In den meisten der derzeit 357 Ausbildungsberufen wird es spätestens ab dem Jahr 2010 allein aus demografischen Gründen Facharbeitermangel geben. Sinkende Geburtenraten, steigende Lebenserwartung: Die Entwicklung wird sich als erstes bei den Jugendlichen, also bei den Ausbildungsplatzbewerbern und damit bei den Fachkräften von morgen, bemerkbar machen. Die Jüngeren werden weniger, die Älteren mehr: Die Geburtenrate liegt in Deutschland derzeit bei 1,4 Kindern je Frau – das bedeutet, dass spätestens innerhalb einer Generation die Bevölkerungszahl der nachfolgenden Generation um ein Drittel kleiner sein wird.
So vergreist unsere Gesellschaft und damit auch unsere Arbeitsmarktreserve immer weiter. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen, lahmender Konjunktur und reformbedürftigen Sozialsystemen erscheint dies wie ein Problem aus ferner Zukunft. Aber bereits heute ist der Fachkräftemangel in einigen Branchen wirtschaftliche Realität – trotz hoher Arbeitslosigkeit. Auf den ersten Blick klingt es paradox: So groß das Heer derjenigen ist, die auf der Suche nach einem Job oder einer Lehrstelle sind, so groß ist auch die Not mancher Betriebe, geeignete Bewerber zu finden. Hinter diesem scheinbaren Widerspruch steckt neben der regionalen Aufsplitterung des Arbeitsmarkts vor allem auch die mangelnde Qualifizierung der Bewerber.
Facharbeiter: Arbeiter, der eine Lehre in einem anerkannten Lehrberuf abgeleistet und die Abschlussprüfung abgelegt hat.
...so steht es im Lexikon....
...Konstruktionsmechaniker, Korbmacher, Kosmetikerin, Kraftfahrzeugelektriker, Kraftfahrzeugmechaniker…
Hans Arnold Schell ist schon lange auf der Suche nach Kraftfahrzeugmechanikern. Mindestens ein Geselle fehlt ihm ständig in seinem Kfz-Betrieb. Dabei hat der Alfa-Romeo-Händler aus dem rheinland-pfälzischen Kasel noch Glück: Momentan beschäftigt er zwei Facharbeiter als Monteure – ob allerdings auch seine Auszubildenden im Betrieb bleiben, ist noch ungewiss. Die Suche nach qualifizierten Facharbeitern wird so zum Dauerzustand.
Das Problem gibt es schon länger. Aus dem Grund haben wir jedes Jahr einen Lehrling und hoffen, dass davon wenigstens ab und zu einer hängen bleibt, wenn Bedarf da ist. Auf dem Markt ist nicht viel zu bekommen, und die, die da sind, ist selten eine Bereitschaft da... wir müssen sehr flexibel sein, wir arbeiten mittwochs bis 20 Uhr, diese Schicht fängt zur Mittagszeit an und geht abends bis 20 Uhr, weil wir viele Kunden haben, die von auswärts kommen, die auf ihr Auto warten, die ihren speziellen Monteur haben wollen. Um halb fünf muss Feierabend sein, und das geht bei uns…. wir sind im Dienstleistungssektor: Das Auto hat eine Panne, es bleibt stehen, da muss man auch mal länger machen. Und da ist bei vielen die Bereitschaft nicht da.
Dabei steht der Kfz-Mechaniker nach wie vor ganz oben auf der Liste der Wunschberufe: Allein im Jahr 2002 schlossen mehr als 27.000 Azubis in den Fahr- und Flugzeugbauberufen einen Ausbildungsvertrag ab. Der Kfz-Mechaniker ist zumindest bei den männlichen Lehrlingen mit 7,6 Prozent der am stärksten besetzte Ausbildungsberuf.
Die immer höheren technischen Anforderungen und komplexere Berufsbilder sorgen wie in vielen Bereichen des Handwerks jedoch dafür, dass das einmal Gelernte für einen gestandenen Facharbeiter nicht mehr ausreicht. Lebenslanges Lernen wird auch hier zum Prinzip.
Es ist ja auch sehr vielschichtig. Wie Sie hier sehen, das ist Karosseriebau, da ist es AU, da ist die Elektronik, die Elektrik, dann die normale mechanische Instandsetzung. Wir machen selbst noch Motoren und Getriebe, weil wir spezielle Sachen haben, die andere nicht können und dergleichen. Also, es wird schon was verlangt. Gut, der Mann kann auch was verdienen, wenn er was bringt. Aber neben der Bereitschaft flexibel zu sein, was die Arbeitszeit betrifft, ist auch manchmal das Lernen wollen einfach nicht mehr drin. Und so selbst lernen oder aus Unterlagen sich was beibringen, das können Sie heute ganz vergessen. Das schafft keiner mehr, will vielleicht auch keiner mehr. Das ist ein Problem.
Genau hier entsteht die Lücke: bei den höher und hoch qualifizierten Facharbeitern. Schon jetzt ist der Arbeitsmarkt gespalten: Fortschreitender Arbeitsplatzabbau verkleinert die Beschäftigungsmöglichkeiten für Hilfskräfte. Zugleich können Firmen Aufträge nicht mehr annehmen, weil ihnen die Facharbeiter fehlen. Noch versucht sich der eine oder andere Betrieb, mit Kooperationen zu behelfen. Wenn die Konjunktur jedoch wieder anzieht, wird der sich jetzt schon abzeichnende Fachkräftemangel zum Existenz bedrohenden Problem.
Ich kenne einen Fall, das war ein durchaus veritabler älterer elektrotechnischer Betrieb: Der hat einen Großauftrag in Köln übernommen an einem Hotelneubau. Dem gingen die Facharbeiter von der Stange, die fachlich höher Qualifizierten von der Stange – der hat Konkurs gemacht.
