im Oktober 2015 verlieh Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller Mohamed Taha Sabri als erstem Imam den Landesverdienstorden für seine Integrationsarbeit. Zu Sabris Freitagsgebet kommen um die 500 Flüchtlinge. Als die Berlinerinnen Judith Keil und Antje Kruska den 52-Jährigen für ein Filmprojekt gewinnen wollten, sagte er sofort zu. Im November 2017 kam die Dokumentation in die Kinos.
    Damit der Film "Inschallah" überhaupt zustande kommen konnte, musste Sabri zuerst seine viel konservativeren Gemeindemitglieder davon überzeugen.
    Er erzählt: "Die Leute sind es nicht gewöhnt, dass eine Frau ohne Kopftuch oder eine Nichtmuslimin in einer Moschee. Aber mit der Zeit durch Diskussionen, Aktivitäten, Veranstaltungen, Freitagsreden, Erklärungsarbeit ist es uns gelungen. Das ist ganz normal, es gibt kein Problem."
    Bei einer Filmszene lauschen sehr viele Männer auf dem Teppichboden und ein Dutzend Frauen auf der Empore Sabris Freitagspredigt. Der Imam trägt eine weiße Kopfbedeckung, ein weißes Gewand und eine schwarze Jacke. Von der holzgeschnitzten Kanzel aus spricht er auf Arabisch über die islamistischen Terroranschläge in Paris.
    Imam Mohamed Taha Sabri im Gespräch in der Dar-As-Salam-Moschee, der er vorsteht (Filmstill "Inschallah").
    Imam Mohamed Taha Sabri im Gespräch in der Dar-As-Salam-Moschee, der er vorsteht (Filmstill "Inschallah"). (Keil Kruska Film)
    "Wir sind verpflichtet, diese Taten als kriminell und terroristisch zu verurteilen. Der Mensch, der im Namen der Religion so schlimme Taten begeht, steht im Gegensatz zu Allah. Unser Herr ehrt jeden einzelnen Menschen in seiner Besonderheit. Und er macht keinen Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen."
    Moscheeverein taucht im Bericht des Verfassungsschutzes auf
    Trotz solcher Worte: Im Juli 2017 - mitten im Berliner kommunalen Wahlkampf - tauchte Sabris Moscheeverein "Neuköllner Begegnungsstätte" oder NBS im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes auf. Er persönlich wurde nicht namentlich genannt. Es hieß, die NBS stünde in Verbindung mit der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD), die als Organisation der Muslimbruderschaft gilt:
    "Die Muslimbruderschaft definiert den Islam als ein 'System', das zu jeder Zeit und an jedem Ort anwendbar sei. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die Muslimbruderschaft ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines 'zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen', beziehungsweise einer 'islamischen Demokratie' reicht."
    Einige Muslimbrüder - bei weitem nicht alle - wollen also einen islamischen Staat schaffen, so die Behörde.
    Imam Sabri gibt zu, Fehler gemacht zu haben, zum Beispiel die Einladung an den saudischen Hassprediger Muhammad al-Arifi 2009 und 2013 als Gastprediger. Arifi durfte wegen seiner Hetze gegen Juden und Homosexuelle nicht in die Staaten des Schengen-Raumes einreisen.
    Sabri sagt: "Zu Arifi habe ich klar und deutlich gesagt: Es war ein Fehler. Von diesem Fehler habe ich gelernt. Früher, wenn jemand mich anruft und sagt, es gibt ein Gelehrter hier in Berlin jetzt - wie wäre es, wenn du ihm erlaubst, dass er einen Vortrag in deiner Moschee hält? Früher hätte ich sofort gesagt: Ja, okay, bringt ihn. Jetzt mache ich das nicht."
    Sabri klagt gegen die Behörde
    Der Verfassungsschutz schreibt, dass in Sabris Moschee am 11. und 12. März 2016 die Gründungsveranstaltung des "Fatwa-Ausschusses Deutschland" stattfand. Weder Sabri noch seine Moschee sind Mitglied des Ausschusses. Sabri sagt, dass die Veranstaltung im Berliner Hotel Mercure stattfand.
    Sabris Moscheeverein soll Kontakt zur größten Organisation von Muslimbrüdern pflegen, der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" oder IGD. Aber die IGD ist auch Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime, der in keinem Bericht erwähnt wird. Der Pressesprecher des Berliner Verfassungsschutzes darf sich nicht öffentlich äußern. Sabri verklagte die Behörde.
    Sabri erklärt: "Ich will, dass unser Namen vom Verfassungsbericht weg. Die können gerne uns beobachten, das ist ihr Job vom Verfassungsschutz, die Vereine und die Personen zu beobachten, weil das dient unserer Sicherheit und der Sicherheit des Landes, der Gesellschaft. Aber warum wird es erwähnt? Wenn es erwähnt ist, das heißt: ein Hindernis für unsere Moschee. Das ist eine 'carte rouge', eine rote Karte..."
    ..., die potentielle Kooperationspartner, zum Beispiel Politiker und Förderer abschreckt, die für die allerseits gelobte Integrationsarbeit so wichtig sind. Auf diese ist die finanziell klamme Moschee dringend angewiesen.
