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Bertelsmann-Studie
Eltern geben inklusiven Schulen gute Noten

Inklusive Schulen kommen bei Eltern gut an. Das zeige eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung, berichtet der Bildungsforscher und Koautor der Studie, Ulrich Kober, im DLF. "Wir haben Schulen, die Wege zeigen, wie es funktionieren kann", sagt Kober. Nun müsse man die sonderpädagogische Kompetenz aus den Förderschulen verstärkt in die Regelschulen bringen.

Ulrich Kober im Gespräch mit Kate Maleike | 01.07.2015
    Schüler im Klassenzimmer einer Grundschule in Wiesbaden
    Grundschulen sind heute schon stark auf das individuelle Kind abgestellt, sagt der Bildungsforscher Ulrich Kober (imago / MIchael Schick)
    Kate Maleike: Eine Schule für alle, in der Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, das ist das Ziel, zu dem sich Deutschland bekanntlich mit der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention seit 2009 verpflichtet hat. Doch die Umsetzung läuft noch zu langsam und mangelhaft. Das hatte ein Fachausschuss der Vereinten Nationen in einer Bilanz erst im Frühjahr kritisiert. Und es wurde dringend empfohlen, in allen Bundesländern ein inklusives Schulsystem einzuführen und Förderschulen abzubauen, um mehr Kindern den Weg in die Regelschulen zu ermöglichen. In diese eher kritische Stimmungslage platzt nun eine Umfrage, die etwas Hoffnung macht. Die Bertelsmann-Stiftung hat heute nämlich eine Befragung veröffentlicht, die zeigt, dass Eltern Schulen, die bereits inklusiv sind, gute Noten geben. Ulrich Kober hat die Studie mitverantwortet. Guten Tag, Herr Kober!
    Ulrich Kober: Guten Tag, Frau Maleike.
    Maleike: Ich habe es schon gesagt, viele Nachrichten rund um die schulische Inklusion waren in der Vergangenheit eher kritisch. Die Eltern, die Sie jetzt befragt haben, zeichnen ein ganz anderes Bild. Welches denn?
    Kober: Ja, wir waren auch eher überrascht davon, dass die Eltern den inklusiven Schulen gute Noten geben und sogar bessere Noten geben als Schulen, die nicht inklusiv arbeiten.
    Hohe Wertschätzung für Lehrkräfte an inklusiven Schulen
    Maleike: Und womit wird das begründet?
    Kober: Wir haben die Eltern gefragt, was sie von den Angeboten zur individuellen Förderung halten in den Schulen. Und da ist eben erkennbar, dass die Eltern an inklusiven Schulen da zufriedener sind, um zehn Prozentpunkte, zu 68 Prozent versus eben 58 Prozent, als in den Schulen, die eben nicht inklusiv unterrichten. Vor allen Dingen gilt das im Blick auch auf die Lehrkräfte. Also, da muss man generell sagen, die Lehrkräfte haben eigentlich eine hohe Wertschätzung bei den Eltern, sowohl in inklusiven als auch in nicht inklusiven Schulen.
    Aber auch hier noch mal erkennbar eine höhere Wertschätzung bei den Lehrern, die in inklusiven Schulen arbeiten, was ihre Kompetenz angeht, was ihr Engagement angeht, vor allen Dingen auch, wie sie auf die Kinder zugehen, auf die Stärken und die Schwächen.
    Maleike: Wir wissen ja auch, Herr Kober, dass es viele Lehrkräfte gibt, die sagen, wir sind mit der Inklusion ohne Fortbildung in diesem Bereich überfordert. Es gibt gerade erst von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine frische Umfrage unter Lehrern, die sagt, dass 41 Prozent von ihnen nichts vom gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern halten. Das läuft ein bisschen Ihrer Umfrage entgegen.
    Kober: Nein, das sehe ich gar nicht so. Ich kann die Lehrkräfte da sehr gut verstehen. Das ist auch Voraussetzung dafür, dass Inklusion gelingen kann, dass die Lehrkräfte in den Regelschulen entsprechend fortgebildet werden. Und vor allen Dingen ist auch Voraussetzung, dass diese Lehrkräfte dort mit den Sonderpädagogen intensiv zusammenarbeiten. Es ist so, wir haben in Deutschland in diesem separierten System eine hohe sonderpädagogische Kompetenz aufgebaut in den Förderschulen. Jetzt gilt es natürlich, diese Kompetenz, die da ist, die Kollegen, die dort gearbeitet haben, auch stärker in Zusammenarbeit mit den Kollegen zu bringen, die in den Regelschulen sind. Idealerweise natürlich, dass da wirklich in jeder Klasse, wo Förderkinder sind, dann auch ein Regelpädagoge und ein Sonderpädagoge sind, die gemeinsam arbeiten.
