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Blüm gegen "Bild"

Der ehemalige Sozialminister Norbert Blüm wirft der "Bild"-Zeitung Volksverdummung vor. Grund ist der Berichterstattung des Boulevardblattes über die Zukunft der gesetzlichen Rente. Indem sie laut Blüm unseriös berichtet, bewirbt sie gezielt eine von der Allianz-Lebensversicherung und Bild-T-online ins Leben gerufene Privatversicherung.

Von Brigitte Baetz | 10.06.2006
    Man muss sich Kai Diekmann als einflussreichen Menschen vorstellen. Der erst 41-jährige hatte Altkanzler Helmut Kohl als Trauzeugen und macht als Chefredakteur von Deutschlands größter Tageszeitung BILD Stimmung - und mitunter auch Politik. Als Reaktion auf die Kampagne um "Florida-Rolf", einen angeblichen Sozialbetrüger, brachte eine rot-grüne Bundesregierung gar binnen Wochenfrist einen neuen Gesetzesentwurf ein. Wer solcherart erlebt hat, der wird manchmal arrogant. Vielleicht liegt es daran, dass Kai Diekmann für Norbert Blüm nicht zu sprechen ist, nicht einmal telefonisch. Der ehemalige CDU-Sozialminister würde sich gerne mit dem "Bild"-Chef über dessen Berichterstattung in Sachen gesetzlicher Rentenversicherung auseinandersetzen. Meine Kollegin Brigitte Baetz hat Norbert Blüm zu seiner Fehde mit der "Bild" befragt.

    "Das war eine Kampagne der 'Bild'-Zeitung. Der Kern der Kampagne ist: Du musst die Rentenversicherung madig machen, damit das Geld in den Kassen der Privatversicherung klingelt. So einfach ist das. Nun bestreite ich ja nicht, dass die gesetzliche Rentenversicherung Probleme hat, aber keines dieser Probleme löst die Privatversicherung besser."

    Wenn "Bild" über die Rente berichtet, ist meist Panik angesagt. Von Schockprognose, Schrumpfrente und Rentenlüge ist die Rede, in großen Lettern, meist auf Seite eins. Erst am vergangenen Dienstag hatte Chefredakteur Diekmann in einer Prominentenpredigt in der Hamburger Katharinenkirche gesagt: "Journalisten sollten Berufszornige sein." In diesem Sinne startete die "Bild"-Zeitung wohl auch die Kampagne "Bild verklagt die Rentenlügner". Die Anklage, die juristisch betrachtet eine Anzeige war und zwar gegen Unbekannt, verlief erwartungsgemäß im Sande. Unterdessen wurde das Blatt nicht müde, zu berichten, die Rentenansprüche fielen in Zukunft unter das Niveau der Sozialhilfe zurück.

    "Der Höhepunkt der Manipulation, vielleicht müsste man sich noch kräftigere Worte aussuchen, bestand darin, dass die 'Bild'-Zeitung die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung für 30 Jahre hochgerechnet hat und dann unterstellt hat, das in jeder dieser 30 Jahre die Preise um zwei Prozent jedes Jahres steigen und die Löhne im gleichen Zeitraum in den gleichen Jahren nur ein Prozent. Nun musste mathematisch nicht sehr begabt sein, um aus einer solchen Hochrechnung zu erkennen, dass der reale Wert der Rente dann rapide absinkt , das käme einem faktischen Zusammenbruch der Rentenversicherung gleich. Oh Wunder! Als die 'Bild'-Zeitung ein paar Tage später die Entwicklung der Privatversicherung dargestellt hat, war von Preisanstieg in diesen 30 Jahren nicht die Rede. Also offenbar leben gesetzliche Rente und Privatversicherung auf verschiedenen Sternen, und das halte ich für Volksverdummung. Da ist die Absicht erkennbar und dann werd ich ärgerlich."

    Die Absicht, so Blüm, liege im wirtschaftlichen Interesse der Allianz-Lebensversicherung. Mit ihr zusammen hat Bild-T-online die so genannte VolksRente initiiert und parallel zu ihrer Berichterstattung prominent im Blatt beworben. In einer internen Vertreterinformation der Versicherung hieß es schon vor der Lancierung der VolksRente, inzwischen umbenannt in Allianz Riester-Rente:

    "Die Informationen zur VolksRente werden in zwei Formen aufbereitet – als Anzeige und als redaktionelle Artikel."

    Dirk Hoeren, Autor bei "Bild" für Wirtschaft und Politik:

    "Sie werden in dem redaktionellen Teil von 'Bild' das nicht finden. Ich gebe Ihnen Recht, dass auf unserer Internet-Seite es Verlinkungen gab, aber das ist keine Exklusivveranstaltung der 'Bild'-Zeitung.

    Wenn Sie sich mal anschauen, was bei allen anderen Zeitungen passiert, ich will nicht sagen, bei allen anderen Zeitungen, ich habe es nicht überprüft, aber sehen Sie sich zum Beispiel mal die Internetseite der Süddeutschen Zeitung an. Dann werden Sie feststellen, dass dort das Gleiche passiert. Da wird auf der Internetseite klar der Satz gesagt: Die gesetzliche Rente kann bald kaum mehr leisten als eine dürftige Grundversorgung, und dann gibt es wunderbare Links zu einem privaten Anbieter für private Rentenversicherungen."

    "Legen Sie ein Geständnis ab: Sind Sie ein Rentenbetrüger?", fragte "Bild" Norbert Blüm in einem langen Interview, "Verhör" genannt. Blüm fühlt sich seither von der Zeitung kriminalisiert und versucht, den Chefredakteur in langen Briefen von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Während der Politiker bei aller Lust an der Polemik auch zu argumentieren versucht, bleibt Diekmann in seinen Antworten eher kurz:

    "Ihr Brief zeigt in seiner wortreichen Zappeligkeit, mit seinen tausend Unterstellungen, Mutmaßungen und Pöbeleien, wie sehr sie Grund haben, die Diskussion um Ihr trostloses politisches Lebenswerk zu fürchten."

    Eine öffentliche Diskussion mit Blüm, wie von diesem angeregt, möchte Diekmann allerdings nicht führen. Nicht unwitzig entgegnete er dem ehemaligen Arbeitsminister schriftlich, er müsse auf Grund dessen Politik jetzt ohnehin länger arbeiten.