    Freitagsgebet in der Dar Assalam Moschee in Berlin-Neukölln. Im Bild: Gläubige beim privaten Gebet vor dem Gottesdienst
    Freitagsgebet in der Dar Assalam Moschee in Berlin Neukölln. (imago / Christian Ditsch)
    Das bestätigt auch Winfriede Schreiber. Sie leitete bis 2013 den Verfassungsschutz des Landes Brandenburg. Vorher war die Juristin Polizeipräsidentin in Frankfurt (Oder). Sie zitiert aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht:
    "Es steht ja deutlich drin, dass sich die NBS wie auch zum Teil auch Muslimbrüder engagieren für Integrationsarbeit, für Präventionsarbeit. Sie sind gegen Gewalt. Dass man mit Jugendlichen spricht, sie eingliedert in unsere Gesellschaft, denn das ist die beste Prävention gegen Gewalt, gegen Attentate."
    Als Vorstandsvorsitzende des Vereins "Leadership Brandenburg" moderierte Winfriede Schreiber einige Diskussionen in Sabris Moschee.
    "Auch in den Vorstellungen, in den Gesprächen, bei den Diskussionen habe ich nicht bemerkt, dass dort eine Rechtspraxis propagiert wird, die unseren wesentlichen Werten widerspricht. Taha Sabri hat sich wiederholt für ein Zusammenleben mit Juden ausgesprochen. Wir hatten ja auch bei Veranstaltungen jüdische Teilnehmer. Rabbiner waren dabei bei Veranstaltungen durchaus herzlich willkommen und auch respektiert von der Gemeinde. Also antisemitische Ideen habe ich dort nicht bemerkt."
    "Ich bin ein Mensch, der Kontakte richtig knüpft"
    Der Tunesier Sabri gehörte als Berber einer kleinen Minderheit an. Die Bräuche des Islams lernte er zu Hause.
    "Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen und mein Vater war ein richtig religiöser Mensch und ein Imam", erzählt er.
    Als Student der arabischen Literatur engagierte sich Sabri in Tunesien gegen die Diktatur des Präsidenten Ben Ali. Er wurde verhaftet und gefoltert, berichtet er. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis fand er 1989 Zuflucht bei seinem Bruder in Bremen. Sabri arbeitete bei Daimler-Benz am Fließband und leitete ehrenamtlich die Gebete der muslimischen Gastarbeiter. Auf der Leinwand wirkt er viel liberaler als viele seiner Moscheebesucher: Er ist elegant angezogen, liebt italienische Popmusik und ist der einzige Einwanderer in einer Gartenkolonie.
    Imam Mohamed Taha Sabri setzt sich beharrlich für die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft ein (Filmstill "Inschallah").
    Imam Mohamed Taha Sabri setzt sich beharrlich für die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft ein (Filmstill "Inschallah"). (Keil Kruska Film )
    Nachdem er von Daimler nach Berlin versetzt wurde, gründete er 2007 im Stadtteil Neukölln die Moscheegeeinde, deren Vorsitzender und Imam er ist.
    Nun sitzt Sabri zwischen allen Stühlen. Einige Journalisten bezeichnen ihn als islamistisch, weil er einem sehr konservativen Islam anhänge und angeblich finanzielle Bezüge zur Muslimbruderschaft bestünden. Salafisten wiederum beschimpfen ihn, manchmal schlagen sie auch zu:
    "Hier vor der Moschee, vor vier Jahren ungefähr", erinnert sich Sabri. "Das war im Hof hier, nachts im Dezember. Ich hatte eine Rede gehalten über 'Was heißt Nichtmoslem - Kafer'? Gott verbindet uns beide, selbst, wenn er nicht glaubt an Gott. Und die meinen: 'Nein, wenn jemand nichtgläubig ist, muss du ihn bezeichnen als ungläubig, sonst bist du selbst ungläubig.'"
    "Ich gehöre zu dieser Gesellschaft"
    Der Berliner Verfassungsschutz betont, dass die Muslimbruderschaft die freiheitliche demokratische Grundordnung nur opportunistisch mittrage. Zwei Vorbeter aus Moscheevereinen mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft wurden zu einer Diskussion in Sabris Moschee eingeladen.
    Die ehemalige Leiterin des Verfassungsschutzes Winfriede Schreiber sagt.
    "Wenn wir miteinander leben wollen, brauchen wir alle einen freiheitlichen Rahmen. Und davon auch konservative Muslime zu überzeugen, scheint mir eine wichtige Aufgabe. Und in dieser Richtung verstehe ich auch den Verfassungsschutzbericht. Er setzt ein Ausrufezeichen: 'Passt auf, seht zu, dass ihr den richtigen Rahmen verfolgt'. Und das ist letztlich auch die Aufgabe des Verfassungsschutzberichtes. Er erhebt kein Kontaktverbot, er sagt ja nicht, redet nicht miteinander, sondern er sagt: 'Okay, guckt, dass ihr auf dem Weg zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleibt und weitergeht.'"
    Zu dieser Grundordnung gehört auch, dass man nicht mit Fäusten, sondern vor Gericht streitet. Genau das macht der Berliner Imam: Er zieht vor Gericht gegen den Verfassungsschutz.
    Sabri sagt: "Ich bin Deutscher und ich gehöre zu dieser Gesellschaft, zu diesem Land. Und dieser Staat bietet mir die Möglichkeit, mich auch gegen Institutionen des Staates rechtlich zu wehren. Und das tue ich."