Zwar zählt Gerd Wieneke, Hauptgeschäftsführer der
Handwerkskammer Düsseldorf, derzeit lediglich zweieinhalbtausend offene Facharbeiter-Stellen in den 47-tausend Betrieben des Kammerbezirks. Dies sei jedoch vor allem der aktuellen Konjunkturlage geschuldet. Mittelfristig ist bereits jetzt eine eklatante Lücke absehbar, zumal die Ausbildungszahlen in den letzten Jahren rückläufig sind. Auch andere Handwerkskammern berichten, dass viele Betriebe händeringend Facharbeiter suchen: Dachdecker, Fliesenleger, Elektro- und Wasserinstallateure, Bäcker…
Einen Grund für den akuten Mangel sehen die Kammern im Trend zu Dienstleistungsberufen. Die sind besonders Ende der 90er Jahre populär geworden und haben das Handwerk beiseite gedrängt. Ein Problem, mit dem auch der Raumausstatterbetrieb Gelz in Trier zu kämpfen hat:
Das Unternehmen arbeitet auf Sparflamme, Firmenchef Erich Gelz hat sogar die Werbung eingestellt, weil er keine größeren Aufträge mehr übernehmen kann. Hauptgrund für den Totalausfall in Sachen Facharbeiter in seinem Betrieb: die Abwanderung ins benachbarte Luxemburg. Dort bleibt den Beschäftigten wegen des günstigeren Steuer- und Sozialsystems mehr netto in der Tasche. Aber auch Gelz hat mit allgemeinen Trends zu kämpfen: zum Beispiel mit dem schlechten Image, das dem Handwerk allgemein anhaftet:
Es fängt im Elternhaus an. Die handwerkliche Arbeit wird nicht mehr als was Besonderes vermittelt, sondern das ist eben ‚nur ein Handwerker’. Der verdient auch nicht soviel Geld, der steht in der Stufe ziemlich weit unten. Das ist auch von Gesellschaft zu Gesellschaft oder von Land zu Land unterschiedlich, zum Beispiel in der Schweiz ist der Raumausstatter ein hoch angesehener Beruf. Er tendiert dort direkt nach einem Arzt oder einem Zahnarzt, und das ist eben hier in Deutschland - kommt das nicht so rüber. (...) Ich meine das wird einfach in Deutschland nicht so gesehen. Bei uns ist der Handwerker ein Handwerker und mehr nicht. Es wird da auch nicht differenziert.
Das schlechte Image des Handwerks sorgt für eine geringere Anzahl derjenigen, die sich überhaupt erst einmal für den Beruf interessieren. Ein großes Problem sieht Gelz aber vor allem in der mangelnden Qualifikation der Bewerber, sowohl bei den Facharbeitern als auch bei den Auszubildenden:
Fangen wir ganz unten an: Ich erwarte von einem Lehrling, dass er das 1x1 kann, dass er rechnen kann, addieren, multiplizieren, subtrahieren und das fehlt schon vielen. Die sind nicht fähig, eine Prozentrechnung auszuführen.
Mathematisches Grundverständnis, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, der korrekte Umgang mit Sprache und schriftlichen Texten: Das alles wird heute an viel mehr Arbeitsplätzen gefordert als in der Vergangenheit. Für Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft ist hier die Unterrichtsqualität an den Schulen ein entscheidendes Stichwort – und ein großes Problem:
Wir haben festgestellt, dass bei uns ein Viertel eines Schulabgänger-Jahrgangs als Risikogruppe bezeichnet werden soll. Das ist erst einmal eine Zahl, die muss man für sich wirken lassen. Und das heißt natürlich, dass damit die Zukunftschancen dieser jungen Menschen nicht so sind, wie wir uns das vorstellen würden (…) Ich denke, der wichtigste Punkt insgesamt ist, dass wir natürlich dort erst einmal bei den Basisqualifikationen besser werden müssen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei (…) Da kann uns eigentlich nur das allgemein bildende Schulwesen weiterhelfen (…) Die Frage ist jetzt, wir können ja nicht drauf warten. Was machen wir jetzt in den Jahren, wo voraussichtlich noch die Situation so sein wird, wie wir sie jetzt kennen? Und man kann natürlich gerade bei denen, die vielleicht nicht so motiviert sind, die Leute nicht dazu zwingen. Aber ich glaube, über Erfolgserlebnisse, ist eigentlich der einzige Weg, diese Jugendlichen wieder stärker für eine Ausbildung, fürs Lernen zu motivieren und auch für den Beruf.
Der Engpass bei den Facharbeitern ist also erst in der Zukunft ein Problem der Menge. Akut allerdings eines der Qualität: Hier löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen der hohen Arbeitslosigkeit, der Diskussion um fehlende Lehrstellen und dem Facharbeitermangel auf. Arbeitsmarktexperten der Bundesagentur für Arbeit sind davon überzeugt, dass eine Politik, die nur darauf abzielt, die Zahl der Auszubildenden und der Lehrstellen zu vergrößern, den künftigen Herausforderungen nicht gerecht wird.
Entscheidend wird die Qualifikation und damit die Qualität der Arbeitskräfte sein – vor allem dann, wenn aufgrund der demografischen Entwicklung die Menge alleine die Bildungslücken nicht auffangen kann. Die Befunde der Nürnberger Experten sprechen hier eine deutliche Sprache:
Aus der Bildungsexpansion von einst ist in weiten Teilen Stagnation geworden.
