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Buchheim-Museum
Erotische Akte der Moderne

Nacktdarstellungen waren noch zu Beginn der Moderne nur in mythologischen und historischen Kontexten zugelassen. Nicht im Privaten, schon gar nicht erotisiert. Das Buchheim-Museum zeigt in "Obsessionen. Erotica von Rodin, Klimt, Schiele und den Expressionisten" selten ausgestellte erotische Werke.

Von Julian Ignatowitsch | 17.03.2015
    Blick auf das Buchheim-Museum in Bernried
    Das Buchheim-Museum in Bernried beherbergt eine Sammlung namhafter Expressionisten mit Werken von Erich Heckel, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein u. a. (dpa - picture alliance / Markus C. Hurek)
    Einen Skandal lösen diese Bilder heute nicht mehr aus: Auguste Rodins weibliche Akte. Flüchtig hingeworfen mit dem Graphitstift, leicht nuanciert mit Aquarellfarben, nie grell, nicht aufdringlich, aber doch explizit. Die Tatsache, dass darauf viel nackte Haut zu sehen ist, löste bei einer Ausstellung in Weimar 1906 einen Skandal aus. Der Direktor des Großherzoglichen Museums, Harry Graf Kessler, wurde entlassen.
    Nacktdarstellungen - noch zu Beginn der Moderne waren solche nur in mythologischen und historischen Kontexten zugelassen. Nicht im Privaten, schon gar nicht erotisiert. Rodin löste sich um die Jahrhundertwende als einer der ersten von diesen Konventionen, setzt auch bei der Vorgehensweise neue Maßstäbe. Kurator Daniel Schreiber:
    "Er hat inmitten seiner Skulpturensammlung, die Nacktmodelle rumlaufen lassen, und dann muss man natürlich sehr geschickt sein, wenn man die Bewegungen dann zeichnerisch einfangen möchte. Man muss einen sehr, sehr schnellen Strich, eine lässige Strichführung haben - und die hat der Rodin!"
    Genauso wie: Gustav Klimt. Sein "Liegender Akt", datiert auf 1912/13, entsteht kurze Zeit später. Das Bild aus dem Nachlass von Lothar-Günther und Diethild Buchheim wird nun erstmals im Museum, eben im Buchheim-Museum, gezeigt. Welch' ein Glück - einerseits, dass überhaupt, andererseits, dass erst jetzt. Denn die Darstellung der Frau ist bei Klimt noch expliziter:
    "Eine Frau, die auf dem Rücken daliegend, mit sehr präzisen Linien gezeichnet wird. Mit einer fotografischen Präzision sind die Konturen erfasst worden: Sie hat Lacklederstiefel an, sie zieht ein Knie an sich heran, so dass die Scham präsentiert wird. Man kann sagen, das ist eigentlich pornografische Zeichnerei reinsten Wassers."
    Obsessive Bezieung
    Klimt und die Frauen - das war eine obsessive Beziehung. Privat wie beruflich. Die Modelle gingen in seiner Werkstatt ein und aus, wechselten regelmäßig, nicht selten ließ er sich mit den Frauen seiner Auftraggeber - und sie mit ihm - sexuell ein. Insofern überraschen seine fast pornografischen Darstellungen nicht.
    Eine biografische Lesart liegt bei der Betrachtung der Bilder auf der Hand, eine Begegnung von Klimt und Rodin in Wien wird auch in der Kunstwissenschaft viel diskutiert:
    "Und zwar ist 1902 Rodin auf dem Heimweg von Prag nach Paris über Wien gefahren, schaut sich in der Sezession den 'Beethovenfries' von Klimt an- und trifft dann auch Klimt. Und man geht ins Caféhaus. Und er sagt dann: Es hätte so eine besondere Stimmung hier und die Frauen seien so besonders und fragt Klimt, woran das läge. Und der sagt, Österreich sei der Grund. Und man verständigt sich auf diese gemeinsame Obsession der schönen Frauen."
    Impulsgeber für die Aktbilder der deutschen Expressionisten
    Rodin und Klimt, sie sind dann auch die Impulsgeber für die Aktbilder der deutschen Expressionisten. Spätestens mit dem Ausstellungsskandal in Weimar wird die Künstlergruppe "Die Brücke" auf die modernen Akte aufmerksam: unter anderem Egon Schiele, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Otto Mueller nehmen sich der Gattung an und treiben die erotischen Darstellungen ins Expressive - von ihnen allen sind Bilder in der Ausstellung zu sehen. Mit wenigen, aber kontrastreichen Farben; einfachen, aber präzisen Konturen; kaum Schattierungen. Die Modelle, die Frauen, oft die Lebenspartnerinnen der Künstler, bewegen sich in einem alltäglichen Umfeld, sind nicht idealisiert. Das Ideal liegt in der Einigkeit von Mensch und Natur und ist immer spürbar.
    Einige der Werke - eines von Schiele, das andere von Kirchner - tragen Züge des Missbrauchs. Die Darstellungen der erst acht Jahre alten Lina Franziska Fehrmann, genannt "Fränzi", die den Künstlern als Inbegriff unschuldiger Erotik gilt, sind bedrückend. Ein kleines Mädchen, ausgeliefert - den Blicken der Erwachsenen. Schiele muss wegen dieser Zeichnungen für 24 Tage ins Gefängnis. Heckel und Kirchner stehen gar im Verdacht, auch körperlich übergriffig gewesen zu sein.
    Bei aller künstlerischen Schönheit ihrer Bilder und Akte darf das nicht außer Acht vergessen werden. Im Jahr 2015 haben diese Bilder eindeutig skandalöses Potenzial. Auf sie hätte man, zumal die klare Einordnung in der Ausstellung fehlt, durchaus verzichten können.