    Das muss man sehen, ob das finanzierbar ist. Aber natürlich, diese sonderpädagogische Kompetenz im Umgang mit den Förderkindern, die ist extrem wichtig und auch eine Gelingensbedingung dafür, dass die Regelschulen auch damit richtig umgehen können.
    Maleike: Damit sind wir schon bei den Handlungsempfehlungen, die sie ableiten. Also, wir hören da raus, Fortbildung der Lehrkräfte unbedingt ausbauen, und natürlich auch die Anzahl der inklusiven Schulen. Das ist ja eigentlich quasi Gesetz.
    Kober: Ja, wir haben uns ja dazu verpflichtet. Wir sind auch da vorangekommen. Ich erinnere noch mal, in dem Jahr, als die UN-Konvention in Kraft trat, 2009, da hatten wir weniger als 20 Prozent der Förderschüler, die in eine Regelschule gegangen sind. Mittlerweile ist das deutschlandweit auf knapp 30 Prozent, 31 Prozent gestiegen, also in sechs Jahren doch ein beträchtlicher Fortschritt. Aber es muss klar sein, dass dieser Ausbau, dass der behutsam passiert, dass hier Qualität vor Geschwindigkeit geht, dass hier tatsächlich die Lehrkräfte in den Regelschulen fortgebildet werden, dass die Sonderpädagogen an die Regelschulen kommen, das ist ganz wichtig, und dass natürlich auch die Bedingungen, die räumlichen Bedingungen geschaffen werden in den Schulen. Das reicht eben von Barrierefreiheit für Rollstuhl fahrende Schüler bis hin dann auch zu Therapieräumen für Schüler, die da eben Bedarfe haben. Und es ist ja so, dass wir längst solche Schulen in Deutschland haben, die so arbeiten. Es ist ja nicht so, dass die Inklusion von heute auf morgen kommt, sondern wir haben Schulen, die schon sehr erfolgreich darin arbeiten, die eigentlich Wege zeigen, wie es funktionieren kann.
    Inklusive Lernkultur an weiterführenden Schulen
    Maleike: Wir haben aber auch immer noch eine Schulform, wenn Sie von Regelschulen sprechen, die, sagen wir mal, Inklusionsvorbehalte hat. Das sind die Gymnasien. Wie können wir die dazu bringen, auch prinzipiell sich zu öffnen für das Thema Inklusion?
    Kober: Ja, man muss auch hier unterscheiden. Ich glaube, dass die - viele Gymnasien haben durchaus auch schon Erfahrung mit Inklusion, was körperbehinderte Kinder angeht. Womit sich Gymnasien natürlich schwertun, die Lehrkräfte in Gymnasien, sind eben andere Förderungsbedarfe wie jetzt Verhaltensauffälligkeiten oder auch geistige Behinderungen. Und das ist natürlich klar, dass hier auch eine Lernkultur sich entwickeln muss. Gerade im Gymnasium ist es natürlich so, dass man sehr stark vom Fach her denkt, was zu vermitteln ist. Das ändert sich zwar auch, aber eine inklusive Lernkultur ist natürlich eine, die sehr stark vom einzelnen Kind her denkt, und was dieses Kind braucht, wie es sozusagen im Lernen begleitet werden kann.
    Das heißt nicht, dass die fachliche Vermittlung damit überflüssig wird, aber diese Kultur ist natürlich in den Gymnasien noch nicht so ausgeprägt. Wenn man heute in Grundschulen geht, die arbeiten natürlich schon ganz anders. Die sind sehr stark meistens in ihrem Unterricht auf das individuelle Kind abgestellt. Da gibt es dann eben Freiarbeit, es gibt Wochenpläne, die auf das jeweilige einzelne Kind abgestellt sind. Da kann man dann auch viel besser individuell fördern.
    Das findet sich so in den weiterführenden Schulen nicht, weil da eben eine andere pädagogische Kultur herrscht. Und sicherlich muss sich da der Unterricht noch viel stärker ausdifferenzieren, viel stärker individualisieren, damit da die Bedingungen für Inklusion geschaffen sind.
    Maleike: Die Forderung von Ulrich Kober von der Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung hat heute eine neue Eltern-Umfrage veröffentlicht, die inklusiven Schulen in Deutschland gute Noten ausstellt. Danke für das Gespräch, Herr Kober!
    Kober: Sehr gerne, Frau Maleike!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.