Das Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Uni Köln fordert daher, die allgemeine Schulbildung und die Berufsbildung stärker miteinander zu verzahnen - mit besonderem Akzent auf der Verbesserung der Ausbildungsreife. Zwei Probleme tun sich hier für Dr. Friedrich Hubert Esser auf, den stellvertretenden Direktor des Forschungsinstituts: Das Handwerk rekrutiert nach wie vor traditionell auch den überwiegenden Anteil seiner Führungskräfte aus dem Bereich der Hauptschule – das Leistungsvermögen eines Hauptschülers ist allerdings in den vergangenen Jahren stetig gesunken.
Das kann man am Beispiel der Elektrohandwerke glaube ich, ganz gut deutlich machen, (…) die sogar Fremdsprachenkenntnisse heute für die berufliche Ausbildung fordern. Die Ausbildungskapazität eines Hauptschülers beispielsweise passt in dieses Anforderungsprofil immer weniger rein. Die technischen Anforderungen beispielsweise, physikalische Grundkenntnisse, mathematische Grundkenntnisse, (…) Sprachenkenntnisse, sind in der Hauptschule nicht mehr abgedeckt mit dem was in der Ausbildungsordnung der Elektrohandwerker heute gefordert wird. Und diese Diskrepanz (…) führt letztendlich dazu, dass ein Fachkräftemangel in diesem Bereich besteht, weil für denjenigen, der auf dieses Anforderungsprofil passt, der Gymnasiast beispielsweise (…), die haben wiederum das Image-Problem mit diesem Beruf (…). Und dieses Dilemma, das müssen wir lösen.
Ein Rezept gegen den Facharbeitermangel könnte also lauten, zum einen die Qualifikationen an der Hauptschule zu verbessern – und zugleich in einer neuen Zielgruppe, nämlich in der der Abiturienten, zu fischen. Allerdings sind Gymnasiasten in der Regel eher an einem Studium als an einer Ausbildung interessiert: Die Aufstiegschancen im Handwerk gelten nach wie vor als begrenzt.
Chancen und Perspektiven - wie Fortbildungen kombiniert mit Studiengängen - oder gar der spätere Aufbau eines eigenen Betriebs werden weitgehend nicht wahrgenommen. Der Bildungsbericht 2003 der Bundesregierung kommt zu dem Schluss:
Ob sich insbesondere leistungsstärkere Jugendliche in den nächsten Jahren für die duale Berufsausbildung oder für eine andere Form der beruflichen Qualifizierung entscheiden werden, wird neben einem hinreichenden Angebot an Ausbildungsplätzen auch davon abhängen, mit welcher Ausbildung sich welche Optionen auf dem Arbeitsmarkt und für die berufliche Weiterentwicklung eröffnen. Diese Herausforderungen erfordern auch weitere und verstärkte Initiativen zur qualitativen Weiterentwicklung der Berufsbildung von allen Beteiligten.
Bislang ist es dem Handwerk nicht gelungen, an höher qualifizierte Schulabgänger heranzukommen. Internet-Angebote wie beispielsweise "BERUFEnet" der Bundesagentur für Arbeit oder "Ausbildungplus", ein Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft, reichen offenbar nicht aus. Schüler wollen in Sachen Berufsorientierung individueller beraten werden – und vor allem wissen, was sie später für Perspektiven in einem Beruf haben. Also gehen die Kammern auf Werbetour in die Schulen – nicht nur zu den Schülern, wie Gerd Wieneke von der Handwerkskammer Düsseldorf berichtet:
Wir haben zum Beispiel in unserem Kammerbezirk eigentlich mit ganz guter Resonanz in diesem Jahr erstmal für Lehrer in den Ferien Betriebspraktika angeboten. Ein Lehrer muss auch wissen, was ist draußen los, wenn er einem Schüler raten soll, was der denn werden soll oder will. Das zweite ist, das wir uns an die Jungen selber wenden Wir haben hier bei uns spezielle Mitarbeiter, so genannte Ausbildungsberater, die wir in die Schulen, in die Abgangsklassen schicken und stellen da nicht nur das Berufsbild, sondern auch die Perspektiven der beruflichen Entwicklung jungen Schulabgängern vor. Das ist ein mühsames Brot. Das wird sich auch nicht in Riesenzahlen niederschlagen. Aber ich glaube, wir müssen diesen beschwerlichen Weg gehen, wenn wir an diese Klientel, die das Handwerk mittelfristig dringendst braucht, rankommen wollen.
Der Einblick in die Praxis, wie er bereits jetzt via Betriebspraktika in den Abschlussklassen angeboten wird, ist von den Schülern durchaus gewünscht. So heißt es im Bildungsbericht der Bundesregierung:
Die Jugendlichen aus den alten wie aus den neuen Bundesländern waren sich über den Nutzen eines solchen Praktikums einig. Jeweils gut die Hälfte der Jugendlichen gab an, durch das Praktikum Klarheit über den beruflichen Werdegang bekommen zu haben. Außerdem erhielten rund drei Viertel dadurch einen hilfreichen Einblick in die Arbeitswelt. Knapp die Hälfte der Jugendlichen hatte Freude an den Arbeiten im Praktikum. Nur knapp zehn Prozent machten ein Praktikum, weil es von der Schule verlangt wurde. In einigen Klassen wurde sogar darüber diskutiert, bereits in den 7. Klassen Einblick in die Betriebswirklichkeit zu gewähren und die Dauer von Betriebspraktika auf insgesamt drei Wochen auszudehnen – wobei auch die Bereitschaft zur Teilnahme in der Ferienzeit signalisiert wurde.
