Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Bücherverbrennung
"Anfangs war unklar, was zu dieser deutschen Kultur gehören solle"

Anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung veranstaltet die Universität der Künste in Berlin ein Symposium. Das Ereignis sei bekannt, aber für die Veranstaltung sei der symbolische Wert des Ereignisses interessant, sagte Kulturhistoriker Wolfgang Ruppert im DLF. Es sei um eine Vorstellung von deutscher Kultur gegangen, aus der kritische Stimmen herausgezogen werden sollten.

Wolfgang Ruppert im Gespräch mit Dina Netz | 09.05.2016
    Dina Netz: Bücher sind leider oft verbrannt worden. Aber als die Bücherverbrennung in die Geschichtsbücher eingegangen ist der 10. Mai 1933. Morgen vor 83 Jahren brachten deutsche Studenten in 22 Städten Bücher an zentrale Plätze und verbrannten sie. Es waren natürlich Bücher von jüdischen oder den Nazis politisch unliebsamen Autoren. Die Aktion nahm auf dem Berliner Opernplatz ihren Ausgang und natürlich war auch die Bibliothek der Berliner Kunsthochschule Schauplatz dieser Säuberungen. Die Universität der Künste nimmt diesen Jahrestag heute und morgen zum Anlass für ein Symposium, das sich aber mit mehr als nur diesem Datum beschäftigt. Ich habe Wolfgang Ruppert, Professor für Kultur- und Politikgeschichte an der UDK und einer der Veranstalter, zunächst gefragt: Was genau geschah am 10. Mai 1933 an der Berliner Kunsthochschule?
    Wolfgang Ruppert: Ja, wir haben dazu ein Dokument. Als ich an dem Buch "Künstler im Nationalsozialismus" gearbeitet habe, bin ich im Universitätsarchiv auf eine Akte gestoßen, in der hat sich ein Blatt befunden, auf dem eine Liste von Büchern aufgeführt war, die am Abend des 10. Mai auf dem Opernplatz verbrannt werden sollten. Es muss so gewesen sein, dass nationalsozialistische Studenten in die Hochschulbibliothek gekommen sind, der dortige Bibliothekar wohl etwas hinhaltend oder abweisend reagiert hat, diese Studenten dann zum kommissarischen Direktor, der neu eingesetzt worden war als Nationalsozialist, gegangen sind, und dieser hat auf diesem Blatt dann aufgetragen: "Ich habe gegen die Auslieferung der genannten Bücher nichts einzuwenden." Was uns allerdings daran interessiert: Dieses Ereignis ist ja bekannt, aber was uns daran interessiert, ist der symbolische Wert dieses Ereignisses, der ja genauso gedacht war, nämlich als Säuberung von den Dokumenten um deutschen Geistes. Es ging um eine Vorstellung von Deutsch, von deutscher Kultur, die nun radikal-nationalistisch gedacht wurde und aus der kritische Stimmen, aus der linke Stimmen, aus der jüdische Stimmen hinausgezogen werden sollten.
    "Die eigentliche Säuberung ging dann schon im April los"
    Netz: Genau. Und wie genau ist das an der UDK verfolgt worden, an der damaligen Berliner Kunsthochschule?
    Ruppert: Ja. Die eigentliche Säuberung ging dann schon im April los, also noch vor der Bücherverbrennung, indem dort der bedeutende Maler Karl Hofer entlassen wurde, in der Oskar Schlemmer nicht weiter beschäftigt wurde als Hochschullehrer, in der auf der anderen Seite auch ein Nationalsozialist, Otto von Kursell, eingestellt wurde, also mit anderen Worten ein Personalwechsel stattfand. Eine Sache dabei ist allerdings ganz wichtig, nämlich am Anfang war es völlig unklar, was nun eigentlich zu dieser deutschen Kultur gehören solle und was nicht. Zum Beispiel gab es eine Studentengruppe, die die Meinung vertrat, dass Emil Nolde oder Ernst Barlach Teil dieser nationalsozialistischen Kultur seien, nämlich als nordisch-expressive Kunst die eigentliche nationalsozialistische Kunst darstellen würden. Und es hat bis zum Sommer 1933 gedauert, bis dieser Klärungsprozess stattgefunden hat, ob das dazu gehört oder nicht, und es hat allerdings dann noch drei, vier Jahre gedauert, bis auch an der Hochschule diejenigen dann völlig verschwunden sind, die abweichende ästhetische Sprachen dort verfolgt haben, zum Beispiel Ludwig Gies. Wir kennen alle von Ludwig Gies das berühmte Kruzifix, das in der Ausstellung "Entartete Kunst" ganz exponiert gezeigt wurde, ein expressionistisches Kruzifix von 1921, und dieser Ludwig Gies konnte dann trotzdem nach 1933 bis 37, 38 dort weiter arbeiten. Das ist das eigentlich Spannende daran. Das heißt, die Verhältnisse waren doch wesentlich komplizierter, und das macht das eigentlich lebensnah.
    "Offenheit der Geschichte"
    Netz: Herr Ruppert, Sie haben ja, wie Sie schon eingangs sagten, ein ganzes Buch zum Thema Künstler im Nationalsozialismus veröffentlicht. Das ist dann die andere Seite. Warum fasziniert Sie denn dieses Thema so? Sie haben gerade schon angedeutet, weil es so vielschichtig ist. Kann man daraus irgendetwas lernen für heute?
    Ruppert: Ja, eigentlich die Offenheit der Geschichte, weil ein erheblicher Teil der deutschen Linken, sage ich jetzt mal, Walter Benjamin und andere, die hatten sich vorgestellt im März 1933, oder Käthe Kollwitz, dass das nicht lange dauern könne und dass die deutsche Kultur eigentlich so vielschichtig und auch liberal sei, dass sich die Nazis nicht halten können. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Eine Stabilisierung dieser Kultur hat stattgefunden, die dann letzten Endes bis 1945 auch das System, die Gewalt selbst stabil gehalten hat, und das, finde ich, ist das eigentlich Interessante, was man lernen kann an dieser Auseinandersetzung, wie diese allgemeinen politischen Verhältnisse eingreifen in das Leben sehr unterschiedlicher Künstler. Die einen machen Karriere, Arno Breker wird berufen an unsere Kunsthochschule, eine der Vorzeigefiguren der nationalsozialistischen Ästhetik, andererseits Karl Hofer entlassen, aber er kann trotzdem weiter arbeiten, Oskar Schlemmer versucht zunächst sich zu integrieren in den NS-Kunstbetrieb, Charlotte Salomon kann noch 1936 bis 38 als Volljüdin an der Hochschule studieren, auch das denkt man nicht - angesichts der Nürnberger Rassegesetze. Man sieht, das ist doch höchst unterschiedlich und es kommt auf die Werteinstellungen an, mit denen der Einzelne dann auch denkt und lebt und sein Leben gestalten will. Die Geschichte ist offen, wenn man so will. Das wäre für mich die Botschaft daraus.
    Netz: … sagt Wolfgang Ruppert, der heute und morgen an der Berliner Universität der Künste das Symposium zur Bücherverbrennung mit ausrichtet und das Buch "Künstler im Nationalsozialismus" veröffentlicht hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.