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Briten streiten über Atomwaffen

Großbritannien ist eine der ältesten Atommächte der Welt. Heute noch hält das Land ein U-Boot mit Atomraketen in ständiger Einsatzbereitschaft. Nun streitet die Politik über mögliche Abrüstung. Denn die Waffen und Boote sind längst veraltet und müssten erneuert werden. Doch das kostet Geld.

Von Jochen Spengler | 19.07.2013
    Die eigene atomare U-Boot-Flotte gilt als sakrosankt. Jedenfalls wurde sie in Großbritannien nie infrage gestellt - wenn man einmal absieht von den Friedensbewegten der Kampagne für die Nukleare Abrüstung oder den Separatisten der Schottischen Nationalpartei; die ärgern sich, dass der Heimathafen der Flotte am Ende des Clyde-Meeresarms in einem schottischen Fjord liegt, und fordern schon lange ein atomwaffenfreies Schottland.

    Nun aber wird auch in England das eigene Atomarsenal zum Thema - es müsste nämlich erneuert werden und das ist teuer.

    Es droht schlimmes Ungemach. Gefährdet sind nicht nur die Sicherheit Großbritanniens, sondern auch sein Einfluss in der Welt und sein Sitz im UNO-Sicherheitsrat, warnt jedenfalls Sir Christopher Meyer, der ehemalige britische Botschafter in den USA:

    "Die Menschheit bewundert und respektiert noch immer rohe Gewalt. Wir sind da noch nicht weiter. Deswegen bleiben der Besitz von Atomwaffen und eine effektive Abschreckung entscheidend für Großbritanniens Rolle weltweit."

    Ballistische Atomraketen vom Typ Trident sorgen für diese Rolle; sie sind auf vier U-Booten stationiert, von denen immer eines ständig einsatzbereit auf den Weltmeeren kreuzt.

    Das Problem: Schiffe und Raketen sind museumsreif und müssen ersetzt werden. Was mindestens 30 Milliarden Euro kostet: Doch Großbritanniens konservativer Premierminister David Cameron ist bereit, den Preis zu zahlen, angesichts von Staaten wie Nordkorea oder Iran.

    "Können wir wissen, wie diese Regime in 20 oder 30 Jahren aussehen oder mit wem sie ihre Waffen und Technologie teilen? Nein, das können wir nicht, also lasst uns kein Risiko eingehen, lasst uns unsere Atommacht erhalten als ein letztes Stück Sicherheit."

    Diese Auffassung ist seit Jahrzehnten fast schon Staatsräson im Königreich; eine kritische Debatte über die eigenen Nuklearwaffen gab es nie. Doch die atomskeptischen Liberaldemokraten, seit drei Jahren mit an der Macht, wollen die teure Modernisierung nicht einfach durchwinken. Sie stellen mit Danny Alexander den Vize-Finanzminister.

    "Trident - das ist die letzte Bastion des Kalte-Kriegs-Denkens; Großbritannien muss ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer über nukleare Abschreckung und Abrüstung neu und unkonventionell überlegen."

    Auf Verlangen der Liberalen wurde die Entscheidung über die Zukunft der U-Boot-Flotte auf 2016 vertagt und eine Studie über Alternativen zum Status quo in Auftrag gegeben. Die liegt jetzt vor und kommt zum Schluss, dass wenn Großbritannien Atomraketen behalten will, diese auch künftig besser nicht auf Land, Schiffen oder in Flugzeugen, sondern auf U-Booten stationiert werden. Aber:

    "Wir können unsere Abschreckung an die Bedrohungen im 21. Jahrhundert anpassen, indem wir die ständige Einsatzbereitschaft auf See beenden und weniger U-Boote kaufen. So können wir einen großen Schritt auf der Abrüstungsleiter machen UND unser Land geschützt halten."

    Konkret wollen die LibDems auf ein oder zwei der vier U-Boote verzichten und damit rund zehn Milliarden Euro einsparen. Doch dann wäre es nicht möglich, ständig ein gefechtsbereites U-Boot auf See zu haben. Kein Problem, sagt der liberale Ex-Streitkräfteminister Nick Harvey, man habe ja auch sonst nirgendwo in der Truppe noch eine ständige Einsatzbereitschaft:

    "Das mag ja im Kalten Krieg seine Berechtigung gehabt haben, als die Sowjetunion unser Atomgegner war und jederzeit zuschlagen konnte, aber 20 Jahre nachdem wir uns gegenseitig aus den Zielplanungen genommen haben, macht das keinen Sinn mehr."

    "Das ist entweder naiv oder grob fahrlässig. Dass wir heute keine unmittelbare Bedrohung spüren, heißt doch nicht, dass es keine gibt über den Zeithorizont der kommenden 60 Jahre…"

    widerspricht der konservative Verteidigungsminister Philip Hammond vehement.

    "Wir haben seit nunmehr 45 Jahren eine ständige Einsatzbereitschaft auf See, die diesem Land sehr gut bekommen ist, und wir glauben nicht, dass es in einer Zeit, in der immer mehr Länder versuchen, an Atomwaffen zu gelangen, richtig ist, unsere Nuklearmacht zu verkleinern und auf eine Teilzeit-Abschreckung zu setzen."

    Die oppositionelle Labour-Partei, die sich in Fragen der Sicherheit ungern von den Konservativen übertrumpfen lässt, sieht es ähnlich. Zwar ist sie im Prinzip für Abrüstung, aber nicht gerade jetzt, sagt ihr Verteidigungsexperte Jim Murphy:

    "Wir glauben, es wäre ein falscher Zeitpunkt, die nukleare Abschreckung aufzugeben und sie ist nur glaubwürdig bei ständiger Einsatzbereitschaft auf See."

    Auch wenn nun erstmals eine Debatte über die eigene Atommacht begonnen hat, ist es unwahrscheinlich, dass sich am Ende die Liberaldemokraten durchsetzen. Vielleicht aber kommt unwillkommene Hilfe von anderer Stelle. Sollten nämlich die Schotten im kommenden Jahr für die Unabhängigkeit von England stimmen, dann will die regierende Nationalpartei SNP Schottland schleunigst atomwaffenfrei und den Heimathafen der U-Bootflotte nördlich von Glasgow dichtmachen.

    Dass in einem solchen Fall das Verteidigungsministerium in London plane, den Hafen einfach zum eigenen Hoheitsgebiet zu erklären, das ließ die Regierung Cameron dementieren.