Praktische Berührungspunkte, die ausbaufähig sind – zum Beispiel zu Projektwochen in einer Werkstatt: Dort erfahren Jugendliche, wie sie beispielsweise Dreisatz und Bruchrechnung in der späteren Berufspraxis anwenden können – und oft auch müssen. Zur attraktiven Gestaltung der Bildung gehört aber auch das duale System von Lehre und Berufsschule flexibler zu machen, um Bildungslücken zu erkennen – und zu schließen. Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft:
Ich denke, was da eine erfolgreiche Strategie sein könnte, wäre einfach, die Ausbildung einfach generell weiter zu differenzieren, also was auch stärker den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schulabgänger gerecht wird. Da haben wir zum einen den unteren Qualifikationsrand, nenn ich den jetzt mal, und wir haben den oberen. Wenn wir mal den unteren (…) einmal nehmen, muss man feststellen, dass bei uns die Berufsausbildung mit drei oder dreieinhalb Jahren gerade in den traditionellen Industriebranchen für manche schon sehr anspruchsvoll ist, gerade was theoretische Anforderungen in der Berufsschule angeht. Und auch in der Produktion zum Teil diese Leute dann überqualifiziert sind mit der Ausbildung. Das ist für beide Seiten nicht motivierend, für den Betrieb sind’s höhere Arbeitskosten und für den Ausgebildeten, der feststellt, ich kann hier eigentlich meine ganzen erlernten Fähigkeiten nicht so einsetzen, ist es auch nicht der ideale Arbeitsplatz. Das heißt hier würden zum Beispiel Ausbildungsberufe auf einer etwas niedrigeren Stufe helfen, zweijährige Ausbildungsberufe als Stichwort, was einerseits den Einstieg von Schulabgängern mit Qualifikationsdefiziten leichter macht, das heißt die erste Hürde können sie leichter nehmen und haben evtl. dann die Option, eben danach weiterzulernen.
Zweijährige Ausbildungsgänge statt der normalen dreijährigen Ausbildung sind allerdings zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern nicht ganz unumstritten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert, dass mit einem Modul-System die berufliche Bildung in kleinste Einheiten zerhackt wird. Norbert Wichmann, beim DGB in Nordrhein-Westfalen zuständig für den Bereich Bildung, sieht darin sogar eine Dequalifizierungsstrategie:
In den Schulen funktioniert Bildung jetzt nach dem Prinzip, dass Jugendliche nicht entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert werden, sondern man hängt im Prinzip die Latte immer tiefer, bis der Jugendliche über diese Latte springen kann. (…) Wenn man jetzt sagt, dass Jugendliche, die (…) so ein Schulsystem durchlaufen haben wie bei uns, dann würde mit einer zweijährigen Ausbildung im Prinzip wiederum die Latte nur niedriger gehängt, obwohl man davon ausgehen kann, dass viele Jugendliche durchaus theoretisch begabt sind und mehr schaffen können.
Allerdings spricht sich auch Wichmann dafür aus, die berufliche Bildung flexibler zu gestalten, schmalere Ausbildungsgänge anzubieten, auf die die Jugendlichen dann weitere Spezialkenntnisse aufsatteln können. Wenn allerdings in einigen Jahren der Nachwuchs zahlenmäßig schwächer wird, muss nach Auffassung des Instituts der Deutschen Wirtschaft die Qualifizierung auch am anderen Ende, sprich bei den älteren Facharbeitern, weitergehen.
Uns fehlen eben die Nachwuchskräfte in der Jahrgangsstärke, wie wir sie bis jetzt gewohnt sind. Und wir müssen dann eben dahin kommen, dass die Leute einerseits erst einmal länger im Arbeitsmarkt bleiben, länger in Beschäftigung, das heißt, sie werden wahrscheinlich nicht mehr im Durchschnitt mit 60 Jahren aufhören und in Rente gehen, wie wir es im Moment haben, sondern wir werden eher an die 65 kommen müssen. Das heißt natürlich auch für die Belegschaften im Betrieb, dass Ältere länger in der Verantwortung bleiben werden und dadurch Weiterbildung ein immer wichtigeres Thema wird, also ständige Aktualisierung des Wissens. Weiterbildung auch auf einem höheren Niveau als das in Teilen bis jetzt der Fall ist, das heißt, wir brauchen auch eine Öffnung der Hochschulen in dem Bereich. Also wir werden in Zukunft stärker eine Weiterbildung auf akademischen Niveau auch für Facharbeiter, erfahrene Facharbeiter, brauchen, um eben dort die Qualifikationen so zu vermitteln, wie sie in der Praxis gebraucht werden.
Mitarbeiter mit 50 nach Hause zu schicken – das wird sich wohl bald kaum ein Unternehmen mehr leisten können. Denn es kommt kein Ersatz nach. Bei der demografischen Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren abzeichnet, muss auch von der Idee Abschied genommen werden, dass Know-how auf externen Märkten im Ausland eingekauft werden kann. Zuwanderung allein wird das Problem des Fachkräftemangels nicht lösen können: Denn auch andere europäische Industrieländer haben künftig ähnliche demografische Probleme zu bewältigen.
Deutschland wird also für seinen Fachkräftenachwuchs weitgehend selbst sorgen müssen. Und hier legen die Schulen die Grundlagen für eine spätere qualifizierte Ausbildung – und für qualifizierte Fachkräfte, so der DGB-Bildungsexperte Wichmann:
Der Kern unseres Problem ist, da sehe ich eigentlich eine ganz große Herausforderung, dass wir im schulischen Bereich nach wie vor erhebliche Defizite haben und dass (…) hier im Prinzip eigentlich noch viel zu wenig getan wird. Wenn es uns nicht gelingt, im Bereich der Schulen besser zu werden, werden wir auf lange Sicht auch eine wirtschaftliche Spitzenposition nie mehr erreichen können, weil uns das Know-how nicht mehr zur Verfügung steht. Wir bauen dann auf einem morschen Fundament auf, das nicht tragfähig ist für eine zukünftige wirtschaftliche Entwicklung.
