Donnerstag, 18. April 2024

Sieg in Stichwahl
Erdogan ruft zu "Einheit und Solidarität" auf

In der Türkei steht Recep Tayyip Erdogan als Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt fest. Erdogan sei zum 13. Präsidenten der Türkei gewählt worden, teilte der Vorsitzende der Wahlbehörde, Yener, in Ankara offiziell mit. Zuvor hatte sich Erdogan bereits selbst zum Wahlsieger erklärt.

29.05.2023
    Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine gestikulieren vor Anhängern im Präsidentenpalast in Ankara.
    Der türkische Präsident Erdogan hat sich erneut durchgesetzt. (Ali Unal / AP / Ali Unal)
    Es sei an der Zeit, "die Streitigkeiten des Wahlkampfes zu überwinden" und sich in Einheit und Solidarität "um die Träume unserer Nation" zu vereinen, sagte Erdogan in einer Ansprache vor dem Präsidentenpalast in Ankara.
    Der 69-Jährige erhielt rund 52 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer Kilicdaroglu kam auf etwa 48 Prozent. Kilicdaroglu räumte seine Niederlage indirekt ein. Er bedauere die weit größeren Probleme, die das Land nun erwarteten, sagte er in Ankara. Er werde weiter für Demokratie kämpfen. Zugleich kritisierte er den Wahlkampf als unfair.

    Angriffe auf Wahlbeobachter

    Internationale Wahlbeobachter kritisierten einen unfairen Wahlkampf und mangelnde Transparenz bei der Abstimmung. Es gab Berichte über Angriffe auf Wahlhelfer und Beobachter. Ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP sagte dem Sender Halk TV, er und Wahlhelfer seien von einer Gruppe angegriffen worden, nachdem sie Unregelmäßigkeiten beanstandet hätten. Der Vorfall ereignete sich demnach in einem Dorf im Südosten des Landes. Auch in Istanbul gab es Medienberichten zufolge mehrere Vorfälle. So sollen Anwälte nicht in die Wahllokale gelassen worden sein. Die Abstimmung wurde von Vertretern der OSZE und des Europarats verfolgt.

    Gratulation aus aller Welt

    Nach dem Sieg Erdogans würdigte Bundeskanzler Scholz die Zusammenarbeit Deutschlands mit der Türkei. Beide Länder seien enge Partner und Alliierte, erklärte er. Auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sei man stark miteinander verbunden. Nun wolle man gemeinsame Themen mit frischem Elan vorantreiben. Bundespräsident Steinmeier schrieb, er wünsche Erdogan eine glückliche Hand für die neue Amtsperiode. Glückwünsche kamen unter anderem auch von US-Präsident Biden, NATO-Generalsekretär Stoltenberg, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsident Michel.
    Auch Russlands Präsident Putin und zahlreiche weitere Spitzenpolitiker gratulierten Erdogan. Putin meinte, Erdogans Wahlsieg demonstriere die Unterstützung des türkischen Volkes für den Kurs nationaler Souveränität und unabhängiger Außenpolitik. Gratulationen kamen auch von Ungarns Minsterpräsident Orban und von den Taliban in Afghanistan.
    Der seit 20 Jahren zunächst als Ministerpräsident und dann als Präsident regierende Erdogan trat für eine Allianz aus Nationalisten, Islamisten und Konservativen an. Kritiker befürchten, dass er nach seinem Sieg seinen autoritären Kurs weiter verschärft. Kilicdaroglu war Kandidat eines Bündnisses von sechs Parteien und hatte angekündigt, die Türkei zu demokratisieren. Insgesamt waren 61 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. Wahlberechtigte in Deutschland und anderen Ländern hatten bereits in den vergangenen Tagen abgestimmt.

    Deutliche Mehrheit türkischer Wähler in Deutschland stimmt für Erdogan

    Bei der Stichwahl stimmte eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten in Deutschland für Erdogan. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auf 67,4 Prozent der Stimmen. Erdogan schnitt bei diesen Wählerinnen und Wählern damit erneut deutlich besser ab als insgesamt.

    Wahlsieg Erdogans auch in deutschen Städten gefeiert

    Unter anderem mit spontanen Autokorsos ist auch in Deutschland der Sieg Erdogans gefeiert worden. Am Sonntagabend fuhren in Städten wie unter anderem Berlin, Duisburg oder Hamburg hupende und mit Türkei-Fahnen geschmückte Autos durch die Straßen. Die Feiern blieben laut Polizei überwiegend friedlich. In Mannheim allerdings kam es zu Auseinandersetzungen, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Polizisten wurden mit Gegenständen beworfen, Teilnehmer der Autokorsos gerieten mit Fußgängern aneinander. Verletzt wurde demnach aber niemand.

    Özdemir (Grüne) enttäuscht über Verhalten von Erdogan-Anhängern in Deutschland

    Der Grünen-Politiker Özdemir schrieb bei Twitter, die Autokorsos in Deutschland seien keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. "Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr." Es tue ihm um die vielen, vor allem jungen und gut ausgebildeten Menschen in der Türkei leid, die jede Hoffnung verlören. Er fürchte, dass Ultranationalismus und Fundamentalismus sich nun noch stärker durch neue Imame aus Ankara hierzulande verbreiten würden.

    EVP-Chef Weber für Abbruch des EU-Beitrittsprozesses mit der Türkei

    Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sprach sich dafür aus, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei zu beenden. Nun sei der "richtige Zeitpunkt gekommen für einen generellen Neustart zwischen der EU und der Türkei auf einer realistischen Grundlage", sagte der CSU-Politiker der "Funke-Mediengruppe". Die Beitrittsverhandlungen waren 2005 formal aufgenommen worden, liegen allerdings seit einigen Jahren auf Eis.
    Diese Nachricht wurde am 29.05.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.