Die Zeit drängt: Zu spät ist es aber noch nicht. Zumindest der demografische Rückgang bei den Jugendlichen wird erst Ende des Jahrzehnts einsetzen. Diese Jahre gilt es zu nutzen – für alle Beteiligten.
So vergreist unsere Gesellschaft und damit auch unsere Arbeitsmarktreserve immer weiter. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen, lahmender Konjunktur und reformbedürftigen Sozialsystemen erscheint dies wie ein Problem aus ferner Zukunft. Aber bereits heute ist der Fachkräftemangel in einigen Branchen wirtschaftliche Realität – trotz hoher Arbeitslosigkeit. Auf den ersten Blick klingt es paradox: So groß das Heer derjenigen ist, die auf der Suche nach einem Job oder einer Lehrstelle sind, so groß ist auch die Not mancher Betriebe, geeignete Bewerber zu finden. Hinter diesem scheinbaren Widerspruch steckt neben der regionalen Aufsplitterung des Arbeitsmarkts vor allem auch die mangelnde Qualifizierung der Bewerber.
Facharbeiter: Arbeiter, der eine Lehre in einem anerkannten Lehrberuf abgeleistet und die Abschlussprüfung abgelegt hat.
...so steht es im Lexikon....
...Konstruktionsmechaniker, Korbmacher, Kosmetikerin, Kraftfahrzeugelektriker, Kraftfahrzeugmechaniker…
Hans Arnold Schell ist schon lange auf der Suche nach Kraftfahrzeugmechanikern. Mindestens ein Geselle fehlt ihm ständig in seinem Kfz-Betrieb. Dabei hat der Alfa-Romeo-Händler aus dem rheinland-pfälzischen Kasel noch Glück: Momentan beschäftigt er zwei Facharbeiter als Monteure – ob allerdings auch seine Auszubildenden im Betrieb bleiben, ist noch ungewiss. Die Suche nach qualifizierten Facharbeitern wird so zum Dauerzustand.
Das Problem gibt es schon länger. Aus dem Grund haben wir jedes Jahr einen Lehrling und hoffen, dass davon wenigstens ab und zu einer hängen bleibt, wenn Bedarf da ist. Auf dem Markt ist nicht viel zu bekommen, und die, die da sind, ist selten eine Bereitschaft da... wir müssen sehr flexibel sein, wir arbeiten mittwochs bis 20 Uhr, diese Schicht fängt zur Mittagszeit an und geht abends bis 20 Uhr, weil wir viele Kunden haben, die von auswärts kommen, die auf ihr Auto warten, die ihren speziellen Monteur haben wollen. Um halb fünf muss Feierabend sein, und das geht bei uns…. wir sind im Dienstleistungssektor: Das Auto hat eine Panne, es bleibt stehen, da muss man auch mal länger machen. Und da ist bei vielen die Bereitschaft nicht da.
Dabei steht der Kfz-Mechaniker nach wie vor ganz oben auf der Liste der Wunschberufe: Allein im Jahr 2002 schlossen mehr als 27.000 Azubis in den Fahr- und Flugzeugbauberufen einen Ausbildungsvertrag ab. Der Kfz-Mechaniker ist zumindest bei den männlichen Lehrlingen mit 7,6 Prozent der am stärksten besetzte Ausbildungsberuf.
Die immer höheren technischen Anforderungen und komplexere Berufsbilder sorgen wie in vielen Bereichen des Handwerks jedoch dafür, dass das einmal Gelernte für einen gestandenen Facharbeiter nicht mehr ausreicht. Lebenslanges Lernen wird auch hier zum Prinzip.
Es ist ja auch sehr vielschichtig. Wie Sie hier sehen, das ist Karosseriebau, da ist es AU, da ist die Elektronik, die Elektrik, dann die normale mechanische Instandsetzung. Wir machen selbst noch Motoren und Getriebe, weil wir spezielle Sachen haben, die andere nicht können und dergleichen. Also, es wird schon was verlangt. Gut, der Mann kann auch was verdienen, wenn er was bringt. Aber neben der Bereitschaft flexibel zu sein, was die Arbeitszeit betrifft, ist auch manchmal das Lernen wollen einfach nicht mehr drin. Und so selbst lernen oder aus Unterlagen sich was beibringen, das können Sie heute ganz vergessen. Das schafft keiner mehr, will vielleicht auch keiner mehr. Das ist ein Problem.
Genau hier entsteht die Lücke: bei den höher und hoch qualifizierten Facharbeitern. Schon jetzt ist der Arbeitsmarkt gespalten: Fortschreitender Arbeitsplatzabbau verkleinert die Beschäftigungsmöglichkeiten für Hilfskräfte. Zugleich können Firmen Aufträge nicht mehr annehmen, weil ihnen die Facharbeiter fehlen. Noch versucht sich der eine oder andere Betrieb, mit Kooperationen zu behelfen. Wenn die Konjunktur jedoch wieder anzieht, wird der sich jetzt schon abzeichnende Fachkräftemangel zum Existenz bedrohenden Problem.
Ich kenne einen Fall, das war ein durchaus veritabler älterer elektrotechnischer Betrieb: Der hat einen Großauftrag in Köln übernommen an einem Hotelneubau. Dem gingen die Facharbeiter von der Stange, die fachlich höher Qualifizierten von der Stange – der hat Konkurs gemacht.
Zwar zählt Gerd Wieneke, Hauptgeschäftsführer der
Handwerkskammer Düsseldorf, derzeit lediglich zweieinhalbtausend offene Facharbeiter-Stellen in den 47-tausend Betrieben des Kammerbezirks. Dies sei jedoch vor allem der aktuellen Konjunkturlage geschuldet. Mittelfristig ist bereits jetzt eine eklatante Lücke absehbar, zumal die Ausbildungszahlen in den letzten Jahren rückläufig sind. Auch andere Handwerkskammern berichten, dass viele Betriebe händeringend Facharbeiter suchen: Dachdecker, Fliesenleger, Elektro- und Wasserinstallateure, Bäcker…
Einen Grund für den akuten Mangel sehen die Kammern im Trend zu Dienstleistungsberufen. Die sind besonders Ende der 90er Jahre populär geworden und haben das Handwerk beiseite gedrängt. Ein Problem, mit dem auch der Raumausstatterbetrieb Gelz in Trier zu kämpfen hat:
Das Unternehmen arbeitet auf Sparflamme, Firmenchef Erich Gelz hat sogar die Werbung eingestellt, weil er keine größeren Aufträge mehr übernehmen kann. Hauptgrund für den Totalausfall in Sachen Facharbeiter in seinem Betrieb: die Abwanderung ins benachbarte Luxemburg. Dort bleibt den Beschäftigten wegen des günstigeren Steuer- und Sozialsystems mehr netto in der Tasche. Aber auch Gelz hat mit allgemeinen Trends zu kämpfen: zum Beispiel mit dem schlechten Image, das dem Handwerk allgemein anhaftet:
Es fängt im Elternhaus an. Die handwerkliche Arbeit wird nicht mehr als was Besonderes vermittelt, sondern das ist eben ‚nur ein Handwerker’. Der verdient auch nicht soviel Geld, der steht in der Stufe ziemlich weit unten. Das ist auch von Gesellschaft zu Gesellschaft oder von Land zu Land unterschiedlich, zum Beispiel in der Schweiz ist der Raumausstatter ein hoch angesehener Beruf. Er tendiert dort direkt nach einem Arzt oder einem Zahnarzt, und das ist eben hier in Deutschland - kommt das nicht so rüber. (...) Ich meine das wird einfach in Deutschland nicht so gesehen. Bei uns ist der Handwerker ein Handwerker und mehr nicht. Es wird da auch nicht differenziert.
Das schlechte Image des Handwerks sorgt für eine geringere Anzahl derjenigen, die sich überhaupt erst einmal für den Beruf interessieren. Ein großes Problem sieht Gelz aber vor allem in der mangelnden Qualifikation der Bewerber, sowohl bei den Facharbeitern als auch bei den Auszubildenden:
Fangen wir ganz unten an: Ich erwarte von einem Lehrling, dass er das 1x1 kann, dass er rechnen kann, addieren, multiplizieren, subtrahieren und das fehlt schon vielen. Die sind nicht fähig, eine Prozentrechnung auszuführen.
Mathematisches Grundverständnis, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, der korrekte Umgang mit Sprache und schriftlichen Texten: Das alles wird heute an viel mehr Arbeitsplätzen gefordert als in der Vergangenheit. Für Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft ist hier die Unterrichtsqualität an den Schulen ein entscheidendes Stichwort – und ein großes Problem:
Wir haben festgestellt, dass bei uns ein Viertel eines Schulabgänger-Jahrgangs als Risikogruppe bezeichnet werden soll. Das ist erst einmal eine Zahl, die muss man für sich wirken lassen. Und das heißt natürlich, dass damit die Zukunftschancen dieser jungen Menschen nicht so sind, wie wir uns das vorstellen würden (…) Ich denke, der wichtigste Punkt insgesamt ist, dass wir natürlich dort erst einmal bei den Basisqualifikationen besser werden müssen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei (…) Da kann uns eigentlich nur das allgemein bildende Schulwesen weiterhelfen (…) Die Frage ist jetzt, wir können ja nicht drauf warten. Was machen wir jetzt in den Jahren, wo voraussichtlich noch die Situation so sein wird, wie wir sie jetzt kennen? Und man kann natürlich gerade bei denen, die vielleicht nicht so motiviert sind, die Leute nicht dazu zwingen. Aber ich glaube, über Erfolgserlebnisse, ist eigentlich der einzige Weg, diese Jugendlichen wieder stärker für eine Ausbildung, fürs Lernen zu motivieren und auch für den Beruf.
Der Engpass bei den Facharbeitern ist also erst in der Zukunft ein Problem der Menge. Akut allerdings eines der Qualität: Hier löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen der hohen Arbeitslosigkeit, der Diskussion um fehlende Lehrstellen und dem Facharbeitermangel auf. Arbeitsmarktexperten der Bundesagentur für Arbeit sind davon überzeugt, dass eine Politik, die nur darauf abzielt, die Zahl der Auszubildenden und der Lehrstellen zu vergrößern, den künftigen Herausforderungen nicht gerecht wird.
Entscheidend wird die Qualifikation und damit die Qualität der Arbeitskräfte sein – vor allem dann, wenn aufgrund der demografischen Entwicklung die Menge alleine die Bildungslücken nicht auffangen kann. Die Befunde der Nürnberger Experten sprechen hier eine deutliche Sprache:
Aus der Bildungsexpansion von einst ist in weiten Teilen Stagnation geworden.
Das Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Uni Köln fordert daher, die allgemeine Schulbildung und die Berufsbildung stärker miteinander zu verzahnen - mit besonderem Akzent auf der Verbesserung der Ausbildungsreife. Zwei Probleme tun sich hier für Dr. Friedrich Hubert Esser auf, den stellvertretenden Direktor des Forschungsinstituts: Das Handwerk rekrutiert nach wie vor traditionell auch den überwiegenden Anteil seiner Führungskräfte aus dem Bereich der Hauptschule – das Leistungsvermögen eines Hauptschülers ist allerdings in den vergangenen Jahren stetig gesunken.
Das kann man am Beispiel der Elektrohandwerke glaube ich, ganz gut deutlich machen, (…) die sogar Fremdsprachenkenntnisse heute für die berufliche Ausbildung fordern. Die Ausbildungskapazität eines Hauptschülers beispielsweise passt in dieses Anforderungsprofil immer weniger rein. Die technischen Anforderungen beispielsweise, physikalische Grundkenntnisse, mathematische Grundkenntnisse, (…) Sprachenkenntnisse, sind in der Hauptschule nicht mehr abgedeckt mit dem was in der Ausbildungsordnung der Elektrohandwerker heute gefordert wird. Und diese Diskrepanz (…) führt letztendlich dazu, dass ein Fachkräftemangel in diesem Bereich besteht, weil für denjenigen, der auf dieses Anforderungsprofil passt, der Gymnasiast beispielsweise (…), die haben wiederum das Image-Problem mit diesem Beruf (…). Und dieses Dilemma, das müssen wir lösen.
Ein Rezept gegen den Facharbeitermangel könnte also lauten, zum einen die Qualifikationen an der Hauptschule zu verbessern – und zugleich in einer neuen Zielgruppe, nämlich in der der Abiturienten, zu fischen. Allerdings sind Gymnasiasten in der Regel eher an einem Studium als an einer Ausbildung interessiert: Die Aufstiegschancen im Handwerk gelten nach wie vor als begrenzt.
Chancen und Perspektiven - wie Fortbildungen kombiniert mit Studiengängen - oder gar der spätere Aufbau eines eigenen Betriebs werden weitgehend nicht wahrgenommen. Der Bildungsbericht 2003 der Bundesregierung kommt zu dem Schluss:
Ob sich insbesondere leistungsstärkere Jugendliche in den nächsten Jahren für die duale Berufsausbildung oder für eine andere Form der beruflichen Qualifizierung entscheiden werden, wird neben einem hinreichenden Angebot an Ausbildungsplätzen auch davon abhängen, mit welcher Ausbildung sich welche Optionen auf dem Arbeitsmarkt und für die berufliche Weiterentwicklung eröffnen. Diese Herausforderungen erfordern auch weitere und verstärkte Initiativen zur qualitativen Weiterentwicklung der Berufsbildung von allen Beteiligten.
Bislang ist es dem Handwerk nicht gelungen, an höher qualifizierte Schulabgänger heranzukommen. Internet-Angebote wie beispielsweise "BERUFEnet" der Bundesagentur für Arbeit oder "Ausbildungplus", ein Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft, reichen offenbar nicht aus. Schüler wollen in Sachen Berufsorientierung individueller beraten werden – und vor allem wissen, was sie später für Perspektiven in einem Beruf haben. Also gehen die Kammern auf Werbetour in die Schulen – nicht nur zu den Schülern, wie Gerd Wieneke von der Handwerkskammer Düsseldorf berichtet:
Wir haben zum Beispiel in unserem Kammerbezirk eigentlich mit ganz guter Resonanz in diesem Jahr erstmal für Lehrer in den Ferien Betriebspraktika angeboten. Ein Lehrer muss auch wissen, was ist draußen los, wenn er einem Schüler raten soll, was der denn werden soll oder will. Das zweite ist, das wir uns an die Jungen selber wenden Wir haben hier bei uns spezielle Mitarbeiter, so genannte Ausbildungsberater, die wir in die Schulen, in die Abgangsklassen schicken und stellen da nicht nur das Berufsbild, sondern auch die Perspektiven der beruflichen Entwicklung jungen Schulabgängern vor. Das ist ein mühsames Brot. Das wird sich auch nicht in Riesenzahlen niederschlagen. Aber ich glaube, wir müssen diesen beschwerlichen Weg gehen, wenn wir an diese Klientel, die das Handwerk mittelfristig dringendst braucht, rankommen wollen.
Der Einblick in die Praxis, wie er bereits jetzt via Betriebspraktika in den Abschlussklassen angeboten wird, ist von den Schülern durchaus gewünscht. So heißt es im Bildungsbericht der Bundesregierung:
Die Jugendlichen aus den alten wie aus den neuen Bundesländern waren sich über den Nutzen eines solchen Praktikums einig. Jeweils gut die Hälfte der Jugendlichen gab an, durch das Praktikum Klarheit über den beruflichen Werdegang bekommen zu haben. Außerdem erhielten rund drei Viertel dadurch einen hilfreichen Einblick in die Arbeitswelt. Knapp die Hälfte der Jugendlichen hatte Freude an den Arbeiten im Praktikum. Nur knapp zehn Prozent machten ein Praktikum, weil es von der Schule verlangt wurde. In einigen Klassen wurde sogar darüber diskutiert, bereits in den 7. Klassen Einblick in die Betriebswirklichkeit zu gewähren und die Dauer von Betriebspraktika auf insgesamt drei Wochen auszudehnen – wobei auch die Bereitschaft zur Teilnahme in der Ferienzeit signalisiert wurde.
Praktische Berührungspunkte, die ausbaufähig sind – zum Beispiel zu Projektwochen in einer Werkstatt: Dort erfahren Jugendliche, wie sie beispielsweise Dreisatz und Bruchrechnung in der späteren Berufspraxis anwenden können – und oft auch müssen. Zur attraktiven Gestaltung der Bildung gehört aber auch das duale System von Lehre und Berufsschule flexibler zu machen, um Bildungslücken zu erkennen – und zu schließen. Dirk Werner vom Institut der Deutschen Wirtschaft:
Ich denke, was da eine erfolgreiche Strategie sein könnte, wäre einfach, die Ausbildung einfach generell weiter zu differenzieren, also was auch stärker den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schulabgänger gerecht wird. Da haben wir zum einen den unteren Qualifikationsrand, nenn ich den jetzt mal, und wir haben den oberen. Wenn wir mal den unteren (…) einmal nehmen, muss man feststellen, dass bei uns die Berufsausbildung mit drei oder dreieinhalb Jahren gerade in den traditionellen Industriebranchen für manche schon sehr anspruchsvoll ist, gerade was theoretische Anforderungen in der Berufsschule angeht. Und auch in der Produktion zum Teil diese Leute dann überqualifiziert sind mit der Ausbildung. Das ist für beide Seiten nicht motivierend, für den Betrieb sind’s höhere Arbeitskosten und für den Ausgebildeten, der feststellt, ich kann hier eigentlich meine ganzen erlernten Fähigkeiten nicht so einsetzen, ist es auch nicht der ideale Arbeitsplatz. Das heißt hier würden zum Beispiel Ausbildungsberufe auf einer etwas niedrigeren Stufe helfen, zweijährige Ausbildungsberufe als Stichwort, was einerseits den Einstieg von Schulabgängern mit Qualifikationsdefiziten leichter macht, das heißt die erste Hürde können sie leichter nehmen und haben evtl. dann die Option, eben danach weiterzulernen.
Zweijährige Ausbildungsgänge statt der normalen dreijährigen Ausbildung sind allerdings zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern nicht ganz unumstritten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert, dass mit einem Modul-System die berufliche Bildung in kleinste Einheiten zerhackt wird. Norbert Wichmann, beim DGB in Nordrhein-Westfalen zuständig für den Bereich Bildung, sieht darin sogar eine Dequalifizierungsstrategie:
In den Schulen funktioniert Bildung jetzt nach dem Prinzip, dass Jugendliche nicht entsprechend ihrer Fähigkeiten gefördert werden, sondern man hängt im Prinzip die Latte immer tiefer, bis der Jugendliche über diese Latte springen kann. (…) Wenn man jetzt sagt, dass Jugendliche, die (…) so ein Schulsystem durchlaufen haben wie bei uns, dann würde mit einer zweijährigen Ausbildung im Prinzip wiederum die Latte nur niedriger gehängt, obwohl man davon ausgehen kann, dass viele Jugendliche durchaus theoretisch begabt sind und mehr schaffen können.
Allerdings spricht sich auch Wichmann dafür aus, die berufliche Bildung flexibler zu gestalten, schmalere Ausbildungsgänge anzubieten, auf die die Jugendlichen dann weitere Spezialkenntnisse aufsatteln können. Wenn allerdings in einigen Jahren der Nachwuchs zahlenmäßig schwächer wird, muss nach Auffassung des Instituts der Deutschen Wirtschaft die Qualifizierung auch am anderen Ende, sprich bei den älteren Facharbeitern, weitergehen.
Uns fehlen eben die Nachwuchskräfte in der Jahrgangsstärke, wie wir sie bis jetzt gewohnt sind. Und wir müssen dann eben dahin kommen, dass die Leute einerseits erst einmal länger im Arbeitsmarkt bleiben, länger in Beschäftigung, das heißt, sie werden wahrscheinlich nicht mehr im Durchschnitt mit 60 Jahren aufhören und in Rente gehen, wie wir es im Moment haben, sondern wir werden eher an die 65 kommen müssen. Das heißt natürlich auch für die Belegschaften im Betrieb, dass Ältere länger in der Verantwortung bleiben werden und dadurch Weiterbildung ein immer wichtigeres Thema wird, also ständige Aktualisierung des Wissens. Weiterbildung auch auf einem höheren Niveau als das in Teilen bis jetzt der Fall ist, das heißt, wir brauchen auch eine Öffnung der Hochschulen in dem Bereich. Also wir werden in Zukunft stärker eine Weiterbildung auf akademischen Niveau auch für Facharbeiter, erfahrene Facharbeiter, brauchen, um eben dort die Qualifikationen so zu vermitteln, wie sie in der Praxis gebraucht werden.
Mitarbeiter mit 50 nach Hause zu schicken – das wird sich wohl bald kaum ein Unternehmen mehr leisten können. Denn es kommt kein Ersatz nach. Bei der demografischen Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren abzeichnet, muss auch von der Idee Abschied genommen werden, dass Know-how auf externen Märkten im Ausland eingekauft werden kann. Zuwanderung allein wird das Problem des Fachkräftemangels nicht lösen können: Denn auch andere europäische Industrieländer haben künftig ähnliche demografische Probleme zu bewältigen.
Deutschland wird also für seinen Fachkräftenachwuchs weitgehend selbst sorgen müssen. Und hier legen die Schulen die Grundlagen für eine spätere qualifizierte Ausbildung – und für qualifizierte Fachkräfte, so der DGB-Bildungsexperte Wichmann:
Der Kern unseres Problem ist, da sehe ich eigentlich eine ganz große Herausforderung, dass wir im schulischen Bereich nach wie vor erhebliche Defizite haben und dass (…) hier im Prinzip eigentlich noch viel zu wenig getan wird. Wenn es uns nicht gelingt, im Bereich der Schulen besser zu werden, werden wir auf lange Sicht auch eine wirtschaftliche Spitzenposition nie mehr erreichen können, weil uns das Know-how nicht mehr zur Verfügung steht. Wir bauen dann auf einem morschen Fundament auf, das nicht tragfähig ist für eine zukünftige wirtschaftliche Entwicklung.
Die Zeit drängt: Zu spät ist es aber noch nicht. Zumindest der demografische Rückgang bei den Jugendlichen wird erst Ende des Jahrzehnts einsetzen. Diese Jahre gilt es zu nutzen – für alle Beteiligten.